Jannis B. Ihrig

Die zweite Reise


Скачать книгу

die metallene Ummantelung und das Wasser im Inneren des Behälters. Das Wesen, das sich im Behälter befand, schlief tief und fest. Es hatte einige harte Stunden hinter sich. Stunden, in denen kalte Maschinen aus dem Menschen Sinnas etwas Neues erschaffen hatten. Etwas, was es zuvor noch nie gegeben hatte. Seine Erschaffer hielten ihn für noch nicht vollendet, da sein kybernetisch verbessertes Gehirn noch nicht die Steuerungsprogramme aufgespielt bekommen hatte. Diese sollten es dem Bio-Cyborg ermöglichen, seinen neuen Körper zu kontrollieren. In seinem speziellen Fall sollten die Programme aber auch gleichzeitig das Werkzeug zu seiner Kontrolle sein. Noch konnten sie nicht in den Sentio-Chips, die in sein Gehirn implantiert worden waren, abgespeichert werden. Zuerst musste das Biologische mit dem Kybernetischen zusammenwachsen.

      Was aber keiner der Erschaffer ahnte, waren zwei Dinge. Erstens: Der biologische Prozess des Zusammenwachsens fand viel schneller sein Ende als bei einem durchschnittlichen Menschen. Und zweitens: Sinnas Gehirn brauchte keine speziellen Programme, um den kybernetisch stark modifizierten Körper unter seine Kontrolle zu bringen.

      Der Grund, warum es im Behälter so still war, war der, dass es in der Lagerhalle selbst still war. Obwohl der Tag schon längst angebrochen war, herrschte nur wenig Betriebsamkeit. Das lag daran, dass sämtliche Arbeiten von den Robotern erledigt wurden. Die Wissenschaftler brauchten etwas Uran für den neuen Atomgeneratorprototyp? Kein Problem, sofort setzten sich die automatischen Kräne in Bewegung und luden einen Bleibehälter voll Uran in die Hände eines Transportroboters, der dann durch ein Tunnelsystem, zu dem die Menschen aus Sicherheitsgründen keinen Zutritt hatten, zu den Laboren eilte und das Bestellte ablieferte. Da also die gesamte körperliche Arbeit von Maschinen erledigt wurde, gab es normalerweise nur drei Techniker, die diesen geregelten Ablauf überwachten. Sie trugen aus Sicherheitsgründen Schutzanzüge, denn Uran war nicht der einzige gefährliche Rohstoff, der hier gelagert wurde.

      Heute aber waren die Techniker nicht allein, denn ein Trupp von fünf Soldaten, die ebenfalls Schutzanzüge trugen, und zwei Delta-Gatling-Roboter bewachten den geheimnisvollen Behälter. Zwei der Techniker standen hoch oben in der Kontrollzentrale, von wo aus sie mithilfe ihrer Computer die Roboter überwachten, während der dritte durch die Halle ging. Selbst die Kameras konnten nicht alles sehen, weil sie tote Winkel hatten.

      Zurzeit aber folgte alles seinem geregelten Gang, sodass einer der beiden Techniker der Zentrale durch ein großes Sichtfenster auf den geheimnisvollen Behälter und seine Bewacher herabsehen konnte. „Ich wüsste nur zu gern, was sich in diesem Behälter befindet“, murmelte er.

      „Ist doch klar. Irgendein Endprodukt der neuen Experimente. Ich habe gehört, die neue Regierung hat sämtliche gesetzlichen Verbote im Bereich der Wissenschaft aufgehoben“, sagte der zweite Techniker, ohne von seinen Monitoren aufzusehen.

      „Na klasse“, stöhnte der erste. „Dann könnte vom herzenfressenden Supermenschen über den armeausreißenden Killercyborg bis zum arroganten Superhirn, das die Weltherrschaft anstrebt, alles Mögliche drin sein. Und wenn jetzt was schiefgeht, sind wir die Ersten, die dran glauben müssen.“ Über diese Aufzählung musste der zweite Techniker lachen und kassierte dafür einen bösen Blick von seinem Kollegen. Dieser fügte nun endgültig gereizt hinzu: „Das meine ich ernst.“

      Der zweite unterdrückte mehr schlecht als recht seine Erheiterung und sagte: „Ich bitte dich. Wenn von dem, was auch immer es ist, eine Gefahr ausgehen würde, dann hätte man es nicht hier in diese Lagerhalle gepackt, sondern in die Hochsicherheitszone der Labore.“

      Der erste Techniker blickte wieder zum Behälter und gab dem anderen recht: „Stimmt. Wenn es wirklich gefährlich wäre, dann würde man auf den Zeitvorteil verzichten. So aber kann der Behälter von den Robotern in weniger als fünf Minuten durch die Tunnel zum Flughafen gebracht werden.“

      Der zweite nickte: „Richtig. Wir werden also diesen unheimlichen Behälter sowieso in ein paar Stunden los sein. Also kein Grund, sich darüber unnötig Sorgen zu machen.“

      Langsam regte sich im schlafenden Körper der Geist Sinnas’. Mehr und mehr wurde der Mensch sich wieder seiner bewusst, doch er musste feststellen, dass er sich verändert hatte. Sinnas spürte jedes Stück Kybernetik, das gegen seinen Willen in den Körper gepresst worden war. Er konnte zwar noch nicht sagen, was man alles mit ihm gemacht hatte, jedoch spürte er, dass es nicht wenig war.

      Er versuchte, seine eigene Haut zu ertasten. Doch das ging nicht. Egal, wie sehr er sich anstrengte, sein Körper, dessen Knie vor der Brust angezogen und von den Armen umschlungen waren, rührte sich nicht. Erst nach mehreren Minuten reagierten seine Finger träge und nachdem Sinnas weiterhin unermüdlich versuchte, seine Arme zu bewegen, reagierten auch diese endlich.

      Als er seinen Körper nun halbwegs bewegen konnte, ließ er seine rechte Hand über die Haut seines linken Armes gleiten. Und er spürte nichts. Sinnas erstarrte, denn was bedeutete das? Hatte er keine fühlbare Haut mehr? Oder ließ ihn sein Tastsinn im Stich? Er hatte Angst vor der Antwort, doch noch mehr quälte ihn die Ungewissheit, weshalb er seine Augen aufriss. Diese einfache Bewegung wurde von einem mechanischen Summen begleitet, doch Sinnas wollte sich keine Gedanken darüber machen, was das bedeuten könnte.

      Seine Augen waren nun zwar offen, doch das, was er sah beziehungsweise nicht sah, sorgte für noch mehr Verwirrung und Angst bei ihm. Seine Sicht war so stark verschwommen, dass Sinnas nicht einmal seine eigenen Hände klar erkennen konnte. Zudem zuckte das Bild und wurde von Störungen überlagert. Dies erinnerte ihn an eine Aufnahme, die mit einer defekten Kamera getätigt worden war.

      Jetzt war Sinnas einer Panik nahe, denn auch wenn er nichts eindeutig erkennen konnte, erkannte er zwei Dinge. Erstens: Er schwamm in einer Art Flüssigkeit, ohne etwas davon zu merken. Sein Tastsinn musste völlig ausgeschaltet sein. Zweitens: Seine Hände waren rot. Metallisch rot sogar, zumindest glaubte Sinnas, das zu erkennen.

      Er bewegte seine Hände nach vorn und stieß vermutlich auf einen Widerstand, da er seine Arme nicht weiter ausstrecken konnte. Er ließ seine Hände weitergleiten und musste feststellen, dass er sich in einem engen Behälter befand. Jetzt wurde Sinnas endgültig panisch. Das alles war zu viel für ihn. Er kratze mit seinen Fingern über die Innenwand des Behälters, aber bis auf ein dumpfes, scharrendes Geräusch brachte es nichts. Sinnas gab jedoch nicht auf. Seine Hartnäckigkeit wurde belohnt, denn aus dem kratzenden Geräusch wurde plötzlich ein schneidendes Geräusch. Er machte sich keine Gedanken darüber, wie seine Finger plötzlich die vermutlich metallische Wand aufschneiden konnten. Er wollte nur heraus.

      „Hm. Da unten scheint etwas los zu sein“, meinte der erste Techniker.

      Der zweite sah von seinen Monitoren auf, erhob sich und ging zum Sichtfenster. Von dort aus konnte er sehen, wie die Wachposten nicht mehr die Gänge zwischen den Lagerobjekten im Auge behielten, sondern den Behälter anstarrten. „Vielleicht bricht ja gerade dein Killercyborg aus“, scherzte er noch, da er das Ganze nicht ernst nahm.

      Fast, als wollte man ihm recht geben, zerbrach klirrend das Bullauge und eine wässrige Flüssigkeit spritzte aus dem Behälter. Jetzt erstarb das Grinsen auf dem Gesicht des Technikers. Dabei vermochte er aufgrund der Entfernung nicht einmal die roten Klingen zu sehen, die das Metall des Behälters aufschlitzten. Doch das laute Schlagen gegen die Innenhaut des Behälters konnten die beiden Techniker selbst hoch oben hören und sie sahen auch, wie die Vorderseite des Behälters von innen verbeult wurde. Es dauerte nur Sekunden, bis diese in zwei Teile zerbrach und der Behälter seinen Inhalt freigab. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und die beiden Techniker hatten das Gefühl, als wären sie dabei, einem fremdartigen Wesen bei seiner Geburt zuzusehen.

      Dieses Wesen hockte nun in einer Lache auf dem Boden und musste sich mit den Händen abstützen. Auch wenn die Techniker wenig über Biologie wussten, war ihnen klar, dass diese Flüssigkeit zum Schutz der lebenden Wesen diente, die man in solchen Behältern lagerte. Doch das Wesen, das unten in der Halle hockte, konnte kein biologisches Wesen sein. Da waren sich die beiden Techniker sicher, auch wenn sie aus dieser Entfernung keine Details erkennen konnten.

      Endlich war er draußen. Sinnas fühlte sich benommen, da er heftig auf den Boden gefallen war. Er konzentrierte sich auf eine ruhige Atmung. Dabei achtete er nicht darauf, dass der Vorgang des Atmens einen maschinellen Klang