Tommy Krappweis

Ghostsitter


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drehte sie sich nun auf dem Boden herum, sodass Welf herumgewirbelt und wie ein Sack Kartoffeln gegen die Wand geschmettert wurde. Es krachte laut und regnete dunkles Holz. Tom duckte sich mit den anderen unter den Schreibtisch und kniff die Augen zusammen.

      Als er sie wieder öffnete, war an der Stelle nur ein grobes, Welf-förmiges Loch in der Vertäfelung. Sein Onkel selbst war bereits wieder knurrend zum Angriff übergegangen und versuchte gerade mit ausladenden Bewegungen, die Frau zu erwischen. Die war aber so unglaublich schnell und gelenkig, dass Welf nichts als Luft zu fassen bekam.

      Da stieß die Frau in Rot plötzlich ein Geräusch aus, das bei Tom eine gigantische Gänsehaut verursachte. Hatte Welf vorhin wie ein Bär oder etwas in der Art geklungen, erinnerte der wütende Schrei der Frau ihn nun an eine Raubkatze. Eine große Raubkatze allerdings, so in die Richtung Löwe oder … Säbelzahntiger.

      Da bemerkte Tom eine Bewegung im Augenwinkel: Es war der Spitzbart, der sich unbemerkt an den Schreibtisch geschlichen hatte und nun tatsächlich seine Finger nach der Urkunde ausstreckte!

      Tom zögerte keine Sekunde, sprang auf und schlug dem Mann mit der Faust auf die Finger. Der jaulte laut auf und starrte ungläubig auf seine Hand. Tom starrte ebenfalls darauf, denn was er da sah, war ganz und gar unglaublich: Die Hand des Mannes war tatsächlich über und über besudelt mit … blauem Blut!? Wie konnte das sein? Was war das für ein Typ! Ein Vampir?

      Tom bemerkte, wie ihm schwindelig wurde, denn das passte nun noch weniger in seine bisherige Auffassung von Realität als eine Millionenerbschaft und eine Geisterbahn. Doch als er seine eigene Hand ansah, die immer noch zur Faust geballt war, erklärte sich sowohl der laute Schmerzensschrei als auch das vermeintlich blaue Blut: Tom hatte immer noch den Füller in der Hand gehabt, und so verbogen, wie der jetzt war, so heftig hatte er dem Spitzbart wohl auch in die Hand gepikst. Aua!

      Auch Toms Hand und Teile des Schreibtischs waren mit blauer Tinte besudelt, und der Anblick riss ihn aus seinen Überlegungen: Tinte! Unterschreiben! Verdammt!

      Sofort griff er sich die Urkunde und suchte auf dem Tisch fieberhaft nach einem weiteren Schreibgerät, um nun endlich seine Unterschrift auf das Papier zu setzen.

      Da kamen ihm die beiden Kämpfenden leider dazwischen, denn die landeten ineinander verkeilt direkt vor ihm auf dem Schreibpult und räumten dabei alles ab, was nicht angenagelt war. Und da nicht einmal der verrückte Anwalt auf die Idee gekommen wäre, irgendetwas auf seinem Schreibtisch mit Nägeln zu fixieren, flog nun alles, was darauf gestanden hatte, quer durch den Raum und verwandelte sich in gefährliche Geschosse.

      Der Spitzbart hatte sich gerade aufgerichtet und für einen Moment von der schmerzenden Hand abgesehen, als ihn ein schwerer, alter Telefonapparat direkt an der Stirn traf. Die Glocke in dem antiquierten Gerät machte beim Aufschlag effektvoll BING, und der Treffer hinterließ einen deutlich sichtbar geröteten, eckigen Abdruck am Kopf des Mannes.

      Die Frau in Rot hatte Welf gerade mit einem schwungvollen Judogriff über sich geworfen und war dann blitzschnell vom Tisch heruntergerollt.

      Keine Sekunde zu früh, denn da schmetterte Welf bereits eine schwere Sitzbank aus Eichenholz auf die Stelle, wo sie gerade noch gelegen hatte. Oma, die immer noch hinter dem Schreibtisch kauerte, ließ einen Ruf der Entrüstung hören. »Oh, Verzeihung«, brummte Welf peinlich berührt, doch da schrie Oma abermals: »Ducken!«

      Welf tat, wie ihm geheißen, und da, wo eben noch sein Kopf gewesen war, schlug ein Hängeschrank in das Bücherregal ein.

      Die Frau hat ’nen Hängeschrank geworfen!?, dachte Tom und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich könnt den nicht mal abmontieren ohne Akkuschrauber!

      Trotzdem suchte er gleichzeitig fieberhaft auf dem Boden nach irgendetwas, womit er endlich die Urkunde unterzeichnen konnte. Doch nirgends war ein Stift zu sehen.

      Da erschien plötzlich ein Schatten über ihm, und Tom fuhr herum. Der Spitzbart schaute mit wutverzerrtem Blick auf ihn herunter und rief über das Kampfgetöse hinweg: »Wenn du dieses Papier unterzeichnest, sind wir Feinde auf immer und ewig, genauso wie der alte, dumme Heinrich mein Feind war! Und sieh, was es ihm gebracht hat! Nichts außer den Tod! Willst du das gleiche Schicksal erleiden, kleiner Mann? Dann nur zu!«

      Der Typ droht mir, dachte Tom, und seine Gedanken rasten. Das bedeutet, er hat Angst, dass ich unterschreibe. Entweder, weil er unbedingt die Geisterbahn besitzen will, oder weil ich sie auf keinen Fall bekommen soll. Oder beides.

      Da verengten sich Toms Augen zu Schlitzen, und er richtete sich hinter dem Schreibtisch auf. Omas Hand, die ihn zurückhalten wollte, streifte er sanft, aber bestimmt ab.

      Dann trat Tom hinter dem Tisch hervor und stand nun direkt vor dem Spitzbart mitten im Raum.

      Mit einem lauten Rums landete Welf direkt vor ihm auf dem Boden und ließ das Parkett rundherum splittern. Tom wich nicht von der Stelle. Sofort stürzte sich die Frau in Rot wie eine Furie auf Welf, doch der war bereits wieder aufgesprungen und mit einem physikalisch unmöglich scheinenden Sprung rückwärts plötzlich hinter der Frau gelandet. Die drehte sich rum, und so standen sich nun nicht nur Tom und der Spitzbart gegenüber, sondern auch Welf und die Frau in Rot. Beide atmeten schwer und ließen sich keine Millisekunde aus den Augen.

      Hinter dem Schreibtisch lugten Oma und der Anwalt hervor. Rufus T. Feuerflieg hatte tatsächlich eine Packung Erdnüsse in der Hand und bot sie Oma freundlich an. Die lehnte mit einer unwirschen Bewegung ab. Ihre Aufmerksamkeit galt ganz dem Geschehen vor ihr, wo sich die beiden Gruppen wie in einem Duell gegenüberstanden.

      »Was ist nun, kleiner Mann«, raunte der Spitzbart. »Willst du in so jungen Jahren wirklich dein Schicksal besiegeln mit dieser törrrrichten Unterrrschrrrift?«

      Tom hielt dem Blick des Mannes stand. »Wissen Sie was? Schon allein, weil es Ihnen so wichtig ist, dass ich nicht unterschreibe, kann ich gar nicht anders.«

      Und bevor der Spitzbart eingreifen konnte, hatte Tom anstelle einer Unterschrift kurzerhand seinen tintenverschmierten Daumen auf die Stelle der Urkunde gepresst.

      Der Spitzbart sah aus, als würde er gleich explodieren. Sein Gesicht war rot angelaufen, die Backen aufgeblasen wie bei einem Trompete spielenden Marathonläufer, und der Hals drohte den Kragenknopf zu sprengen. Seine Begleitung hingegen sah Tom irgendwie komisch an – mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Frust und … Anerkennung. Doch bevor Tom das genauer analysieren konnte, fing der Spitzbart plötzlich an zu lachen.

      Irgendwie hatte Tom eher mit einem Wutausbruch gerechnet, und erst einmal wirkte dieser Lachflash ziemlich gruselig, weil er so gar nicht zu der Situation zu passen schien.

      Doch als Tom sich den lachenden Mann genauer ansah, bemerkte er ein interessantes Detail: Die Augen lachten gar nicht mit. Der Typ verzog zwar den Mund und machte auch ein Geräusch, das wie Gelächter klang. Aber er lachte nicht wirklich. Nein, er wollte nur, dass man dachte, er würde lachen.

      Krass, dieser Heini ist genauso künstlich wie sein aufgesetzter Akzent, dachte Tom. Allerdings machte ihn das nicht unbedingt weniger gefährlich, sogar eher mehr. So ein Typ war ganz schwer einzuschätzen, man würde nie wissen, was er als Nächstes tat. Auf jeden Fall deutlich komplizierter als der Drachenkaiser aus dem Online Game, bei dem Tom nach wenigen Sekunden schon ahnte, wie ihm beizukommen war.

      Schließlich hörte der Spitzbart auf mit dem Herumgelache, tupfte sich imaginäre Lachtränen aus den Augenwinkeln und grinste Tom an, als wolle er ihn auf einen Eisbecher einladen. »Sooo, du kleiner Rrracker, ich gebe zu, das war ein clevererrr Schachzug. Ich gratulierrre dir ganz herrrzlich und frrreue mich, dich sehr bald auf dem Platz begrrrrüßen zu dürrrfen. Meine Empfehlung an … all die anderrren.«

      Er deutete eine sehr knappe Verbeugung an, drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte mit schnellen Schritten aus der Tür, wobei sich sein schwarz schillerndes Cape so eindrucksvoll aufbauschte, dass es fast wirkte, als sei es lebendig.

      Die Frau in Rot folgte ihm, warf Tom aber noch einen letzten Blick über die Schulter zu, den er nun so gar nicht deuten konnte. Und das war selten bei Tom, denn eigentlich war er