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Der undankbare Kontinent?


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Schriften wie Vom kosmogonischen Eros, Mensch und Erde, Der Geist als Widersacher der Seele) meinte auch er, dass der Mensch des Westens sich durch den ordnenden Einsatz des Willens, dem er seine Herrschaft über die Natur verdankte, einen Verlust an Vitalität und damit einen Zug zum Abstrakten eingehandelt hatte. Der belgische Missionar ­Placide Tempels wiederum dozierte über die »Bantu-Philosophie«, zu deren Grundlagen in seinen Augen die Symbiose zwischen dem »afrikanischen Menschen« und der Natur gehörte.25 Nach Ansicht des guten Paters stellt die »Lebenskraft« das Wesen des Bantu dar. Sie entfaltet sich zwischen der Nullstufe (Tod) und dem höchsten Niveau – jenem des Mannes, der sich als »Häuptling« durchsetzt.

      Auf solchen Grundlagen – zu denen auch das Werk von Pierre Teilhard de Chardin zu rechnen wäre – ruht das Denken von ­Senghor, den Henri Guaino ins Spiel bringen möchte, um die Äußerungen seines Präsidenten durch einen afrikanischen Gewährsmann abzusichern. Weiß er denn nicht, wie unendlich viel der senegalesische Dichter bei der Formulierung seines ­Négritude-Konzepts, oder als er seine Konzepte der Kultur, der Zivilisation und sogar sein Métissage-Prinzip entwickelte, den extremsten rassistischen, essenzialistischen und biologisierenden Theorien seiner Zeit verdankte?

      Da ist aber nicht nur die koloniale Ethnologie, diese Pseudo­wissenschaft der Eroberer und all der anderen Konstrukteure eines imaginären Afrika, dem sie gern ein Anderssein andichten, um von ihrer hohen Warte herab exotische und unwandelbare Lebensformen, Manifestationen eines fremdartigen Menschseins, vorzuführen. Da sind auch Maurice Delafosse (L’âme nègre, 1921), Robert Delavignette (Les paysans noirs, 1931) und andere Demiur­gen der »afrikanischen Seele«, dieses blödsinnigen Begriffs, auf den die französischen Eliten so viel Wert legen. Da sind ferner die Erbschaft der Kolonialausstellungen, die Tradition der Menschenzoos, wie sie von Pascal Blanchard26 und seinen Kollegen analysiert wurde, sowie die Tradition der Reiseberichte, die einander an Phantastereien überbieten – von Du Chaillus Entdeckungsreisen in die Berge von Gabun bis zur Fahrt von Dakar nach Dschibuti von Marcel ­Griaule und Michel Leiris (L’Afrique fantôme), ganz zu schweigen von den sogenannten Entdeckern der »Negerkunst« (mit Pablo Picasso an der Spitze).

      Von alledem wiederum nährt sich ein rassistischer Habitus, oft im Unterbewusstsein, der weitergetragen wird von der Massenkultur mit ihren Filmen, ihrer Werbung, ihren Comics, ihrer Malerei und Fotografie und – als logische Konsequenz – ihrer Politik auf dem Niveau von Klischees wie »Y’a bon Banania«27 oder »Mon z’ami toi quoi y’en a«.28 Durch solche Produkte der Massenkultur erzeugt man Einstellungen, die keineswegs ein echtes Bemühen um das Verständnis des Anderen fördern, sondern aus diesem Anderen ein austauschbares Objekt machen, das in dem Maße interessant erscheint, als es alle Arten von Schimären und Reflexen hervorzurufen vermag.

      Der Sonderberater des französischen Staatschefs übernimmt sowohl diese Phrasenflut als auch den Kernbestand der von den Predigern der afrikanischen Ontologie aufgestellten Thesen (obgleich er vorgibt, sie zu widerlegen). Um sich selbst zu jenem Ethnophilosophen in Präsidentenfunktion zu machen, der er vielleicht werden möchte, schöpft Nicolas Sarkozy seine Hauptmotive genau aus der erwähnten Bibliothek des Kolonialismus und Rassismus. Hierauf argumentiert er gerade so, als wäre die schwammige und alles in allem bescheuerte Idee eines »afrikanischen Wesens«, einer »afrikanischen Seele«, die ihre lebende Verkörperung im »afrikanischen Menschen« fände, nicht längst zur Zielscheibe einer radikalen Kritik durch die besten afrikanischen Philosophen geworden – allen voran Fabien Eboussi Boulaga, dessen Buch La crise du Muntu durchaus als Klassiker zu werten ist.29

      Man darf sich daher nicht wundern, wenn Guainos Definition des Kontinents und seiner Menschen total negativ ausfällt. In der Sicht unseres Ethnophilosophen und Präsidenten ist der »afrikanische Mensch« ja vor allem gekennzeichnet durch das, was er nicht besitzt, was er nicht ist oder was er nie schaffte (gemäß der Dialektik des Mangels und des Versagens), oder aber durch seinen Widerstand gegen den »modernen Menschen« (gemeint ist der Weiße) – ein Widerstand, der erklärt wird mit der irrationalen Verbundenheit mit dem dunklen Zauberreich der Kindheit, mit schlichten Freuden und einem Goldenen Zeitalter, das nie existiert hat.

      Im Übrigen ist das Afrika der neuen französischen Machteliten im Wesentlichen ein ländliches Afrika, Märchenland zwischen Pastorale und Alptraum, von Bauern bevölkert, Gemeinschaft von Leidenden, die nichts gemein haben als die für alle gleiche Position am Rand der Geschichte, die da draußen hocken, dort wo es Hexer gibt, Griots, Masken und symbolträchtige Wälder, wo Fabelwesen die Quellen bewachen, mit den Flüssen singen und sich in den Bäumen verbergen, wo die Toten und die Vorfahren sprechen, und was es mehr gibt an Albernheiten rund um die angebliche »afrikanische Solidarität«, den »Gemeinsinn«, die »menschliche Wärme« und die Ehrfurcht vor den Alten und ­Oberen.

      Die Politik der Ignoranz

      Und so wird die Rede abgespult gemäß dem gesegneten Vorsatz, den Gegenstand zu ignorieren, als hätte es während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht einen beeindruckenden Zuwachs an Wissen über die Wandlungen und die longue durée der afrikanischen Welt gegeben.

      Über den unschätzbaren Beitrag, den die afrikanischen Forscher selbst zur Erkundung ihrer Gesellschaften und zur internen Kritik ihrer Kulturen geleistet haben, manchmal mit Strenge, immer mit Menschlichkeit, will ich hier gar nicht sprechen. Manche von uns Heutigen haben wichtige Beiträge zu dieser kritischen Forschung erbracht. Aber ich spreche von den Milliarden, die die französische Regierung aus ihrem eigenen Budget in dieses große Unternehmen investiert hat, so dass mir unerklärlich ist, wie vor dem Hintergrund einer solchen Investition jemand heute noch derart befremdliche Reden über den Kontinent schwingen kann.

      Was verbirgt sich also hinter dieser Politik der freiwilligen und absichtsvollen Ignoranz?

      Wie kann man sich an der Universität Cheikh Anta Diop im Dakar des beginnenden 21. Jahrhunderts hinstellen und die geistige Elite so anreden, als hätte Afrika keine eigene Tradition der Kritik, als wären Senghor und Camara Laye, diese Sänger des empfindsamen Negers und des Zauberreichs der Kindheit, nicht aus den eigenen Reihen scharf kritisiert worden?

      Wie glaubhaft kann ein Lamento sein, das aus den Afrikanern zutiefst traumatisierte Geschöpfe macht, unfähig zu selbständigem Handeln in Umsetzung wohlverstandener Eigeninteressen? Was ist das für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kontinents, die die lange Tradition der Widerstandsbewegungen total verschweigt, sowohl die Tradition des Widerstands gegen den französischen Kolonialismus wie auch die heutigen Kämpfe für die Demokratie, die keinerlei offene Unterstützung durch ein Land erfahren, das seit langem aktiv die Partei der lokalen ­Satrapen ergreift. Wie kann man uns das Hirngespinst eines Euro-Afrika versprechen, ohne nur ein Wort über die Bemühungen der Afrikaner um die Schaffung eines gesamtafrikanischen Wirtschaftsraums zu verlieren? Was ist eigentlich mit der Fülle an Informationen passiert, die das Institut für Entwicklungsforschung und die Arbeitsgruppen des Centre National de la Recherche Scientifique gesammelt haben? Was wurde aus den thematischen Schwerpunkten all der Tagungen, die afrikanische und französische Forscher zusammenführten und so viel für ein besseres Verständnis des Kontinents geleistet haben? Wie würdigt man den Idealismus, der diese Kongresse, an denen ich mehr als einmal teilnehmen durfte, inspirierte? Wie kann man so tun, als hätte nicht Georges Balandier schon in den 1950er Jahren in Frankreich selbst die fundamentale Modernität der afrikanischen Gesellschaften gezeigt;30 als hätten nicht Claude Meillassoux, Jean Copans, Emmanuel Terray, Pierre Bonafé neben vielen anderen die innere Dynamik der Ungleichheit erzeugenden Faktoren vorgeführt;31 als hätten nicht Catherine Coquery-Vidrovitch, Almeida Topor und Jean Suret-Canale (wieder neben mehreren anderen) die Brutalität der Gesellschaften, welche Konzessionen vergeben, und die Doppelbödigkeit der kolonia­len Wirtschaftspolitik deutlich gemacht;32 als hätten nicht Jean-François Bayart33 und die Revue Politique Africaine mit der Illusion aufgeräumt, die afrikanische Unterentwicklung erkläre sich durch Afrikas »Abkehr von der Welt«; als hätte nicht Jean-Pierre Chrétien neben vielen anderen Geographen den sich in nachhaltigen Agrartechniken manifestierenden Erfindungsreichtum bewiesen;34 als hätten nicht Alain Dubresson, Annick Osmont und andere das unglaubliche Völkergemisch in den afrikanischen Städten dargestellt;35 als hätte nicht Jean-Pierre Warnier die Vitalität der Wertschöpfungsmechanismen in Westkamerun beschrieben36