Peter Scherrer

Die 50 bekanntesten archäologischen Stätten in Österreich


Скачать книгу

       Dem Läufer auf dem Fitnessparcours und dem Wanderfreund auf seinem Rundweg bietet sich der Anblick von konservierten Hausruinen der raetischen Siedlung im Himmelreich in Volders.

      06VOLDERS–WATTENS – DAS HIMMELREICH

       Tirol

      Am Ortsrand von Volders, an der Grenze zur Gemeinde Wattens mit den berühmten „Glaswelten“, liegt ein langgezogener Hügel (höchster Punkt bei 643 m Seehöhe): Das Himmelreich, auf dessen Plateau ein Ringwall eine Gruppe von sechs raetischen Wohnhäusern, einer Zisterne und einigen Nebengebäuden schützte. Die Zisterne mit einer Tiefe von 14 m konnte 14.000 l Wasser speichern. Die Häuser besaßen mit nur einer Ausnahme die üblichen gewinkelten Zugangskorridore mit schweren Steinmauern, während die Wohnräume selbst in zwei Stockwerken aus Baumstämmen in Blockbauweise gebildet wurden. Eine Besonderheit stellt die Tatsache dar, dass die Häuser verhältnismäßig tief eingegraben waren und den geebneten Felsen als Fußboden des Untergeschosses nutzten. Haus V wurde als Doppelhaus mit zwei parallel liegenden Räumen konstruiert.

      Abb. 13 Volders, raetische Siedlung im Himmelreich, Haus V, ein seltenes „Doppelhaus“.

      Da über die soziale Struktur der Raeter kaum etwas bekannt ist, muss offen bleiben, ob die auf Hügeln verstreuten, relativ kleinen Siedlungen mit 30 bis max. 200 Einwohnern für die Gefolgschaft eines adeligen Herrn errichtet wurden, wie in der Literatur auch wegen des anscheinend deutlich hervorgehobenen Hauses V von Volders meist angenommen wird. Der Befund von sonst gleichartigen und ungefähr gleich großen Familienwohnhäusern spricht aber eher für dörfliche Siedlungen als für Adelssitze. Die Siedlung wurde nach dem vorhandenen Fundmaterial vom 4. bis 1. Jh. v. Chr. genutzt. Eine Brandschicht deutet an, dass sie im Zuge der römischen Invasion dasselbe Schicksal ereilte wie die Siedlung auf der Hohen Birga.

      Allerdings belegen römische und spätantike Münzen und andere Funde zumindest ein gelegentliches Wiederaufsuchen des geschützten Plateaus bis zum 4. Jh. n. Chr., vor allem in der Notzeit am Ende der Römerherrschaft. Gelegentlich wird auch aufgrund dieser Fundsammlungen vom 4. Jh. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr. ein Brandopferplatz im Himmelreich vermutet. Prähistorische Brandopferplätze wurden aber üblicherweise nicht in Siedlungsarealen und meist auch an viel höheren Standpunkten gegründet.

      Die Funde vom Himmelreich und einem Urnengräberfeld des 13. Jhs. v. Chr. mit über 430 Gräbern sind im Museum Wattens zu besichtigen. In Volders in der Augasse wurde auch das bisher größte frühmittelalterliche Gräberfeld Nordtirols (um 700 n. Chr.) mit 148 Bestattungen erforscht. In Wattens wurden 2014 römische Baubefunde und ein Schatz von 460 Silbermünzen (vor Mitte 3. Jh. n. Chr.) bei Bauarbeiten für die Erweiterung der Swarovski-Glaswelten entdeckt, die in das Ausstellungsgelände integriert werden sollen.

      Abb. 14 Auf zahlreichen wetterfesten Schautafeln werden vor Ort Erklärungen und Rekonstruktionszeichnungen zur raetischen Siedlung im Himmelreich geboten.

       Adressen

      Freilichtmuseum Himmelreich

       beim Hochschwarzweg

       6111 Volders

      Museum Wattens im der Volksschule vorgelagerten Gebäude

      Höraltstraße 4

      6112 Wattens

      Tel. +43 5224/​54012

      E-Mail: [email protected]

       http://www.museum-wattens.at

       Literatur

      K. Sinnhuber, Die Altertümer vom „Himmelreich“ bei Wattens. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des tirolischen Unterinntales, Innsbruck 1949 (= Schlern-Schriften, Bd. 60).

       Sie ist zwar die kleinste Römerstadt auf österreichischem Boden, wartet aber mit einer Reihe von Besonderheiten auf. Aguntum beherbergt etwa ein typisch italisches Atriumhaus oder einen Fleischmarkt mit Gebirgswasserkühlung.

      07DÖLSACH – AGUNTUM: EIN HAUCH ITALIEN IN DEN ALPEN

       Tirol

      Im heutigen Osttirol befand sich in vorgeschichtlicher Zeit das Siedlungsgebiet des keltischen Stammes der Laianci, die der Bezirksstadt Lienz ihren Namen vererbt haben. Nur wenige Kilometer flussabwärts, bei Dölsach, liegt Aguntum, eine unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) zum autonomen municipium (Statutarstadt) erklärte Straßensiedlung als antiker Zentralort des Lienzer Beckens. Der Ort lag genau am Gabelpunkt der über den Großglockner nach Salzburg und weiter in den Donauraum führenden Straße und dem über das Pustertal nach Rom ziehenden Hauptverkehrsweg entlang der Drau. Daher wurde Aguntum auch nicht wie die meisten anderen römischen Städte mit einem rechtwinkligen Straßenraster ausgestattet, die öffentlichen Bauten im Zentrum orientierten sich vielmehr an einer der beiden Fernstraßen.

      Heute empfängt den Besucher direkt an der Bundesstraße 100 ein ausgedehntes Ruinengelände mit einem modernen großzügigen Museumsbau. Vom Parkplatz des Museums bzw. von der neuen Brücke der B 100, die direkt über das Schutzhaus über dem antiken Atriumhaus verläuft, kann man sich einen ersten Überblick über das Ruinengelände verschaffen. Auch die Topografie mit dem tief in das Gelände eingeschnittenen Bett des aus 2.500 m Höhe herabstürzenden Debantbachs lässt sich von hier aus gut erfassen. Der Bach begrenzte im Westen und Süden das Verbauungsgebiet der Römerstadt, das im Laufe der Jahrhunderte durch ihn teilweise abgegraben bzw. mit meterhohen Murenablagerungen und großen Geröllbrocken überdeckt wurde.

      Anschließend geht man am besten auf der Nordseite der B 100 an den Resten einiger Wohn- und Gewerbebauten der Spätantike vorbei und auf antiker Straßenlinie von Osten auf das ursprünglich 3,5 m breite und später auf 9,5 m erweiterte Haupttor der sog. Stadtmauer zu. Das Tor besitzt in seiner wohl mittelkaiserzeitlichen Ausbaustufe zwei Durchfahrten und wird beidseits von je einem quadratischen Turm flankiert. Da beide Türme an der stadtauswärtigen, vom Tor abgewandten Seitenmauer einen ebenerdigen Eingang besitzen, kann die Anlage zumindest in ihrer ursprünglichen Bestimmung nicht Verteidigungszwecken gedient haben. Zwei weitere, kleinere Durchgänge (lichte Weite 3,5 m) in der sog. Stadtmauer befanden sich in verschiedenen Zeitstufen weiter im Süden und führten auf ein Gelände, das in noch ungeklärter Weise zum anschließend zu besprechenden Atriumhaus gehörte. Das Material aus Abfallgruben in diesem Gelände, die der sog. Stadtmauer zeitlich vorausgehen, erlaubt eine Datierung der Mauer im bereits fortgeschrittenen 1. Jh. n. Chr., also noch in der Frühphase der Stadt. In dieser seit der Eingliederung von Noricum in das römische Reich im Alpenfeldzug (16/​15 v. Chr.) anhaltenden Friedenszeit gab es aber für die Errichtung von Stadtmauern keinen äußeren Anlass. Aguntum wäre damit das einzige municipium der ganzen Provinz gewesen, das in der frühen oder mittleren Kaiserzeit eine Stadtmauer erhalten hätte. Dieses Privileg stand bis in die Notzeit der Spätantike nur dem ranghöheren Stadttyp der colonia zu.

      Abb. 15 Aguntum, Gesamtplan der Ausgrabungen.

      Es gibt auch an den übrigen Seiten der Stadt keinerlei Hinweise auf eine derartige Fortifikation. Deswegen wird der Zweck dieser schnurgeraden, auf einem 3,5 m breiten Fundament errichteten Ostmauer in der Forschung seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Vorschläge für eine Funktion als Murenabwehrriegel oder Sperrmauer gegen die das Drautal heraufziehenden Horden der germanischen Markomannen