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Der undankbare Kontinent?


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sprach Léopold Senghor, der all dem, was die Menschheit an Intelligenz in sich birgt, zur Ehre gereicht. Dieser große Dichter und große Afrikaner wollte, dass Afrika, ein neues Zeichen setzend, mit der ganzen Menschheit spricht, und so schrieb er auf Französisch Dichtungen für alle Menschen.

      Diese Dichtungen brachten für alle Menschen die Kunde von Fabelwesen, die Quellen bewachen, in Flüssen singen, sich in den Bäumen verbergen.

      Es waren Dichtungen, durch die die Menschen wieder die Stimmen der Verstorbenen einer Dorfgemeinschaft, die Stimmen der Ahnen vernehmen konnten.

      Dichtungen, die durch einen Wald von Symbolen zurück zu den Ursprüngen des von Generation zu Generation überlieferten Gedächtnisses führten, jenes Gedächtnisses, das jedes Volk tief in seinem Bewusstsein bewahrt, so wie der erwachsene Mensch in sich das Glück der Kindheit bewahrt.

      Denn jedes Volk hat einmal die Zeit des ewigen »Jetzt« erlebt, die von dem Wunsch bestimmt war, das Universum nicht zu beherrschen, sondern in Übereinstimmung mit ihm zu leben. Zeit der Empfindung, des Instinkts, der Intuition. Zeit des Geheimnisses und der Initiation. Mystische Zeit, wo das Heilige allgegenwärtig war in einer Welt der Zeichen und gegenseitigen Entsprechungen. Es ist dies die Zeit der Magier, der Zauberer, der Schamanen. Die Zeit des hohen Worts, das von den Menschen geachtet, von den Generationen weitergegeben wird und das über Jahrhunderte heilige Erzählungen überliefert, die so alt sind wie die Götter selbst.

      Afrika hat die Völker der Erde an ihre gemeinsame Kindheit erinnert. Es hat ihnen die einfachen Freuden und kurzlebigen Glücksmomente dieser Kindheit, aber auch ein fundamentales Bedürfnis wieder bewusst gemacht, ein Bedürfnis, an das ich selbst so sehr glaube: das Bedürfnis, zu glauben statt zu verstehen, das Bedürfnis, zu erfühlen statt mit dem Verstand zu erfassen, das Bedürfnis, Harmonie zu leben statt Welt zu erobern.

      Wenn jemand die afrikanische Kultur als rückständig und die Afrikaner als große Kinder ansieht, dann vergisst er, dass das antike Griechenland, dem wir so viel Wissen über den Einsatz der Vernunft und des Verstandes verdanken, selbst seine Zauberer, seine Wahrsager, seine Geheimniskulte, seine Geheimgesellschaften, seine heiligen Wälder hatte und nicht zuletzt seine Mythologie, eine Mythologie aus dem Urgrund der Zeit, aus der wir heute noch ­einen unermesslichen Schatz an menschlicher Weisheit schöpfen.

      Wenn Afrika, das ja selbst große dramatische Dichtungen und tragische Erzählungen hervorgebracht hat, Sophokles lauschte, so vernahm es gewiss eine ungeahnt vertraute Stimme, und der Westen erkannte in der afrikanischen Kunst ästhetische Formen, die einst seine eigenen gewesen waren und die er nun wiedererstehen lassen wollte.

      So hört denn, ihr jungen Afrikaner, wie sehr Rimbaud Afrikaner ist, wenn er die Vokale mit Farben versieht, so wie deine [sic]18 Ahnen ihre Masken mit Farben bemalten, »schwarze Maske, rote Maske, weiß-schwarze Maske«.

      Öffnet die Augen, ihr jungen Afrikaner, und betrachtet die Welt­zivilisation nicht mehr – so wie nur allzu oft eure Vorfahren es getan haben – als Bedrohung eurer Identität, sondern als ein Gut, das auch euch gehört.

      Sobald ihr in der universellen Weisheit einen Teil jener Weisheit erkennt, den euch eure Väter überliefert haben, und sobald ihr wirklich willens seid, sie zu nützen, wird das beginnen, was ich die »afrikanische Renaissance« nennen möchte und für uns alle ersehne.

      Sobald ihr für alle vernehmbar beschließt, dass der afrikanische Mensch gerade nicht einem unausweichlich tragischen Schicksal ausgeliefert ist, sondern dass in ganz Afrika nur die Erreichung des Glücks erstrebenswert scheint, sobald ihr das tut, wird die afrikanische Renaissance beginnen.

      Sobald ihr jungen Afrikaner erklärt, dass afrikanische Politik nur das Ziel der Einheit Afrikas und der Einheit des Menschengeschlechts haben kann, sobald ihr das tut, wird die afrikanische Renaissance beginnen.

      Sobald ihr der Realität Afrikas direkt ins Antlitz seht und sie kräftig anpackt, sobald ihr das tut, wird die afrikanische Renaissance beginnen. Denn das Problem Afrikas ist, dass es ein Mythos geworden ist, den sich jeder nach Bedarf zurechtzimmert.

      Und dieser Mythos verstellt den direkten Blick auf die Realität des afrikanischen Kontinents.

      Die Realität Afrikas – ein zu starkes Bevölkerungswachstum bei zu geringem Wirtschaftswachstum. Und zu viel Hunger, zu viel Elend.

      Die Realität Afrikas – Mangel, der Gewalt gebiert.

      Die Realität Afrikas – eine zu langsame Entwicklung, eine nicht ausreichend ertragreiche Landwirtschaft, nicht genug Straßen, nicht genug Schulen, nicht genug Spitäler.

      Die Realität Afrikas – ein großer Verschleiß an Energie, an Engagement, an Talenten, an Intelligenz.

      Die Realität Afrikas – die Realität eines großen Kontinents, der alles hätte, um erfolgreich zu sein, der aber nicht erfolgreich ist, weil er sich von seinen Mythen nicht befreien kann.

      Ihr jungen Afrikaner, die Renaissance, die Afrika braucht, könnt nur ihr verwirklichen, denn nur ihr werdet dazu die Kraft haben.

      Diese Renaissance bin ich gekommen euch vorzuschlagen. Ich bin gekommen, sie euch vorzuschlagen, damit wir sie gemeinsam verwirklichen, denn von Afrikas Renaissance hängt zu einem entscheidenden Teil die Renaissance Europas und der ganzen Welt ab.

      Ich weiß, wie viele von euch in der Konfrontation mit Afrikas Schwierigkeiten den Wunsch hegen, Afrika zu verlassen.

      Ich weiß um die Lockungen des Exils, denen so viele junge Afrikaner folgen, weil sie fern der Heimat suchen, was sie in dieser nicht finden, um ihre Familie zu erhalten.

      Ich weiß, wie viel Willensstärke, wie viel Mut es braucht, um dieses Abenteuer zu wagen, um seine Heimat, das Land, wo man geboren und aufgewachsen ist, zu verlassen, um die vertrauten Orte, wo man glücklich war, um die Liebe von Mutter, Vater, Geschwistern, um jene Solidarität, jene menschliche Wärme, jene Gemeinschaftsgesinnung, die in Afrika so ausgeprägt ist, hinter sich zu lassen.

      Ich weiß, wie viel Seelenstärke es braucht, um die Entwurzelung, das Leben fern der Heimat, die Einsamkeit auf sich zu nehmen.

      Ich weiß, welchen Belastungen, welchen Schwierigkeiten, welchen Risiken diese Menschen ausgesetzt sind.

      Ich weiß, dass sie manchmal sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, um an das Ziel dessen zu gelangen, was sie für ihren Traum halten.

      Aber ich weiß auch, dass sie durch nichts zurückzuhalten sind.

      Denn nichts kann junge Menschen zurückhalten, wenn sie sich von ihren Träumen getragen glauben.

      Ich glaube nicht, dass die jungen Menschen Afrikas nur wegziehen, um der Not zu entkommen.

      Ich glaube, dass die jungen Menschen Afrikas ihr Land verlassen, weil sie wie alle jungen Menschen die Welt erobern wollen.

      Wie alle jungen Menschen haben sie Lust auf das Abenteuer und Sehnsucht nach der weiten Welt.

      Sie wollen selber sehen, wie man anderswo lebt, denkt, arbeitet, studiert.

      Afrika wird seine Renaissance nicht verwirklichen, wenn es seiner Jugend die Flügel stutzt. Afrika braucht doch seine Jugend.

      Afrikas Renaissance wird beginnen, sobald man die Jugend Afrikas lehrt, mit der Welt zu leben, statt sich ihr zu verweigern.

      Die Jugend Afrikas muss das Gefühl bekommen, dass ihr die Welt ebenso gehört wie allen anderen jungen Menschen auf unserer Erde.

      Die Jugend Afrikas muss das Gefühl bekommen, dass alles möglich wird, genauso wie den Menschen der Renaissance alles möglich schien.

      Nun, ich weiß sehr gut, dass die Jugend Afrikas nicht als einzige in der Welt Hausarrest bekommen darf. Sie kann nicht als einzige in der Welt nur wählen dürfen zwischen illegaler Immigration und fatalem Rückzug auf sich selbst.

      Es muss ihr möglich sein, außerhalb Afrikas die Kompetenz und die Bildung zu erwerben, die sie daheim nicht erwerben könnte.

      Aber sie ist es der afrikanischen Erde auch schuldig, ihr die erworbenen Fähigkeiten