Mario Monteiro

Das Kartell der Skorpione


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brüllte wie ein Tier.

      »Na, wie sieht’s aus?« Martinez bückte sich und hielt seinem Häftling die elektrische Glocke in die Ohrmuschel.

      »Schon aufgewacht, Freundchen? Das werden wir gleich haben! Los Joco, pump ihm mal anständig Wasser ins Maul!«

      Delegado Martinez lehnte ungeduldig an der Kerkerwand und wartete bis Joco mit dem Wasserkübel ankam.

      »Auf geht’s! Pumpen!«

      Langsam floss das Wasser aus dem Magen zurück und tropfte auf die Zementplatte. Storca kämpfte um Luft. Martinez zündete seine sechste Zigarette an.

      »Bringt mir den Kerl, gottverdammt noch mal, nicht gleich um!«

      »Der hält schon noch durch«, behauptete der Polizist mit dem Stromkabel in der Hand. »Kriegt er noch eine?«

      Unwillig schüttelte Martinez den Kopf. »Zwei Minuten Pause. Dann Phase 3!«

      Der Gefesselte schien nichts mehr mitzukriegen. Mit blutunterlaufenen Augen, aufgerissenen Fußsohlen und wahnsinnigen Schmerzen im Bauch war er nicht mehr fähig, Leben und Tod voneinander zu unterscheiden. Martinez stieg das Blut ins Gesicht. Er ballte die Fäuste. Gleich musste der Kerl ... Blutdruck 220, wenn nicht mehr. Adrenalinausstoß maximal. Keine 24 war der Bursche alt. Martinez starrte auf den Boden und begutachtete seine blankgeputzten Armeestiefel. Was könnten sie jetzt noch mit dem Kerlchen anstellen? Keinesfalls durfte der Bursche ins Jenseits flattern. Martinez schloss einen Moment die Augen. Dieser Kerl am Balken war hart im Nehmen. Doch dass sie alle ihre Grenzen hatten, bewiesen sie im Keller von A-17 jeden Tag von neuem. Es kam nur auf die Dosis an, die man ihnen verpasste. Auch dieser elende, hundsföttische Drogenboy wird noch beten lernen.

      »Merda maldita!« Zum dritten Mal fiel Storca in Ohnmacht.

      »Den Wasserkübel, Mensch!« Der Sergeant schüttete den Rest aus dem Eimer über Storcas Nacken. Martinez sah auf die Uhr. Viel Zeit hatte er nicht mehr. Der Untersuchungsrichter drängte. Ein anständiges Geständnis musste her und zwar etwas, das man mit gutem Gewissen vorlegen konnte und das nicht im nächsten Augenblick widerrufen wurde. Von wegen ›unter Druck gestanden‹ und solche Märchen!

      Aber davon hatte der Gefesselte, an der Schaukel zwischen Tod und Leben baumelnd, nichts ahnen können. Oder doch?

      »Morgen geht’s weiter!« Martinez spülte seinen Ärger mit billigem Fusel hinunter und riss die Stahltür auf. Raus mit ihm!

      Der Befehl war klar. Unter Schlägen und Tritten, mit denen das Opfer durch den Gang geschleift wurde, schien Storca Benitez nichts mehr wahrgenommen zu haben. Bis sie ihn in Zelle 4 auf den Boden plumpsen ließen.

      »Wenn das nur gut geht«, meinte einer der beiden, als sie den nächsten zum Verhör abholten. Wenn ihnen der Kokaboy draufgehen sollte, dann müssten sie wieder mal so ‘ne Leiche auf den ›Heidenhof‹ schaffen oder sonst wohin, wo es keine Friedhofsmauer und keine Grabsteine und kein Totenregister gab und der Richter wird sich mit einer simplen Nachricht begnügen müssen. Häftling bei Verhör entflohen ...

      Ein Funke, irgendwo zwischen ein paar Neuronen gezündet, zeigte es Storca an. Hallo Leute, bin noch da! Noch ist es nicht aus mit mir. Lebensfunktionen okay! Zug um Zug strömte Luft in die Lungen. Langsam kam er zurück. Ein krampfhaftes Lächeln. Obwohl er meinte, die Knöchel an den Fußgelenken wären kaputt und man hätte ihm die Rippen stückweise aus der Brust gerissen. Storca Benitez hatte die Hölle, die sie ihm zeigten, noch einmal überstanden.

      »Grinsen sollst du! Grins doch, du Sau!«, hatte ihm damals sein Trainer hundertmal ins Ohr geschrien. Es sei nur wie bei einer Operation im Krankenhaus. Nur eben ohne Narkose. Und dabei hatte der Kerl schallend gelacht und gleich mit Lektion 4 weitergemacht. ›Höllenschule perfekt‹ hießen die das. Umsonst war das damals nicht. 14 Tage lang hatte man ihnen nichts anderes beigebracht, als die rücksichtslosesten Methoden zu überstehen und den Folterknecht am Ende hinters Licht zu führen.

      Der Bub schrie. »Helft ihm doch«, rief er entsetzt. »Warum tut denn keiner was von euch?«

      Der stiernackige Glatzkopf baute sich vor dem Jungen auf. »Willst du vielleicht schon wieder eine?«

      Mit einem Ruck zog Robby die schmächtigen Beine noch näher an seinen Bauch, ohne den Blick von dem bewegungslosen Körper am Boden abzuwenden. Vielleicht muss er gleich sterben und kein Schwein kümmert sich um ihn. Sie könnten doch wenigstens ...

      Der Hacken des Stiernackigen traf den Kleinen am Schienbein. Robby schrie auf. »Siehst du’s jetzt. Im Keller ist es nicht so bequem. Und wir kommen alle rein!«

      »Lasst ihn liegen! Boris musste es wissen. »Storca kommt schon wieder hin.« Gestern hatten sie ihn selbst in der Mache. Doch aus irgendeinem Grund war Storca den Polizisten wichtiger.

      Boris und Storca waren sicher Freunde. Das war dem Buben seit gestern klar. Oder war das schon vorgestern gewesen, gleich nach dem Aufwachen? Robby strengte sich an. Er musste sich doch erinnern können. Wenigstens noch wissen, wie lange schon ...

      Wenn das schon so anfing! Genau wusste man in diesem Scheißloch überhaupt nichts mehr. José und Teobaldo stierten nur noch vor sich hin und seit einer halben Stunde fiel kein Wort mehr zwischen den beiden. Woher sollten sie wissen, was der Martinez mit ihnen noch vorhatte. Und wie lange er sie hier unten im Dreck vergammeln lässt. Gestank bis ins Hirn, saurer Schweiß und der Seich in der Ecke, weil das Wasser weg war. Wie lange noch?

      So schnell kommt da keiner raus, hatten sie dem Kleinen gleich am Anfang prophezeit. Robby fuhr durch die klebrigen Haare und versuchte, seinen Rücken dicht an die Mauer zu pressen. Der Riese mit der spiegelglatten Glatze stand immer noch vor ihm und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Dino war gemeiner als ein halbes Dutzend Polizisten. Wehe, wenn man diesem Teufel nur ein paar Sekunden zu lange ins Gesicht sah. Am besten war es immer noch, so zu tun als hätte man nicht die geringste Angst vor ihm und sei mit etwas ganz Wichtigem beschäftigt. Zum Beispiel mit Zugucken bei den Kartenspielern oder mit der schrecklichen Wand, keine zweieinhalb Meter von ihm gegenüber. Das mit der Wand war ihm nur im letzten Moment eingefallen. Dabei hatte er solche Angst, Dino könne gleich wieder zuhauen. Vielleicht steckte dieser Teufel sogar mit den Polizisten unter einer Decke.

      »Passt dir was nicht?«, erkundigte sich Dino und ließ seine schiefen Zähne sehen. Robby zog das Genick ein.

      »N...ein, n...ein.« Wenn er nur wüsste, was er schnell sagen könnte. Dino setzte seinen verkrusteten Leinenstiefel so dicht vor den Buben, dass der Kleine kaum zu atmen wagte.

      Wie lange ...? Robby sah an dem Riesen hinauf. Ganz zusammengebogen musste man dasitzen, wenn Dino kam. Da ihm der Kerl auch noch die Sicht versperrte, sah der Junge nur gewaltige Fäuste vor seiner Nase baumeln.

      »Zieh deine Haxen an! Oder glaubst du vielleicht, die lassen uns da unten so viel Platz, dass sich jeder hinhaun kann, wie’s ihm gerade passt?«

      Robby umschlang seine Knie und zog sie halb in den Bauch. Aus.

      Endstation. Der Arsch brannte wie Feuer. Dauernd musste man sich kratzen.

      »Kommt von der Schmiere auf dem Boden«, erklärte sein Nachbar. „Wart mal ab ... in ein paar Tagen ... wie das dann schön juckt.«

      Dazu grinste der Kerl auch noch.

      »Zellenreinigung montags. Alles nur Geschwätz. Scheißhausparolen, nix dahinter.«

      Montags? Wer wusste schon, wann Montag war oder Mittwoch und bis wann man überhaupt ... und bis wann das Wasser wieder käme. Der Alte über dem Klo zupfte in seinem Backenbart, in dem die Krätze hauste. Das Trinkwasser, das ihm die Wache brachte, hielt keine zehn Minuten. Den Rest nahm ihm Dino weg. Robby schielte auf das aschgraue Gesicht von Opa. Ganz schrecklich sah der Alte aus.

      »Grau, meinst du?«, fragte Robbys Nachbar. »Guck doch genau hin.«

      »Grün? Mhm, sieht richtig grün aus und blau um die Nase rum und unter den Augen.«

      »Scheint so.«