Charlotte Ueckert

Die Erben der Etrusker


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weiter so tat, als wäre er allein im Becken und auf der Welt sowieso. Wir trödelten, wir warteten, aber nichts änderte sich an der Situation, bis wir aufgaben und das ungleiche Paar verließen.

      Nach meinem Bad zuckele ich wieder mit dem Wagen über den ungepflasterten Weg, zu dem kein Wegweiser führt. Die offenen Badestellen müssen sich herumsprechen. Wie zu Zeiten der Etrusker und der Römer.

      Voller Lebensfreude sollen die Etrusker gewesen sein. So faszinierten sie die Besucher mit Gemälden von Festmahlen und Tanzenden, von Fischen und Vögeln und wunderbaren pflanzlichen Ornamenten. Wandgemälde, überliefert in den Totenstädten. Jede Stadt hatte diesen abgetrennten Bereich für Begräbnisse.

      Die größten Ausgrabungsstätten im südlichen Etruskerland sind Cerveteri, Tarquinia und Vulci, alles Städte, die zum Zwölferbund gehörten und die Eroberungs- und Verteidigungskämpfe bestimmten. In Vulci sind die Gräber ausgeräumt, einiges im Museum in der mittelalterlichen Burg, die neben der etruskischen Brücke steht, einem großen gemauerten Bogen über das Flusstal. Die berühmtesten Exponate sind in den großen Museen auf der ganzen Welt zu finden. Das gilt auch für die Kuppelgräber von Cerveteri, dem antiken Caere. Wie eine Stadt, Bau an Bau, Straße an Straße, stehen die in den Tuffstein geschnittenen Grabanlagen, die zum Teil bis ins 9. und 8. Jahrhundert vor Christus nachgewiesen sind. Vermutlich den Wohnungen der Lebenden nachempfunden, von denen nichts übrig geblieben ist, da die Materialien der Wohnhäuser – Holz und Lehmziegel – schließlich nicht für die Ewigkeit geschaffen wurden. Rund um das Gelände riesige Felder, unter denen noch unberührt alles ruht. Ein Zentrum der Grabräuber, der Tombaroli. Die Bauern lassen ihre Felder nachts von scharfen Hunden bewachen, so dass sich nicht einmal die Carabinieri dorthin wagen und vieles im Schutz der Dunkelheit ungesehen bleibt.

      In Tarquinias Nekropolen dagegen befindet sich die zu besichtigende Pracht unter der Erde. Die runden Erdhügel darüber sind im Laufe der Zeit verschwunden. Steile Stufen geht es hinab. Es waren bis vor Kurzem immer nur sechs bis sieben Gräber im Wechsel geöffnet, um klimatisch bedingten Schäden vorzubeugen. Inzwischen aber kann der Besucher zwischen fünfzehn und zwanzig Gräber besichtigen, wohl auf Wunsch von vielen. Etwas außerhalb wurden auch neue Gräber entdeckt, die nach telefonischer Anmeldung geöffnet werden. Ganz ohne Touristenbusse ist die nahegelegene Region des Tempels Ara Regina, von dem nicht einmal Bewohner in den Höfen am Weg etwas wissen – oder das zumindest vorgeben. Auf den Feldwegen wurde ich misstrauisch mit Blicken verfolgt. War ich ihrer Meinung nach ein Tombaroli?

      So sieht man immer wieder Neues, je öfter man kommt. Von einer dicken Panzerglasscheibe sind die weltberühmten Malereien aus der Antike geschützt, auf denen sich das Volk der Jenseitsgläubigen tummelt, das bestrebt war, sich die Zeit bis zum ›eigentlichen Leben‹ so gut und luxuriös wie möglich einzurichten. Nichts durfte fehlen, weder Parfüm noch Blumenduft, weder Trinkgefäße noch Spiegel. Selbst die Asche der Sklaven ruhte in Krügen, bereit, im Jenseits weiter behilflich zu sein. Die Körper lagen in Steinsärgen, manchmal in kostbaren Sarkophagen, geblieben ist der Schmuck an Ohren und Armen. Es gibt in der etruskischen Religion enge Verbindungen zu anderen alten Kulten im Mittelmeerraum, Kulten von Opfer, Tod und Auferstehung. Vielleicht hat sich die etruskische Spur nie verloren, denn auch das christliche Zeitalter hat den Einfluss alter Riten nicht geleugnet. Das Diesseits feiern um des Jenseits willen, welches als Fortsetzung erhofft wurde. Die Religion der Etrusker war absolut fatalistisch, es galt, den Willen der Götter durch Vorhersagen und Rituale zu ergründen. Dafür gab es die auf Leberschau, Vogelzug und Blitzverläufe spezialisierten Priester.

      Sie waren in ihrem Denken nicht frei, die Etrusker. Alles wurde von den Vorhersagen und Interpretationen der Priester bestimmt, alltägliche Angelegenheiten ebenso wie staatsmännische. Siege waren genauso von den Göttern vorherbestimmt wie Niederlagen. Nach der Seeschlacht bei Cumae, 474 vor Christus, der ersten vernichtenden Niederlage, die den Etruskern nun den Zugang zum südlichen Mittelmeer versperrte, begann der langsame, 200 Jahre dauernde Abstieg, welcher als von den Göttern bestimmt hingenommen wurde. Die Mittelmeerhäfen am Thyrrenischen Meer verloren ihre Bedeutung, der blühende Handel mit Erz versiegte. 264 vor Christus wurde das gemeinsame Heiligtum Fanum Voltumnae von den Römern restlos zerstört. Wo dieses Heiligtum genau stand, weiß keiner genau, sicher ist nur seine ungefähre Nähe zum Lago di Bolsena. Sogar mein Civita di Bagnoregio macht sich Hoffnungen, es einst beherbergt zu haben.

      Eine große Anzahl grotesker Dämonendarstellungen in den Gräbern zeugt von Ängsten und Abwehrzauber in den letzten zwei Jahrhunderten der Etruskerperiode.

      Die unterirdischen Gänge, die in den Felsenstädten die Häuser miteinander verbanden und als Fluchtwege genutzt werden konnten, gehören als Kehrseite zum ersehnten Luxusleben.

      Das Dunkle, die Höhle, der Gang ins Innere der Erde, hatte immer noch seinen Schrecken und der wollte gebannt werden: durch Gebete und Prozessionen. Diese führten durch aufwendig angelegte Hohlwege zu heiligen Orten. Geschichte, bis heute noch lebendig in den christlichen Mysterienspielen, die jedes Dorf in den Straßen um seine Kathedralen pflegt. Wie in Bolsena, wo im Juli ein junges Mädchen aus der Stadt stellvertretend für die Heilige Christina, Opfer der Christenverfolgung des römischen Kaisers Diokletian, das Martyrium erleiden muss, zum Glück nur spielerisch.

      Diese mystisch geprägte Energie zeigt sich auch bei den heutigen Menschen, die nicht aufgeben. Sich nicht vom Schrecken und Nicht-Gelingen überwältigen lassen. Wie Isabella, die ihren kleinen esoterischen Krimskramsladen von einer Stadt in die nächste verlegt, immer in der Hoffnung, dort endlich Erfolg zu haben. Die, wenn alles nichts nützt, ans Auswandern nach Amerika denkt. Mit ihr treffe ich mich jedes Mal, wenn ich in der Gegend bin. Am Anfang versuchte sie noch, mir ihre Engel und Feen zu verkaufen. Sie beäugte meinen Schmuck und hatte immer die passenden Steine zur Hand. Dann aber, nachdem sie meine beharrliche Weigerung etwas zu kaufen akzeptiert hatte, gingen wir mittags essen. Sie sperrte den kleinen Laden zu und wir erzählten uns gegenseitig aus unserem Leben, von der Familie und den Männern. Die Feministinnen, die in Tuscia leben, sind stolz auf das Erbe der etruskischen Frauen, die ja durch ihre angebliche Gleichberechtigung von sich reden machten. Mit Isabella hatte ich viele Diskussionen darüber.

      »Keine von uns ist gezwungen, sich bei einem Gastmahl neben einen Mann zu legen«, sage ich. »Allein die Anwesenheit von Frauen bei Festen macht noch keine Emanzipation.« Aber damit komme ich bei Isabella schlecht an.

      »Ich bin sicher, dass die Etruskerfrauen eine emanzipierte Stellung in der Gesellschaft hatten. Das sind noch alte Einflüsse des in früheren Zeiten vorherrschenden Matriarchats.«

      »Vielleicht hast du recht, dass die archaischen Sitten, nach denen nur bestimmend war, wer einen geboren hatte, nicht gezeugt, noch nachwirken.«

      »Denk doch an die alten Feste, die Fruchtbarkeitsrituale. Für die Fruchtbarkeit brauchten sie die Frauen.«

      Das war ja sogar den Griechen bekannt, die als damals modernste Gesellschaft die Frauen aus dem öffentlichen Leben verbannt hatten. Gastmähler nur mit Männern. Zu Hause wartete die Ehefrau auf gelegentliche Begattung, während die Hetäre für Besuch, kultiviertes Gespräch und Weiteres zur Verfügung stand. Insofern waren die Etrusker, die ihre Frauen nicht im Haus verbargen, nach heutigen Maßstäben modern. Frauen, besonders wenn sie aus einer vornehmen Familie stammten, waren hoch geachtet in der Öffentlichkeit, sie begleiteten alle wichtigen Riten, von der Geburt bis zur Bestattung. Sie waren es, die den Toten für das Grab herrichteten. Auch sie wurden mit Ehren bestattet, was bei den Griechen nur den Männern vorbehalten blieb. Bei den Etruskern war es noch gebräuchlich, den Namen aus der Herkunft der Mutter und des Vaters zusammenzusetzen.

      »Und heute schaffen wir die umständlichen Doppelnamen wieder ab. Vielleicht ein Fehler«, sagte Isabella.

      »Wichtig war vermutlich, aus welcher hochherrschaftlichen Familie du stammtest. Die hatten doch auch eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft, so viel ist sicher.«

      Es gab griechische Schreiber, die sich sehr böswillig über die Etrusker äußerten, weil diese Frauen am öffentlichen Leben teilnehmen ließen. Sittenlos sei das, schimpften sie. Aber von einem Zeitalter des Matriarchats, wie Isabella es gern gesehen hätte, war bei ihnen doch nichts mehr zu entdecken, im Gegensatz zu den Gesellschaften im fruchtbaren Halbmond Mesopotamiens,