Mario Monteiro

Das Kartell der Skorpione


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sah. Er klopfte seinem Nachbar auf die Schulter.

      »Meinst du nicht auch, der Martinez weiß gar nicht, was er mit ihm machen soll?«

      »Die lassen ihn doch nur verfaulen, bis er von selber draufgeht. Einfach verfaulen lassen! Hast Du endlich kapiert?“

      Robby stieß mit dem Hinterkopf gegen die Wand. So gemein. Der alte Mann. Soviel konnte der doch gar nicht angestellt haben. Er gehört ins Krankenzimmer.«

      »Halts Maul!« Der Gefangene neben Robby schielte zu Dino hinüber. »Oder willst du noch ein paar?«

      Robby hielt sich Mund und Nase zu. Verfaulen lassen! Schweine! Gleich wird es Opa würgen und dann geht’s wieder los mit der Kotzerei und die anderen schlagen ihn dann, weil er alles versaut.

      »Weggucken, Junge! Einfach nicht hingucken. Sonst drehste gleich in der ersten Woche durch.«

      Opa müsse starke Schmerzen haben, flüsterte Robby. »Ganz schlimme sogar!« Man musste ihm doch helfen. Und warum stießen sie ihn überhaupt hier herein? Das hätten sie nicht tun dürfen.

      »Er gehört in ein Krankenzimmer«, sagte Robby schon wieder.

      »Halt die Klappe!« warnte ihn der Mann neben ihm und sah warnend zu Dino hinüber.

      Robby schüttelte den Kopf. Soviel hatte der Opa in seinem Alter doch nicht anstellen können. Verfaulen lassen wollten sie ihn hier. Diese Schweine! Gleich wird er wieder würgen und in den Abfluss kotzen, vermutete der Bub. Seit Stunden kniete er dort auf dem Boden und hielt sich an dem verschmierten Rohr fest, bis der nächste Anfall kam. Dann hielt er seinen Kopf jedes Mal dicht über die Scheiße, die nicht abfließen konnte, weil kein Wasser da war und wenn die Kotze auf den Boden klatschte, dann schlugen sie wieder zu und stießen im Dunkeln mit den Füßen nach ihm und dann lag er wieder in der Ecke und weinte still vor sich hin.

      »Weggucken, Jung! Einfach nicht gucken! Sonst drehste gleich in der ersten Woche durch«, sagte der Gefangene, der von Dino eine unter die Kniescheibe kriegte und froh war, ein paar Minuten neben Robby hocken zu können.

      »Der Alte hat doch seit zwei Tagen schon nix mehr gefressen. Weiß ja gar nicht ... aber mit leerem Magen kotzt sich’s schlecht.«

      Er müsse starke Schmerzen haben, flüsterte Robby. »Das kann doch jeder sehn.«

      »Kann schon sein.«

      »Warum holen sie dann keinen Doktor?«

      »Pst, Jung!« Der Häftling grinste den Jungen an. »Doktor? Bist wohl zum ersten Mal im Knast ... Fischchen?«

      Robby nickte. Fischchen, hatte er gesagt. Vielleicht hatte er Recht. Mit der Zeit könnten sie alle zu Fischen werden. Stumm und plattgedrückt, mit einem schmalen Kopf und glitschig auf der Haut. Nur rausschwimmen, das konnte keiner von ihnen. Robby fuhr sich mit klebrigen Händen übers Gesicht, um festzustellen wie er jetzt aussehen könnte. Im Alteisenlager in Belfort Roxo, in dem sie ihn ein paar Nächte lang schlafen ließen, hing immer ein Spiegelscherben am Pfosten.

      »Lieber keinen Spiegel!« sagte sein Zellengenosse und lachte leise.

      »Wenn du da reinguckst, kennst du dich selber nicht mehr. Hab gleich geseh’n, dass du noch neu bist! Wenn du erst mal so weit bist und auf deinen dritten oder vierten Prozess wartest ...«

      Robby starrte ihn an. Der Häftling schüttelte sich.

      »Kleine Kinder allmählich ... was wollen die denn mit dir? Schon richtig was ausgefressen?« Fragend sah er Robby ins Gesicht.

      »Du dürftest doch hier gar nicht ... nein eigentlich nicht!«

      Aber was sollte das alles für einen Sinn haben? Das Kerlchen wird das sowieso nicht begreifen. Jetzt jedenfalls noch nicht.

      Robby kratzte sich zwischen den Zehen. Dort juckte es am meisten. Aber wenigstens hatte er jetzt einen Nachbarn, der ihn nicht dauernd schlug und ab und zu den Mund aufmachte und nicht stumm wie ein Halbtoter an der Wand lehnte.

      »Glotz bloß nicht dauernd zum Opa rüber.« Sicher meinte es der Strolch ganz gut mit ihm. Aber wohin sollte Robby denn hingucken?

      Nach irgendwohin musste schließlich jeder gucken. Die meisten stierten nur vor sich hin. Oder zerdrückten die Käfer mit Daumen und Handballen und warfen sich die Viecher gegenseitig ins Gesicht.

      Zum Glück hatte sich Dino abgewandt, um sich mit ›Patinho Feio‹ zu befassen. Bis jetzt wusste niemand, wie der Häftling zu diesem Namen gekommen war. Nur einer der Insassen behauptete, ›Patinho‹ von draußen zu kennen. Wegen einem Ding, das sie zusammen gedreht hatten. Doch ›Patinho‹ stritt es ab. Rumm! Schon hatte er Dinos Pranke im Gesicht.

      »Warum Mensch?«, schrie ›Patinho‹. Dann kriegte er die zweite und kippte um.

      Der Opa über dem Klo fasste an seinen Hinterkopf. Die wenigen Haare, die ihm noch blieben, waren ineinander verklebt und auf der vergrätzten Kopfhaut standen dicke Schweißperlen. Mit zitternden Fingern versuchte er, sie fortzuwischen und dabei hielt er sich mit der linken Hand an dem Abflussrohr fest und zupfte schaumigen Speichel aus seinem Backenbart. Im aufkommenden Zwielicht verblasste der grausige grünschwarze Belag, der im Lauf der Zeit die ganze Wand überzogen hatte. Am schlimmsten sah es in den Ecken aus. Dort hatte sich zentimeterdicker Schimmel ausgebreitet und selbst Fotzen und Riesenschwänze, sicher schon seit Jahren in abbröckelnden Gips eingeritzt, waren da und dort überwuchert.

      Robby fielen die vielen heimtückischen fleischfressenden Pflanzen ein, die er einmal in einem Film gesehen hatte und denen man unter keinen Umständen entgehen konnte, weil sich ihre Stiele schlangenartig nach allen Seiten hin bewegten und nach einem schnappten, wo immer man auch stand.

      Lange silbrige Fäden klebten an giftgrünem Flaum und hingen von dort herab bis auf die glitschigen Bodenplatten, auf denen dampfende Nässe stand.

      »Wie besoffene Tölpel ... Vollidioten, das seid ihr alle!«

      Au weh! Robby duckte sich, als Dino in seiner Nähe stand. Einer der ›Neuen‹, die sie am Nachmittag anschleppten, glitt auf dem nassen glitschigen Boden aus und stürzte über die Mitgefangenen, die im Schneidersitz in der Mitte der Zelle hockten und aufbrüllten und um sich schlugen, während sich einer der Burschen neben Robby in die Ecke quetschte.

      »Verdammte Sauerei!« Dino versuchte, sicher aus reiner Langeweile, den voll gestopften Kerker abzuschreiten und stieß jeden, der ihm im Weg war, mit derben Tritten zur Seite.

      »Zwölf Quadratmeter höchstens!« Neunzehn hätten sie in diesem Scheißloch eingebuchtet. Dino stapfte zentimeternah an Robby vorbei und grinste den Jungen an, während er seine Hand vorschnellen ließ. Robby wich zur Seite. Dino schnappte nach dem ›Neuen‹, packte ihn im Genick und ließ ihn aufschreien.

      »Oder hab ich mich verzählt? Sag schnell, hab ich mich geirrt?«

      »N ... ein, du hast dich nicht ... au!« Robby sah weg. Der Junge neben ihm war weiß wie Schnee und starrte dem Riesen auf den halb offenen Mund, aus dem ihn ein paar abgewetzte schwefelgelbe Zähne angrinsten. Dino grinste und stieß ihn gegen die Mauer, hob dann die gewaltige Pranke ein zweites Mal, schien es sich aber anders zu überlegen.

      Hoffentlich machte er sich nicht an den armen Opa ran. Der alte Mann hatte plötzlich mit seiner Spuckerei aufgehört. Robby zitterte jedes Mal, wenn Dino in der Nähe stand. Drüben gurgelte es wieder.

      Der Abfluss! Mehr wie drei Schritte dahin waren es nicht.

      Vielleicht getraute sich Opa nur nicht auf die Beine, weil ihn keiner neben sich haben wollte oder weil er sich nicht mehr aufrappeln konnte. So schwach wie er war. Und er durfte doch nichts verschmutzen. Sonst kriegte er von neuem und dann lachten sie und stießen ihn wieder in die Brühe.

      Robby versuchte den Atem anzuhalten. Dann stach es zwischen den Rippen. Der Gestank aus dem Abfluss. Und der Schweißgeruch der Halbnackten, die sich auf dem Boden breitmachen wollten.

      Sie werden uns alle in unserem eigenen