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Der undankbare Kontinent?


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der Welt.

      Ich bin gekommen, euch zu sagen, dass der moderne Mensch, der sich mit der Natur wieder versöhnen will, sehr viel vom afrikanischen Menschen lernen kann, weil dieser seit Tausenden von Jahren in Symbiose mit der Natur lebt.

      Ich bin gekommen euch zu sagen, dass dieser Riss zwischen den beiden Teilen eurer selbst zugleich eure größte Stärke und euer größter Schwachpunkt ist, je nachdem, ob ihr euch um die notwendige Synthese bemüht oder sie vernachlässigt.

      Doch ich bin auch gekommen, euch zu sagen, dass in euch, ihr jungen Afrikaner, zwei Erbteile angelegt sind, zwei Weisheits­stränge, zwei Traditionen, die einander lange Zeit bekämpft haben: die afrikanische und die europäische.

      Ich bin gekommen, euch zu sagen, dass dieser afrikanische und dieser europäische Teil eurer selbst eben eure zerrissene Identität bilden.

      Ihr jungen Afrikaner, ich bin nicht gekommen, euch eine Lektion zu erteilen.

      Ich bin nicht gekommen, euch zu maßregeln.

      Ich bin indes gekommen, euch zu sagen, dass der Anteil Europas, der in euch wohnt, zwar die Frucht eines großen westlichen Sündenfalls im Zeichen des Hochmuts ist, dass jedoch dieser Anteil keinesfalls unwürdig ist.

      Denn er ist der Ruf nach Freiheit, nach Emanzipation und Gerechtigkeit, nach Gleichheit von Frau und Mann.

      Denn er ist der Ruf nach universeller Vernunft und universellem Bewusstsein.

      Das Drama Afrikas besteht darin, dass der afrikanische Mensch nicht ausreichend in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden im Gleichklang mit den Jahreszeiten und für ein Lebensideal – nämlich die harmonische Beziehung zur Natur – lebt, dieser afrikanische Bauer kennt nichts anderes als die ewige Wiederkehr der Zeit, die ihren Rhythmus durch die unendliche Wiederholung der ewig gleichen Gesten und ewig gleichen Worte erfährt.

      In dieser Vorstellungswelt, wo alles immer wieder von neuem beginnt, ist kein Platz für das Abenteuer Mensch, für die Fortschritts­idee.

      In diesem geistigen Kosmos, wo von der Natur alles vorgegeben wird, ist der Mensch zwar von der Angst gegenüber der Geschichte, von dieser Pein des modernen Menschen verschont, aber der Mensch bleibt unbeweglich: verhaftet in einer unverrückbaren Ordnung, wo alles von Anbeginn festgelegt scheint.

      Niemals schwingt sich da der Mensch auf zur Zukunft. Niemals kommt es ihm in den Sinn, aus der Sphäre der Wiederholung herauszutreten, um sich eine eigene Bestimmung zu erschließen.

      Dies ist – gestatten Sie einem Freund Afrikas, das auszusprechen – das Problem Afrikas. Die Herausforderung besteht für Afrika darin, mehr in die Geschichte einzutreten. In sich selbst die Energie, die Kraft, den Wunsch und den Willen zu finden, die notwendig sind, um seiner eigenen Geschichte zuzuhören und sie sich anzueignen.

      Das Problem Afrikas besteht darin, dass dieser Kontinent die unablässige Wiederholung, das unablässige Wiederkäuen des Selben aufgeben muss, sich vom Mythos der ewigen Wiederkehr befreien, sich verdeutlichen muss, dass das goldene Zeitalter, dem er unentwegt nachtrauert, nicht mehr wiederkehrt, ganz einfach weil es nie existiert hat.

      Das Problem Afrikas besteht darin, dass dieser Kontinent, während er die Gegenwart erlebt, zu sehr in der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies der Kindheit verfangen ist.

      Das Problem Afrikas besteht darin, dass dieser Kontinent die Gegenwart allzu oft an einer nicht realen, sondern bloß vorgestellten Reinheit des Ursprungs misst, die wieder auferstehen zu lassen in niemandes Macht steht.

      Das Problem Afrikas besteht darin, dass dieser Kontinent nicht eine mehr oder weniger mythische Vergangenheit zur besseren Verkraftung der Gegenwart, sondern mit seinen ureigenen Mitteln eine Zukunft erdenken soll.

      Das Problem Afrikas besteht darin, dass dieser Kontinent sich nicht auf die Rückkehr des Unheils einstellen soll, so als ob sich dieses durch alle Zeiten hindurch immer wiederholte, sondern dass er wünschen und sich selbst befähigen soll, das Unheil abzuwenden, denn Afrika hat wie alle anderen Kontinente ein Recht auf das Glück.

      Das Problem Afrikas besteht darin, dass dieser Kontinent sich selbst treu bleiben und zugleich nicht erstarren soll.

      Die Herausforderung besteht für Afrika darin, dass es lernen muss, seinen Zugang zum Universellen nicht als Selbstverleugnung, sondern als Vollendung zu sehen.

      Die Herausforderung besteht für Afrika darin, dass es lernen muss, sich selbst als den Erben des Universellen, das in allen menschlichen Kulturen enthalten ist, zu fühlen.

      Es muss sich Menschenrechte, Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit als gemeinsames Erbe aller Kulturen und aller Menschen aneignen.

      Es muss sich die moderne Wissenschaft und Technik als Errungenschaft des gesamten menschlichen Geistes aneignen.

      An Afrika stellt sich dieselbe Herausforderung wie an alle Gesellschaften und Kulturen, wie an alle Völker, die ihre Identität zwar bewahren, aber sich nicht abkapseln wollen, weil sie wissen, dass Abkapselung tödlich ist.

      Kulturen sind dann groß, wenn sie an der weltweiten Vermischung des menschlichen Geistes teilhaben.

      Sich an dieser weltweiten kulturellen Vermischung während langer Zeit nicht beteiligt zu haben schwächte Afrika, auf dessen Boden ja so viele prachtvolle Kulturen entstanden waren. Der Preis für diesen Rückzug aus den Weltentwicklungen sollte ein hoher werden: Afrikas Verletzbarkeit und Prekarität. Aber aus dem Unheil schöpfte Afrika neue Kräfte, indem es sich nun seinerseits vermischte. Und diese Vermischung – unter welchen peinvollen Umständen sie auch immer zustande gekommen sein mag – ist die wahre Stärke und die wahre Chance Afrikas jetzt, wo die erste planetarische Gesellschaft entsteht.

      Jenseits aller Verbrechen und aller Fehler, die in ihrem Namen begangen wurden und die unentschuldbar sind, haben die islamische Kultur, das Christentum und die Kolonisation doch die Herzen und den Geist der Afrikaner für das Universelle und für die Geschichte geöffnet.

      Ihr jungen Afrikaner, lasst euch eure Zukunft nicht entwenden von jenen, die auf Intoleranz nur mit Intoleranz und auf Rassismus nur mit Rassismus antworten!

      Ihr jungen Afrikaner, lasst euch eure Zukunft nicht entwenden von jenen, welche euch einer Geschichte berauben wollen, die auch euch gehört, weil sie die peinvolle Geschichte eurer Eltern, eurer Großeltern und eurer Vorfahren war!

      Ihr jungen Afrikaner, hört nicht auf jene, welche unter Berufung auf die Tradition den Austritt Afrikas aus der Geschichte betreiben, denn ein Afrika, in dem sich nichts mehr ändern darf, wäre erneut zur Knechtschaft verdammt!

      Ihr jungen Afrikaner, hört nicht auf jene, welche euch hindern wollen, am Abenteuer der Menschen so teilzuhaben, wie es euch zusteht, denn ohne euch, ihr jungen Afrikaner, die ihr die Jugend der ganzen Welt seid, ohne euch wäre das Abenteuer der Menschen nicht so schön!

      Ihr jungen Afrikaner, hört nicht auf jene, welche euch entwurzeln, euch eurer Identität berauben wollen, welche alles Afrikanische, die ganze Mystik, die Religiosität, die spezifisch afrikanischen Fühl- und Denkweisen endgültig ausradieren wollen, denn wer den Austausch anstrebt, muss auch etwas geben können, denn wer mit den anderen sprechen will, muss ihnen auch etwas sagen können!

      Ihr jungen Afrikaner, hört vielmehr auf die große Stimme des Präsidenten Senghor, der sein ganzes Leben lang bemüht war, die Erbteile und Kulturen, in deren Mitte die Zufälle und Tragödien der Geschichte den afrikanischen Kontinent gestellt hatten, mitein­ander zu versöhnen!

      Dies sagte er, der Sohn aus Joal, der mit den Gesängen der Griots aufgewachsen war, ja, dies sagte er: »Wir sind kulturelle Mischlinge; wir fühlen zwar als Schwarze17, aber wir teilen uns auf Französisch mit, weil das Französische eine Sprache universeller Bestimmung ist und unsere Botschaft sich auch an die Franzosen und an alle Menschen richtet«.

      Und er sagte auch: »Das Französische schenkte uns durch seinen Wortschatz die in unseren Muttersprachen so seltenen Abstrakta. Bei uns haben die Wörter einen natürlichen Nimbus aus Erdsaft und Blut; die Wörter des Französischen hingegen