Klaus-Peter Enghardt

Im Paradies des Teufels


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bei unserem ersten Blickkontakt befiel mich eine starke Sympathie zu diesem mir völlig unbekannten Menschen und ich spürte, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte.

      Die Achtung der ägyptischen Arbeiter vor diesem Mann und der sich entwickelnde Einfluss zu ihnen trugen dazu bei, dass er von seinen Kollegen zum Sprecher und von den deutschen Kollegen schon bald zum Vorarbeiter bestimmt wurde.

      Er war ein sehr ruhiger, besonnener Mann mit einer tiefen, sympathischen Stimme. Schon am ersten Tag kamen wir beide ins Gespräch und ich stellte sofort fest, dass er nicht nur äußerst höflich, sondern darüber hinaus auch sehr intelligent war.

      Er sprach mich grundsätzlich mit „Sir“ an und hatte große Achtung vor mir, obwohl ich wesentlich jünger war als er. Ihm fiel sofort auf, dass ich den ägyptischen Arbeitern englische Arbeitskommandos gab und dass einige der Männer mich deshalb nicht verstanden, da ein Großteil aus einfachen, ungebildeten Schichten stammte.

      So war es bisher zuweilen vorgekommen, dass Arbeiten falsch oder nicht vollständig erledigt wurden und das war ärgerlich.

      Er bot mir deshalb an, mir die arabische Sprache in ihren Grundzügen beizubringen, vor allem die Zahlen und die Bezeichnungen, die für unsere Arbeit wichtig waren.

      Mohammed sprach ein ausgezeichnetes Englisch, was mir sehr entgegenkam, da ich auf diese Weise auch mein Schulenglisch verbessern konnte. Außerdem beherrschte er die persische und die türkische Sprache perfekt. Den Grund für seine Vielsprachigkeit erfuhr ich einige Zeit später, als wir uns angefreundet hatten und er mir an zahlreichen Abenden seine außergewöhnliche und überaus spannende Lebensgeschichte erzählte, die mich noch viele Jahre später auf eine besondere Weise beschäftigen sollte.

      Als hätte ich das zu jenem Zeitpunkt bereits geahnt, machte ich mir von Mohammeds Berichten Stichpunkte in meinem Notizbuch, in dem ich auch sämtliche arabische Vokabeln notierte, die er mir beibrachte. Ich notierte mir Orte, die mir unbekannt waren, Angaben über seine Stationen in der Türkei, in Syrien oder in Ägypten, um dies alles später einmal in Landkarten suchen zu können oder in Lexikas nachzulesen. Das Internet gab es ja zu jenem Zeitpunkt leider noch nicht.

      Eines Abends lud mich Mohammed zu sich in die Unterkunft ein und es war das erste Mal, dass ich im Camp der ägyptischen Arbeiter zu Besuch war. Wir saßen draußen vor den Unterkünften, er bot mir Tee an und wir rauchten eine Zigarette. Nach einer Weile bat er mich, ihm von meinem Leben zu erzählen. Es genügte tatsächlich ein einziger Abend, um die Erlebnisse und die wichtigsten Ereignisse meines Lebens zusammenzufassen.

      Mohammed versprach mir anschließend, an den kommenden Abenden seine Lebensgeschichte zu erzählen und ich war sehr gespannt darauf, denn es sprach einiges dafür, dass dieser Mann eine Menge erlebt hatte.

      Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Mohammed ein Geheimnis umgab.

      Bereits am nächsten Abend ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch.

      Wir setzten uns auf unsere Bank, zündeten uns zwei Zigaretten an und schließlich eröffnete mir Mohammed, dass er mir seine Lebensgeschichte erzählen möchte – eine Geschichte, deren Tragweite mich an jenem Abend und auch an den Abenden darauf sehr erschütterte. Er verriet mir, dass es nicht viel mehr, als eine Handvoll Männer gab, denen er diese Geschichte im Verlauf von neununddreißig Jahren berichtet hatte, und es zeugte von seinem großen Vertrauen zu mir, dass er auch mich in sein Lebensgeheimnis einweihen wollte.

      Wir saßen auf der kleinen, wackeligen Bank, zogen an unseren Zigaretten und blickten in den sternenklaren Himmel.

      Mohammed wurde seltsam ernst, schaute auf eine unbestimmte Stelle in der Ferne und begann mit seiner tiefen, sanften Stimme zu erzählen. Ich war sofort gebannt und obwohl unser Gespräch auf Englisch geführt wurde, verstand ich jede Einzelheit.

      Schon am ersten Abend wusste ich, dass dieser Mann die Wahrheit sagte. Ich spürte das an seinen Emotionen. Er sprach von Orten, von denen ich noch nie in meinem Leben gehört hatte, und von Abenteuern, die so unglaublich klangen, dass sie einfach wahr sein mussten. So etwas konnte sich kein Mensch ausdenken.

      Seine Lebensbeichte, die mit einer Messerstecherei begann, als er seinem Vater mit neunzehn Jahren zu Hilfe sprang, zog sich über viele Abende hin und berührte mich tief. Es war für mich fast unvorstellbar, dass dieser Mann, der wie selbstverständlich neben mir saß, diese Fülle an Abenteuern und Schicksalsschlägen überstanden hat, ohne daran zu zerbrechen.

      An jenen Abenden grenzenloser Vertrautheit, hatte ich nicht geahnt, dass mich sein spannendes Leben fünfundzwanzig Jahre nach seinen Ausführungen noch immer nicht loslassen, und ich eine Möglichkeit finden würde, um Mohammed auf eine ganz besondere Weise zu würdigen.

      An einer Stelle, als Mohammed von seiner Heimat und seinem Zuhause sprach, brach er plötzlich seine Erzählung ab und schwieg sichtlich aufgewühlt.

      Ich dachte bewegt: „Wo ist denn eigentlich nach über dreißig Jahren sein Zuhause? Ist es nicht längst in Ägypten oder war es noch immer in Zehnever, am Urmiasee im Norden Persiens?

      Gab ihm Allah in diesen Tagen eventuell ein Zeichen, dass Mohammed inzwischen nur noch wenige Kilometer vom Iran entfernt lebte. Könnte es für ihn gar einen versöhnlichen Ausgang dieser „Reise“ geben?

      Mohammed hatte wohl noch nie intensiv darüber nachgedacht, doch nachdem er mir seine Lebensgeschichte erzählt hatte, schienen die Bilder aus seiner Jugend an ihm vorüberzuziehen und etwas in seinem Inneren auszulösen. Er hatte sein Elternhaus seit der Messerstecherei nie mehr wiedergesehen und es war ihm auch in all den Jahren nicht möglich gewesen, Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen. Sein unstetes Leben trug dazu bei, dass er nie eine eigene Familie gründen konnte.

      Dieses Glück war ihm leider versagt geblieben und ich glaube, dass er sehr darunter litt.

      Als er, der wesentlich Ältere und Lebenserfahrenere, mich dann fragte, was ich an seiner Stelle tun würde, dachte ich einen Moment nach und antwortete ihm ehrlich: „Mohammed, Freund, du bist so nahe an deiner Heimat, wie du vielleicht nie mehr sein wirst. Du hast tausende Kilometer hinter dich gebracht, was sind da die fünfhundert Kilometer bis nach Hause? Es wird nichts mehr so sein, wie du es kanntest, vielleicht leben deine Eltern nicht mehr, aber du hast Geschwister. Und sollte ein Mann sein Leben nicht in der Heimat beschließen? Mache Frieden mit dir selbst und höre auf zu zweifeln. Kein Mensch wird dich nach so vielen Jahren noch wegen deiner Notwehrtat bestrafen wollen. Kehre in deine Heimat zurück!“

      Mohammed antwortete mir nicht, aber in seinem Inneren arbeitete es. Schließlich legte er seine Hand auf meinen Arm, nickte leicht und sagte bewegt: „Thank You, Mr. Pieter, Sir. No other man i can talk like you with. I’ll do what you advise me.“ („Mit keinem Mann kann ich sprechen wie mit dir. Ich werde tun, was du mir rätst.“)

      Sein Angebot, mich sprachlich unter seine Fittiche zu nehmen und sich mit mir abends zu unterhalten, war für Mohammed wie eine Art Vaterrolle, aber auch ich genoss die Zeit mit ihm. Wir verbrachten in den nächsten Wochen viele solcher Abende, an denen er mir von seinen zahlreichen Abenteuern erzählte oder mich in der arabischen Sprache unterrichtete.

      Während der folgenden Wochen und Monate erlernte ich die arabische Sprache so weit, dass ich mich mit den ägyptischen Arbeitern und den Händlern in ihrer Sprache unterhalten konnte.

      Ein weiterer Vorteil bei den Verhandlungen auf den Basaren war mein fast arabisch zu nennendes Aussehen.

      Mit der Zeit eignete ich mir auch die arabische Gelassenheit an, ohne die man in einem arabischen Land nur schwer bestehen konnte.

      Dass ich abends oft mit Mohammed zusammen saß, gefiel einigen meiner deutschen Kollegen nicht so gut, weil sie dachten, dass sich die ägyptischen Arbeitskräfte auf diese Weise einen Vorteil verschaffen wollten.

      Als Leitmonteur war ich für den reibungslosen Arbeitsablauf an meinem Arbeitsplatz verantwortlich und das schloss für mich auch einen kollegialen Umgang mit den ägyptischen Kollegen ein. Ich konnte mich auf ihre Arbeit nur dann verlassen, wenn ich sie als gleichwertige Arbeitskräfte behandelte und das funktionierte nur, wenn mir die Ägypter vertrauten und wussten,