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Charlotte Ueckert
Die Erben der Etrusker
Literarische Reisebilder aus Latium und der Toskana
Le eredità degli Etruschi
Immagini di viaggio letterarie dal Lazio e dalla Toscana
Reiseerzählung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Charlotte Ueckert, Die Erben der Etrusker Verlag Josefine Rosalski, Berlin 2013
1. Auflage 2013, © edition ♦ karo
im Verlag Josefine Rosalski, Berlin
www.edition-karo.de, alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto außen: Etruskische Wandmalerei, um 470 v. Chr., © akg-images, Berlin Fotos Porträt und Frontispiz: © Charlotte Ueckert
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
ISBN 9783937881959
Etruskische Sarkophage im Hof des Nationalmuseums von Tarquinia
Inhaltsverzeichnis
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Eine von vielen bin ich, die es in den Süden zieht. Reisen nach Italien im Laufe der Jahre sind für jeden Nordländer fast eine Selbstverständlichkeit. Reisen in eine Gegend, die fähig ist, Bedürfnisse nach Fremde und Heimat zugleich zu erfüllen. Ich habe mich dem Versuch gestellt, mir das Fremde vertraut zu machen und dabei entdecken müssen, wie verschieden es ist von dem, was ich kenne. Je mehr ich erfahre, je mehr ich verstehe, umso besser erkenne ich die Differenzen.
Wenn ich neuen Bekannten erzähle, dass ich einige Monate im Jahr in Italien verbringe, dann mit einer leichten Beschämung, weil es überhaupt nicht originell ist, als Künstlerin oder Schriftstellerin so zu leben. Ich beuge mich einem Klischee, dem viele verfallen sind, das ist mir klar, aber ich beuge mich mit großem Vergnügen!
Wo in den Museen alter Kunst und Archäologie gibt es etwas zu lachen? Meist schaudert der Besucher vor feierlichem Ernst oder imposantem Grauen. Da fällt es umso mehr auf, wenn man in geheimnisvoll lächelnde Gesichter blickt. Das etruskische Lächeln strahlt sogar von Grabskulpturen und erhaltenen Grabmalereien. Selig verzogene Lippen bei Männern und Frauen, Paaren und sogar Kriegern. Ging es denen so gut, dass sie dies mit ihrem Lächeln zeigen wollten? Seht her, wir wissen, wie gut gelebt werden kann! Die schönste Utopie: sich glücklich zu fühlen. Oder können wir euch lehren, trotz allem zu lächeln?
Berühmt als Original im Museum der Villa Giulia in Rom, als Postkarte, Poster oder beliebtes Buchcover ist das Ehepaar, das in halb aufrechter Haltung vereint und zufrieden lächelnd auf einem Sarkophag ruht, der in Cerveteri, der etruskischen Metropole Caere, gefunden wurde. Sie lehnen sich aneinander und strecken beide erwartungsvoll die Hände aus, heiter und gelassen der Ewigkeit entgegenblickend.
Etwas ernster, in leidenschaftlicher Seligkeit umfangen und einander zugewandt, liegt ein Paar auf einem Alabastersarkophag, der in Vulci, ebenfalls einer der etruskischen Hauptorte, ausgegraben wurde und nun im Museum of Fine Arts in Boston zu sehen ist. Mann und Frau, vereint in Form einer Vase. Plötzlich verstehe ich die Erotik der Vasen, die in vielen Gräbern überdauert haben, vollständig oder aus Scherben restauriert: parallele Gebilde, einander ergänzende Formen. Mann und Frau, ebenbürtig dargestellt, vor oder nach der Leidenschaft in Innigkeit verbunden, eine fein gemeißelte Kunst, die unmittelbar ins Herz geht und die Betrachter zu gefühlsmäßigen Erben der Etrusker verwandelt.
Ihre Kunst- und Alltagsgegenstände füllen die bedeutenden Museen der Welt. Als eines der geheimnisvollsten Völker der vorchristlichen Antike sind sie bekannt: die Etrusker, die in der Mitte Italiens lebten. Rom-Touristen strömen in die Via Giulia und das gleichnamige Museum, wenn ihr Weg sie in die ewige Stadt führt. Und Florenz, ebenfalls eine der am meisten besuchten Städte Italiens, hütet neben dem Erbe der Renaissance die antiken Schätze, in denen diese wurzelt. Das Kernland der Etrusker aber, die Gegend zwischen beiden Metropolen, ist oft unbekannt. Die alten Namen Etrurien oder das italienische Tuscia sind vergessen oder nicht geläufig. Der Name Rasna, wie die Etrusker sich selbst nannten, ist kaum bekannt.
Auf der Suche nach den Spuren des antiken Volkes verirren sich zwar immer wieder Touristen in die Felsenstädtchen oder die ausgedehnten Grabanlagen, aber etwas in der Unübersichtlichkeit und Rauheit der Landschaft sperrt sich gegen Vereinnahmung. Und die Menschen dort?
Wer die Gesichter in den großartig bemalten Gräbern in Tarquinia mit den heute lebenden Menschen im Etruskerland vergleicht, kann darin eine Ähnlichkeit entdecken, die ahnen lässt, wie sich das geheimnisvolle Verschwinden des etruskischen Volkes erklären könnte: durch eine erfolgreiche Vermischung mit den ansässigen Volksstämmen, vor allem den siegreichen Römern, durch eine Integration, die dennoch das Erbe bewahrt hat. Ein grober, etwas bäuerlicher Zug in den Gesichtern, der sich von der typisch italienischen Bellezza des Florentiners oder Römers durch charakterliche Prägnanz unterscheidet. Die grazilen Figuren finden sich auf den aus Gräbern geborgenen Vasen und Trinkgefäßen in Hülle und Fülle. Der griechischen Kunst nachempfunden, während die Skulpturen auf den Sarkophagen oft plump aussehen, sogar mit missmutigen Zügen und heruntergezogenen Mundwinkeln. Erstaunlich viele Pummelige, kein Wunder bei dem Luxusleben, das sie angeblich führten. Sie kannten natürlich wie wir jede Stimmung, nicht nur die heitere, lebenslustige, die ihnen immer nachgesagt wird.
»Gibt es sie noch, die Erben der Etrusker?«, fragte ich und begab mich auf die Suche nach ihnen in eine Landschaft, die sich von Rom bis in die Toskana und darüber hinaus erstreckt, bis in die Poebene. Im Kernland selbst weisen die Leute natürlich gerne darauf hin, dass sie direkt von den Etruskern abstammen. Zum Beispiel dadurch, dass sie auf ihre Ohrlöcher hinweisen, die besonders groß sind, so groß, dass problemlos ein Finger hineinpasst. Etruskerohren.
Eine Sehnsuchtslandschaft liegt dort, die seit dem 17. Jahr-hundert vor allem Kunstreisende und Künstler aus dem Norden anzog, ein europäischer Zentralpunkt. Und heute? Kann es noch ein Bedürfnis nach Arkadien geben, wenn jeder Tourist sich die Reise hierher so einfach leisten kann? Wenn jeder die schöne Aussicht, das leichte Leben, das südliche Licht genießen darf, nicht nur der adelige Bildungsreisende auf Grand Tour, nicht nur der Künstler, der die Ansichten des Südens auf seinen Gemälden gewinnbringend in den Norden transportiert?
Was ist heute ›das gute Leben‹, das zum Beispiel der englische Schriftsteller D. H. Lawrence sich bei den Etruskern erträumte? Für ihn waren die ›langnasigen, feinfüßigen, bedeutungsvoll lächelnden Etrusker‹ das Gegenbild zum strengen, soldatischen Rom, das diese lasterhaft nannten, einem genussvollen Schlendrian ergeben.
»Man sagt, die Starken überleben,
Aber ich beschwöre die Geister der Verlorenen.
Jener, die nicht überlebten, der geheimnisvoll Verlorenen,
Um ins Leben ihre Bedeutung zurückzuholen,
Und unantastbar verhüllten in sanfte Zypressenbäume,