Charlotte Ueckert

Die Erben der Etrusker


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jeder bigotten Betrachtung südlicher Sehnsüchte.

      In diesem Gedicht aber findet sich auch etwas, das wir alle erträumen und das wir mit der Antike, mit Arkadien, mit den Etruskern und sogar noch mit den heutigen Italienern verbinden: Der Traum vom entspannten Leben, vom dolce vita, von einer Seinsweise, die der unsrigen, wie immer wir sie auch gestalten, entgegengesetzt zu sein scheint.

      Und wie immer in Italien geht es dabei um Kunst. Schon 1282 schrieb Ristoro d’Arezzo, dass die ersten Funde von etruskischen Gegenständen und bemalten Vasen eine Begeisterungswelle auslösten und Kenner vor Vergnügen außer sich gerieten: »Wenn dergleichen Scherben in die Hände von Bildhauern, Zeichnern oder anderen Kunstverständigen kamen, so bewahrten sie sie fast wie Heiligtümer auf …«

      Auch wenn dieses Erbe der Etrusker seiner Fülle wegen gefährdet ist – unmöglich alle Stätten zu finden, restaurativ zu bewahren und zu besuchen – hat die Verehrung in Italien bis heute Tradition. Deshalb sollten wir versuchen, dieses Erbe zu bereisen, solange gerade die verborgenen Orte noch in einer die Sinne betäubenden Wirklichkeit Bestand haben.

      Etrurien, das bedeutet, von einer Höhe ins Tal zu blicken. Die Berge sind flach auseinandergezogen, die Täler gehen tief hinunter und auf ihrem Grund schlängelt sich ein Flüsschen. Wälder ziehen sich über die Abhänge oder, dort wo Menschen ihre Hand bearbeitend angelegt haben, weite Weideflächen und Felder, oft leer, denn das Land dehnt sich aus. Endlos biegen sich die kleinen Straßen, besonders, wenn sie unbefestigt sind.

      Auf den schroff hochragenden Felsen hocken die Städtchen, deren Mauern aus der Etruskerzeit stammen, ihnen gegenüber, oft gleichberechtigt hoch, die Totenstädte, in Sichtweite der Lebenden als Mahnung und Zeugnis des Überlebens.

      Eines Tages kam auch ich nach Etrurien und bin seitdem diesem Land verfallen. In jedem Jahr zieht es mich für einige Zeit hierher und die Frage, woher die Etrusker kamen, wird mir, je länger ich in ihrem Land verweile, immer unwichtiger. Natürlich verstehe ich die Archäologen, die glauben, dass es überwiegend eingeborene italische Stämme waren, die den Kern des Volkes bildeten. Dafür spricht die Villanova-Kultur, deren plumpe, dunkle und archaische Gefäße in allen Museen als Zeugen der ersten Anfänge des etruskischen Volkes ausgestellt sind. Die eleganten griechischen Vasen waren meist als Exportware gefertigt und zwar für den ›barbarischen‹ Geschmack. Damit waren die Etrusker gemeint. Von mir aus waren es auch die klugen, mystisch geschulten Leute aus dem Osten, vielleicht Kleinasien, wo die griechische Kultur ihren Höhepunkt erreichte, eine Elite, die alle anderen Urvölker der Region beeindruckte, so dass sie sich mit ihnen vermischten, wie später mit den Römern. Sie tauchten auf und sie verschwanden und sie faszinieren bis heute. So mancher Italiener bezieht seine Lebensart auf sie und das kann ich nachvollziehen. Auch wenn ich dafür über Gräberfelder stolpern, in ausgehauene Felsen kriechen und halsbrecherische Flusstäler durchsteigen muss. Auf den Höhen Reste einer Stadt oder auf die Reste einer Stadt gebaute mittelalterliche Ruinen, in den eingeschnittenen Tälern darunter die dunklen Eingänge, gemeißelte Quader und Scheintüren. Scheintüren? Ja, damals sehr beliebt. Und mir bleibt unklar, ob unerwünschte menschliche Eindringlinge, Diebe der Preziosen, abgewehrt werden sollten oder vielleicht böse Geister, die den Toten stehlen und die Seele mitnehmen könnten, dahin, wo es keine Unsterblichkeit gibt. Für die Etrusker offenbar eine schreckliche Vorstellung, ohne Spuren zu verschwinden.

      Da keiner genau weiß, woher die Etrusker kamen, könnte auch der Mann aus dem Norden Italiens, den es hierher verschlagen hat, zu denen gehören, dessen Vorfahren hier einst siedelten. Aber ich blieb nicht nur seinetwegen.

      Sprichwörtlich attraktiv wirken italienische Männer auf Frauen aus dem Norden. Es ist ihre Unbedingtheit des Habenwollens, die sie von einer frühkindlichen Bezogenheit auf ihre Mutter auf andere Frauen übertragen. Aber nach der Eroberung kommt oft die Ernüchterung. Vor allem für die Frau.

      Susanne, geschieden, hatte einen guten Job in einer norddeutschen Stadt, eine schöne Wohnung in der besten Gegend, gute Freunde, aber die Suche nach der großen Liebe hatte sie sich noch nicht abgeschminkt. Als sie einen Italiener kennenlernte, einen Musiker, funkte es. Er imponierte ihr durch seine Großzügigkeit und eben sein unbedingtes Ihr-Verfallen-Sein. Sie kurvten mit Champagner auf dem Rücksitz an die Nordsee und er sang ihr Arien vor. Susanne, eine kluge Frau, krempelte im Alter von über 40 Jahren ihr Leben um: Sie kündigte ihren Job, gab die Wohnung auf und folgte ihrem Geliebten in den Süden. Ein paar Wochen ging alles gut, aber eines Tages sprach der Mann nicht mehr, saß im abgedunkelten Zimmer und verpasste Engagements. Es dauerte, ehe Susanne begriff, dass sie einem Manisch-Depressiven in seiner Hochstimmung aufgesessen war und dass sie nichts für ihn tun konnte. In der nächsten manischen Phase verließ er sie wegen einer anderen. Die mediterrane Lebensfreude hat auch ihre Kehrseite. So wie die farbe- und freudestrahlenden Fresken in den Gräbern oft von gräulichen Monstern gekrönt werden. Doppelschwänzige Wesen.

      Wieder einmal bin ich angekommen. Diesmal mit dem Auto, weil ich eine Begleitung habe, mit der ich mich am Steuer abwechseln kann. Ein bisschen umständlich ist jede Form des Reisens. Im Auto muss ich an die Entfernung denken, die Lastwagen, die Zwischenübernachtung. Lieber nicht an die Spritpreise. Im Zug ärgere ich mich, wenn ein Anschluss nicht klappt oder ich kein Bett im Schlafwagen ergattere. Die schnellste Verbindung ist zugleich die stressigste: das Fliegen. Kein Problem, rechtzeitig am Flughafen zu sein. Kein Problem, anzukommen. Aber dann muss ich das Warten und Drängeln bei der Gepäckausgabe aushalten, was mich dazu bringt, möglichst mit Handgepäck zu reisen. Und ich muss alle meine Flüssigkeiten herzeigen, meinen Computer, meine Uhr.

      Auch blieb es mir nicht erspart, einmal ohne Gepäck anzukommen. Der Koffer war zwar klein genug, aber zu schwer. So musste ich ihn abgeben, vergaß in der Hektik, was alles darin war an wichtigen Unterlagen, das Ladegerät fürs Handy, eine Kreditkarte, alle Kosmetika, ein Manuskript. Und wartete dann vergeblich – fünf Tage lang. Mein Koffer landete unter falschem Namen in einer weit entfernten Stadt, wie auch immer das passiert war. Dass so etwas geschehen kann, wusste ich. Aber wie scheußlich es ist, nicht. Nur mit meiner Handtasche fuhr ich weiter, kaufte mir in Orvieto erst einmal ein paar Schminkstifte, Cremes und Unterwäsche. Die Kreditkarte musste ich sperren lassen, ein Handy-Ladegerät kaufen und meine Nerven in Telefongesprächen strapazieren. Als der Koffer endlich kam, wusste ich einiges mehr über meine Beziehung zu Besitz und Verlust.

      Da ich bei der Ankunft mit dem Flugzeug nie weiß, ob und wann ich den Zug nach Roma Termini oder Roma Tiburtina erreiche, fange ich an zu hetzen: es könnte ja sein, dass ein Zug gerade weg ist, weil ich noch einen Café getrunken habe. Und dann kommt wieder die Warterei. Auch die Züge nach Norden gehen nicht ständig, einen der schnellen Eurostars kann ich nicht nehmen, denn sie halten nicht dort, wo ich aussteigen will. Also beginne ich zu laufen, der Koffer trudelt hinter mir, die Handtasche rutscht, ich stoße überall an und manchmal erwische ich in letzter Minute den Zug, dessen Ziel erst zwei Stunden später wieder im Fahrplan steht.

      Immer Gedrängel, auch in den Gängen, wer muss, spart sich den teuren Eurostar in die nördlichen Städte. In Orvieto erwartet mich ein Auto von Freunden und bringt mich ans Ziel. Wenn nicht, muss ich mein Handy zücken und ein Taxi rufen.

      Bei jeder Ankunft entschädigt mich das Entzücken über den Blick von der Höhe ins Tal. Die ganze Weite des Tibertals und die schön geschwungenen Rundbögen des Apennins, eine natürliche Grenze bildend. Dann füllt es mich aus, dieses Gefühl, zu Hause in der Fremde zu sein.

      Dort wo die wilden unzugänglichen Täler des Etruskergebietes anfangen, westlich von der Autobahn nach Rom, liegt Civita Castellana, eine verborgene Kostbarkeit, wie so viele Städtchen hier. Man fährt endlos enttäuscht durch Industriezonen und moderne Vorstädte, bis plötzlich Schluss ist. Es gibt zwar eine Brücke in die Altstadt, aber nur für Einheimische zugänglich. Wir parken davor und staunen erst einmal über die Aussicht. Vor uns majestätisch und ganz für sich allein der Monte Soratte, der heilige Berg, den wir noch ersteigen wollen. Hinter uns eine ebenso eindrückliche Burg, auch ein Kirchturm. Dom und Burg, so wissen wir bereits, sind die sehenswerten Baudenkmäler dieser Stadt – wie überall. Das etruskische Gräberfeld verborgen, schwer zu finden oder nur von weitem, in die Felsen gehauen, zu sehen.

      Aber die Burg, Forte Sangallo, in Auftrag gegeben von Alexander Borgia, dem grausamen Papst der Renaissance,