John Martin Littlejohn

Das große Littlejohn-Kompendium


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um Fieber handelt. Extreme Kälte oder Hitze, der man über längere Zeit ausgesetzt ist, ständiger Aufenthalt in tropischen Regionen, exzessives Essen oder Trinken – insbesondere von Stimulanzien – sowie exzessive und lang andauernde Bewegung können die Temperatur verändern, ohne notwendigerweise einen fiebrigen Zustand hervorzurufen. Freilich können derartige Temperaturzustände sich zu einem Fieberzustand entwickeln, und die erhöhte Temperatur kann die Existenz eines Fieberzustands offenbaren, falls ein solcher existiert. Es besteht jedoch keine unbedingte Korrelation. Wenn also das Thermometer einen Temperaturanstieg anzeigt, ist das noch kein zuverlässiges Anzeichen für Fieber.

      Dr. Soullier berichtet in einer neueren Ausgabe des Lyon Medical von dem Fall einer jungen Frau unter 30, bei der über drei aufeinanderfolgende Tage ein Temperaturanstieg auf 43,8° Celsius festgestellt wurde, ohne dass Fieber oder ein verstärkter Puls bestand. Ohne irgendeine vorhergehende hysterische Krankengeschichte verfiel sie plötzlich in den Zustand eines narkoleptischen Schlafs. Dieser Schlaf zeichnete sich durch seine Tiefe aus, der Puls war normal, die Glieder waren entspannt und die Pupillen verengt. Es bestand keine anomale Hauttemperatur, doch die vaginale Temperatur betrug 42,7° Celsius. Die Patientin erhielt ein zehnminütiges Bad von 28° Celsius. Dadurch fiel die Temperatur zwar zunächst auf unter 40° Celsius, stieg aber danach bald wieder auf über 43,8° Celsius. Die Hautflächen fühlten sich noch heißer an als zuvor, der Puls betrug 84. Die Patientin erhielt ein weiteres, 15-minütiges Bad von gleicher Temperatur wie beim ersten Mal. Ihre Körpertemperatur fiel dadurch auf etwa 37,8° Celsius, stieg aber am nächsten Tag erneut, diesmal auf 44° Celsius, und hielt an, bis die Patientin nach einem 36-stündigen Schlaf erwachte. Als sie die Augen aufschlug, hatte sie das Problem vergessen, das dem Beginn des Anfalls vorausgegangen war. Damals bestand weder Fiebrigkeit, noch anomaler Harnzustand, lediglich ein leicht beschleunigter Puls. Am vierten Tag erhielt die Patientin ein drittes Bad mit der gleichen Temperatur wie zuvor, worauf hin ihre Körpertemperatur auf 41,1° Celsius fiel. Am sechsten Tag senkte sich die Temperatur und lag nun leicht unter dem Normalzustand. Soullier betrachtet dies als einen Fall von reiner Hyperthermie ohne irgendwelche anderen Fiebersymptome. Weitere interessante Fälle reiner Hyperthermie im Zusammenhang mit dem Beginn eines Anfalls von Blutspucken und bei Simulation von Schüttelfrost, Meningitis, Peritonitis hat Cuzin dargestellt.

      Ist die Temperatur eine fiebrige, steht sie diagnostisch für einen Fieberzustand. Wie kommt es zu dieser erhöhten Temperatur? Sie hat zweifellos mit dem Fehlen der Nervenkontrolle zu tun, die unter physiologischen Bedingungen die Gewebe vor exzessiven Oxidationsprozessen schützt. Bei Fieberzuständen findet diese Nervenkontrolle nicht mehr statt oder sie verliert zumindest ihr Gleichgewicht, was zu einem Temperaturanstieg führt, der die Nervenregulierung zerstört oder stört. Was aber zerstört, hemmt oder stört diese Nervenkontrolle? Möglicherweise Bakterien oder deren Produkte, die sich in den Geweben befinden oder ins Blut und von dort in die Nervenzentren gelangen, die sie dann durch irritieren. Oder die Gewebe sind in einem Krankheitszustand, sodass die reflektorische Irritation dieses Gewebezustands die Nervenzentren beeinflusst. Auch Traumata und Läsionen können die Nervenkraft des Flüssigkeitskreislaufs abschneiden, wodurch die Gewebe in einen fehlernährten Zustand geraten, der in einer vergleichbaren reflektorischen Irritation der Nervenzentren resultiert. Man hat z. B. festgestellt, dass septische Abflüsse von Wunden, Abszessen usf., die von der Nervensubstanz absorbiert werden, einen Temperaturanstieg hervorrufen können und dass die direkte Verletzung eines Nervenzentrums eine Fiebertemperatur herbeiführen kann – ohne irgendeine äußere Ursache. In beiden Fällen stört die resultierende Temperatur die gesunde Balance des Lebens und kann den Körperorganismus später in einen Fieberzustand versetzen.

      Bei normalen Körperzuständen wird die Temperatur bei 37° Celsius gehalten. Diese konstante Stabilität hängt vom thermotaktischen Mechanismus ab, der die Generierung und den Verlust von Wärme reguliert. Bei der Wärmeproduktion spielen Muskeln und Drüsen die wichtigste Rolle. Am Wärmeverlust sind dagegen verschiedene physische und physiologische Prozesse beteiligt: Wärme wird in den Körperfunktionen und -aktivitäten verbraucht und der Überschuss durch Verdampfung, Ableitung, Konvektion usf. aus dem Organismus ausgeschieden. Die Regulation dieser Prozesse und insbesondere die Balance von Produktion und Verlust stehen unter der Kontrolle des Nervensystems, womit die thermischen Zentren, die thermischen Fasern und möglicherweise weitere Nerven gemeint sind. In pathologischen Zuständen wird dieser thermotaktische Mechanismus auf vielerlei Art gestört. So kann etwa der Wärmeverlust gehemmt oder modifiziert sein, was zum Wärmestau führt. Oder die Wärmegenerierung ist – bei normalem oder vermindertem Wärmeverlust – gesteigert, was ebenfalls in einer Wärmeakkumulation resultiert. Vermehrte Wärmegenerierung und vermehrter Wärmeverlust können gleichzeitig bestehen, ohne dass dies eine wesentliche Temperaturveränderung bewirkt, obgleich es zu einem fiebrigen Verfall kommt. Oder der Wärmeverlust hat sich – ohne erhebliche Veränderung bei der Wärmegenerierung – erhöht, was zu einer subnormalen Temperatur führt.

      Es gibt eine ganze Reihe physiologischer Temperaturschwankungen, wie etwa die maximalen und minimalen Tagesveränderungen, wobei Letztere die zwischen zwei bis vier Uhr morgens eintretende Ebbe des Lebens und Erstere die Aktivitätsperiode während des Tages darstellt. Diese und andere bereits erwähnte Zustände dürfen den pathologischen Veränderungen nicht zugeordnet werden. Abweichungen, die sich nicht auf einer physiologischen Basis erklären lassen, sind als pathologisch zu betrachten. Man hat verschiedene Stufen pathologischer Temperatur nachgewiesen – subnormale, normale, schwach fiebrige, fiebrige, hyperpyretische Temperatur sowie Kollaps. Was den Gefahrenpunkt anbelangt: Er hängt nicht nur vom Temperaturanstieg, sondern auch vom Stadium des pathologischen Zustandes bzw. der Krankheit sowie von deren Dauer ab. Wir befassen uns hier nicht mit den verschiedenen Typen von Fieber, weil diese von der Differenzialdiagnose abhängen.

      Ein Temperaturanstieg allein, das dürfte aus dem Gesagten klar geworden sein, stellt kein Fieber dar. Wärmeerzeugung im Körperorganismus beruht nicht allein auf einer Zunahme der Gewebeveränderungen. Der Wärmeanstieg kann auch durch Kohlehydratoxidation entstehen. Aus physiologischer Sicht kann ein Temperaturanstieg erfolgt sein, ohne dass die Exkretionen, die einen verstärkten Gewebestoffwechsel darstellen, zugenommen haben. Der eigentliche Indikator für Fieber ist vielmehr die Modifikation des Wärmesteuerungsmechanismus.

      Zu den Phänomenen eines Fieberzustands gehört in erster Linie der Abbau von Gewebe. Sogar dann, wenn das Fieber nicht hoch oder lang anhaltend ist, kommt es zu einem großen Gewebezerfall, was auch zu einer Blutveränderung führt, die ihrerseits eine Störung der Gewebeaktivität sowie Flüssigkeitsschwund bedingt, der sich z. B. in Durst und wenig Harn äußert. Ein weiteres Symptom für den Fieberzustand ist die gesteigerte Pulsfrequenz, verursacht durch den Temperaturanstieg und andere Veränderungen. Bei manchen Fieberzuständen, wie etwa Meningitisfieber, ist der Pulsschlag nicht erhöht. Die beschleunigte Pulsfrequenz lässt sich nicht vollständig mit der Zunahme arterieller Spannung und verstärkter Frequenz des Blutflusses erklären. In der Anfangsphase des fiebrigen Zustands ist für gewöhnlich ein heftiger, starker Puls bei großer arterieller Spannung feststellbar. Später tritt dann meist eine Entspannung ein und der Puls wird weicher. In diesem Zustand ist der Pulsschlag schnell, der schnelle Herzschlag drückt das Blut in die Arterien, ohne bei jedem Schlag die Kammer zu leeren, wodurch sich die Blutzufuhr verringert, obgleich Herz- und Pulsfrequenz erhöht sind. Diese geschwächte Herztätigkeit kann mit jenem Temperaturanstieg erklärt werden, der zum Gewebezerfall führt. Gleiche oder ähnliche degenerative Veränderungen finden in der Leber und in den Nieren statt, was zu einem geschwächten Rhythmus dieser Organe führt. Der verstärkte Herzschlag wird begleitet von einer verstärkten Respirationstätigkeit, bedingt durch die enge Korrelation von Herz und Lungen im Kontext der großen rhythmischen Regulationszentren im Gehirn. Die Beschaffenheit des Blutes bei Fieber vermag direkt auf die respiratorischen Zentren zu wirken, oder die toxischen Elemente im Blut rufen eine indirekte Reizung hervor.

      Besonders beachten sollte man die zerebralen Phänomene. Neuronale Erregung und deliriöse Zustände weisen nämlich oft auf die Existenz von Reizzuständen hin. Dass dies nicht ausschließlich auf einem Temperaturanstieg zurückzuführen ist, sieht man schon daran, dass bei bestimmten Fiebern bereits eine Temperatur von 39,4° Celsius mit mentaler Störung oder komatösen Zuständen einhergeht, während eine Temperatur von 40,5° Celsius oder 41,1° Celsius diese Zustände zuweilen nicht hervorruft.