einen Tag nach dem überraschenden und nie richtig aufgeklärten Herzinfarkt des früheren Chefbuchhalters war César Barrios zum zweiten Mann im Kartell aufgestiegen. Und seitdem plagte er sich damit ab, das kunstvoll verschlungene Netz der Organisation zusammenzuhalten, für die stets verzwickter werdenden Probleme eine von Cariaga akzeptierte Lösung zu finden und neue Kapitalanlagen ausfindig zu machen, um den rasant anwachsenden Gewinnen aus Kokain und Maconha, illegalem Glückspiel, Crack und Prostitution einen seriösen Anstrich zu geben.
Das ausgesprochene Talent für finanzielle Kniffe, seine Aufrichtigkeit Cariaga gegenüber und alte, tief wurzelnde Verbindungen zum Polizeiapparat, die er nie hatte abreißen lassen, sicherten Barrios jenen Anteil am Erfolg des Kartells, den die beiden Männer in stillem Einvernehmen für angemessen hielten.
»Wie läuft Ihr Institut?«, fragte Cariaga , als er endlich aufsah, um sich nach der Sportschule zu erkundigen. Barrios nickte höflich.
Einen Grund unzufrieden zu sein, hatte er nicht. Die dritte Filiale seiner › Academia Paratí – Esporte Total ‹, war erst letzte Woche eröffnet worden.
Muskeltraining, Capoeira, Jiu-Jitsu, Karate oder Fullcontact von frühmorgens bis spät in die Nacht stand auf dem Programm. Doch davon einmal abgesehen waren es oft geheimnisvolle Meetings und das lag an der Herkunft der Besucher. Sport sei Sport, sagte man sich in der Academia. Doch andererseits ... nicht nur die Drogenkapitäne schickten ihre harten Jungs ins Paratí, um sie zu brutalen Gorillas abrichten zu lassen. Auch Alberto Cariaga bezahlte manchen Kurs für ausgewählte Polizisten, fügsame Männer, die dem Kartell allmählich näher kamen und sich von den Sportlehrern im ›Paratí‹ jene Überlebenstechnik beibringen ließen, die ihnen der Staatsdienst nicht hatte garantieren können.
»Die Computerauszüge bitte.«
Barrios schob beide Bögen über den Tisch und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Die Boys haben den Yankee erledigt.« Mehr als eine nüchterne Bemerkung sollte es nicht sein. Dabei bemühte sich Barrios, seine harte, metallene Stimme so gut wie möglich zu dämpfen, um Cariagas Unmut nicht zu reizen. Das kurze Zucken in den Augen des Anwalts war dem erfahrenen Polizisten nicht entgangen. War er bereits zu weit gegangen?
Nur eine Sekunde lang trafen sich die Blicke. Doch Cariaga schwieg und ließ den Brief, der ihn bis jetzt beschäftigt hatte, in die oberste Schreibtischschublade gleiten. Danach rückte er die Brille zurecht und vertiefte sich in die Reihe der Konten, um die es heute Morgen ging.
Die Operation McGooley war jedenfalls gelaufen. Jener halsstarrige Manager war ausgeschaltet, und das Thema war tabu. Bei anderen Mitgliedern der Organisation hätte es sich der alte Mann energisch verbeten, darüber auch nur noch ein einziges Wort fallen zu lassen.
»Da es sich nicht vermeiden ließ.« Das Gemurmel erstarb wie im schalltoten Raum, und hätte Barrios seinen Boss nicht zur Genüge gekannt, so hätte er die paar Worte lediglich für ein Selbstgespräch gehalten. War der Fall McGooley wirklich erledigt?
Barrios machte sich keine Illusionen. Die Geschichte mit dem New Yorker hatten sie nur zu Hälfte hinter sich. Jetzt ging es darum, die letzten Spuren zu verwischen.
»Sie sorgen mir dafür, dass alles glattgeht!«
»Selbstverständlich, Senhor Alberto.« Barrios neigte sich leicht nach vorne. »Oberst Bonrosa wird das für uns erledigen.«
»Steht er auf der Liste?«
»Nein.«
»Weshalb nicht?« Cariaga streifte die Reihe der Namen.
»Er ist ein guter alter Freund von mir“, wich Barrios aus. Cariaga wiegte den Kopf. Als ob Freunde nichts kosteten.
»Setzen Sie ein Honorar für ihn fest und sprechen Sie den Betrag dann mit mir durch.«
Barrios nickte während er auf das unangenehme Kratzen lauschte, das der Rotstift auf dem Computerblatt verursachte. Unerwartet stieß Cariaga mit dem Stift mehrmals auf die Schreibtischunterlage.
»Gut Barrios! Wie kriegen wir von jetzt an die Dollar sauber?«
An dem gequälten Gesicht des alten Mannes war abzulesen, dass es hauptsächlich diese Frage war, die ihn an diesem Morgen nicht zur Ruhe kommen ließ und somit auch von seinem Magengeschwür zur Kenntnis genommen wurde. Dass es mit dem Amerikaner am Ende doch noch Schwierigkeiten geben werde, hatte Barrios schon vor einigen Wochen vorausgesehen. Eine Doppelfunktion der Ethylacetatverschiffungen in San Francisco, die raffinierten Tauschgeschäfte mit den blutrünstigen Chefs in den kolumbischen Anden, die auf diese Weise gleich etliche Millionen sauberkriegen wollten, war zwar Barrios’ eigene Idee gewesen. Nach einigem Hin und Her gab Cariaga auch sein Okay. Doch dann scheiterte alles an einem einzigen Punkt. Und dieser Punkt hieß Anthony McGooley.
»Bellini wird uns behilflich sein«, tröstete Barrios, obwohl er sich dessen überhaupt nicht sicher war.
»Ihr Italiano ...«, fragte Cariaga respektlos. Barrios nickte.
»Ja, der Italiano«, gab er zurück, ohne seinen Partner anzusehen.
Hatte Cariaga seine eigenen Vorfahren, die vor drei Generationen mit einem Bündel Habseligkeiten unter dem Arm an Bord eines maroden Frachters nach Santos gekommen waren, so schnell vergessen?
»Ist Ihr Bellini ... ist der Mann denn ...?«
»Er ist okay«, erwiderte Barrios entschieden, um jeden Zweifel auszuschließen. »Ich verbürge mich für ihn.«
»So ... Sie verbürgen sich also? Na dann ...«
Verbürgen. Das war ein Wort, das man nur selten von Barrios zu hören bekam. Cariaga räusperte sich und es hörte sich an, als erwarte er, weiteres zu erfahren.
»Ein blitzsauberes Dreiecksgeschäft zwischen den USA und Italien, mit Luxemburg dazwischen. Dazu müssen wir ...« Barrios verfiel in seinen gewohnten Anlauf, um das Verfahren haargenau zu erklären. Cariaga winkte ab. »Später dann ... später.«
Barrios besah sich seine Fingernägel. Schade, dass der Mann heute Morgen für nichts einen Sinn hatte als für bohrende Fragen, auf die man nicht immer die passende Antwort hatte. Außerdem kostete es Barrios Nerven genug, seinen Widerwillen zu verbergen und dabei beobachten zu müssen, wie sich Cariaga darauf vorbereitete, Gefälligkeits-Honorare reihenweise zusammenzustreichen.
Lächerliche Sümmchen, dachte Barrios, die sie monatlich an Menschen zahlten, die entweder am Hungertuch nagten oder einfach charakterlos genug waren, um für eine Handvoll Greenbacks alles zu machen, was man von ihnen verlangte.
So oder so. Cariaga konnte es gleichgültig sein, da man sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie alte Glühlampen ersetzen konnte. Mit dem Italiener, den ihm Barrios an den Konferenztisch zu setzen beabsichtigte, wird es sicher nicht ganz so einfach sein.
Die raffinierten Kniffe, mit denen der Kerl ankam und dann die Art, wie er sie präsentierte. Während stundenlanger Meetings zog dieser smarte Früchtehändler einen Trick nach dem anderen aus dem Ärmel. Der reinste Zauberkünstler.
Nur Bellini könne die aufgestauten Probleme, die mit Millionensummen unerklärlicher Herkunft zusammenhingen, sicher lösen, versprach Barrios. Und nicht nur das. Selbst weitere Gewinne könnten dabei in die Kassen des Kartells geschaufelt werden.
»Was ist denn mit diesem Delegado«, ärgerte sich Cariaga, offenbar ohne den Triumph in den Augen seines Beraters zur Kenntnis genommen zu haben.
»Delegado Franciso Silveira?« Barrios zuckte mit den Schultern und lächelte vorsichtig.
»Er hat Schwierigkeiten ... privater Art. Streitereien in der Familie. Geldgeschichten natürlich. Vielleicht sogar Scheidung.«
Das war zwar reichlich übertrieben und außerdem völlig belanglos, wie Cariaga meinte. »Seine eigenen Probleme«, mokierte sich Cariaga.
Barrios war anderer Ansicht, ganz besonders was Silveira betraf.
»Der