vielfach verbessert worden, deren Handhabung aber noch immer recht umständlich war. Hier allerdings handelte es sich um eine abgegriffene, gut handtellerlange Steinschlosswaffe, wie man sie kaum noch in Gebrauch fand.
»Was werden Sie damit tun?«, erkundigte sich Gontard, indem er die Pistole in seiner Hand wog.
Werpel blies sich förmlich auf. »Die Waffe ist das wichtigste Asservat in diesem Fall. Kommt es zum Prozess …« Mit einem grimmigen Blick auf Kirchner verzichtete er auf die zweite Hälfte des Satzes.
Der junge Lieutenant schien nicht sehr beeindruckt.
»Wie ich bereits ausführte, fand ich die Waffe neben dem Toten«, sagte er und blickte Gontard dabei offen ins Gesicht.
Nachdenklich betrachtete der noch einmal die Waffe.
»Die geht Ihnen nicht verloren«, sagte er in einem plötzlichen Entschluss zu Werpel. »Ich werde versuchen herauszufinden, wem sie gehört.«
Werpel, wohl eingedenk der Erfahrungen, die er bereits mit dem hartnäckigen Major gemacht hatte, beließ es überraschenderweise dabei. Gepresst brachte er nicht mehr hervor als »Ich hoffe, Sie informieren mich über alle Ihre Erkenntnisse!«. Er grüßte und stapfte davon.
»Und Sie zeigen mir jetzt, wo Sie die Pistole gefunden haben«, wandte sich von Gontard an Kirchner. »Am besten verfolgen wir Ihren gesamten Weg vom Eintritt in das Stallgebäude bis zum Ort des unglückseligen Ereignisses.«
»Jawohl, Herr Major!«
Gemeinsam betraten sie das Haus von den Linden her und schritten den verschlungenen Weg ab, bis Kirchner mit einer gewissen Unsicherheit schließlich an einer Stelle verharrte, an der zwei halbwüchsige Stallburschen damit beschäftigt waren, frische Streu auszubreiten. »Hier muss es gewesen sein.«
»Weshalb wird hier frisch gestreut?«, wollte Gontard wissen.
»War ja allet janz blutich«, entgegnete der Jüngere der beiden. Er mochte nicht älter als zwölf Jahre sein. »Ham Herr Major nich jeheert, wat hier passiert is?«
»Nee«, antwortete Gontard burschikos. Ihn interessierte, was man wohl im Stall über das Ereignis sagte. »Erzählt mal!«
Der Junge wollte zu einer längeren Tirade ansetzen, doch sein Kamerad gebot ihm Schweigen. »Es hat einer den Oberst-Lieutenant im Streit erschossen«, erklärte er wichtig.
»Du kanntest den Herrn Oberst-Lieutenant?«
Der Ältere, vielleicht fünfzehn Jahre alt, zögerte. »Nicht so genau«, sagte er unbestimmt.
Der andere ergänzte: »Der war imma janz schön streng …«
»Habt ihr ihn gesehen, als er zu seinem Pferd ging?«
»Nee, wir waren hinten in der Futterkammer.«
»Und was ist dann passiert?«
Der Größere hatte rötlich blondes Haar und eine Narbe über dem linken Auge. Er sagte: »Na, wahrscheinlich wollte einer dem Oberst-Lieutenant das Pferd wegnehmen, aber der Gaul ist ihm durchgegangen. Ist ihm scheinbar nicht gelungen, das Tier zu beruhigen.«
»Wie kann denn so etwas passieren? Kommt denn hier jeder ohne Kontrolle herein?«
Die Stalljungen sahen sich an. »Die meisten kennt man ja …« Das war alles, was ihnen dazu einfiel.
»Ihr habt also keinen Fremden bemerkt?«
Die beiden wechselten einen Blick und schüttelten den Kopf.
Gontard traute ihren Antworten nicht so recht. Er sah sich um. In weiter Entfernung führte jemand einen Schimmel zum Ausgang. »Waren hier die ganze Zeit über so wenig Personen anwesend wie jetzt?«, fragte er.
Die beiden guckten sich an, dann sagte der Ältere: »Ist heute so heiß, da bleibt es ruhiger.«
»Es heißt, es sei geschossen worden …«, sagte Gontard. Wieder sahen die beiden sich an, als müssten sie sich die Antwort gegenseitig bestätigen. »Hier knalltet öfter mal«, sagte der Jüngere, und der andere nickte.
»Aber einen Schuss, den kann man doch nicht überhören!«, beharrte Gontard.
»Da müssen Herr Major den Herrn Stallmeister fragen. Wir sind bloß für Streu und Wasser zuständig.«
Es war deutlich, dass die beiden zu keiner einleuchtenden Auskunft bereit waren. Dennoch fragte Gontard:
»Habt ihr irgendwas Auffälliges im Stroh gefunden? Aus Metall etwa?«
Die beiden schüttelten die Köpfe. »Wir haben erst mal alles mit Wasser gründlich gereinigt und dann zusammengekehrt.«
»Seid ihr noch nicht fertig, ihr faulen Säcke!«, tönte eine scharfe Stimme. Es war der Rittmeister. »Oh, Pardon!«, sagte er knapp, als er Gontard gewahrte.
Der lächelte ihm freundlich zu. »Ich versuche, mir ein Bild von dem zu machen, was hier geschehen ist«, sagte er.
»Haben Sie eine Erklärung?«
»Bedaure, nein. Kam erst hinzu, nachdem der Herr Lieutenant die Pistole bereits abgeschossen hatte.«
»Habe ich nicht!«, protestierte Kirchner. »Der Schuss war längst gefallen, als ich der Hilfeschreie wegen hier erschien!«
Gontard legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Das klären wir alles«, versprach er. »Zeigen Sie mir mal, wo die Waffe lag und wo der Herr Oberst-Lieutenant sich befand!«
»Das arme Pferd nicht zu vergessen!«, ergänzte der Rittmeister ein wenig hämisch, bevor er sich umdrehte und verschwand.
»Und das Pferd«, sagte Gontard ruhig.
Kirchner wies auf die entsprechenden Stellen im Stroh. Gontard nickte und erkundigte sich ganz beiläufig:
»Wie standen Sie selber zu dem Herrn Oberst-Lieutenant von Streyth?«
Kirchners Antwort klang ein wenig steif. »Ich hatte keinerlei persönliche Berührung mit ihm. Ich meine, abgesehen von den wenigen Lehrveranstaltungen …«
»Gab es da nicht irgendeinen Einspruch seinerseits bezüglich gewisser optischer Versuche, die Sie unternehmen?«
Gontard schien es, als errötete Kirchner. Aber im Halbdunkel war das nicht wirklich zu erkennen.
»Ich hatte keinerlei persönliche Auseinandersetzung mit dem Herrn Oberst-Lieutenant«, sagte Kirchner reserviert.
Zwei
Der Major von Gontard war geneigt, es eher als ein außergewöhnliches und auffallendes Zusammentreffen denn als einen Zufall zu betrachten, dass ausgerechnet ihm die Aufklärung der Todesumstände des Oberst-Lieutenants Aemilius von Elster, genannt von Streyth, übertragen worden war. Möglichst rasch sollte er Klarheit in den Fall bringen. Deshalb hatte er sich nicht damit aufgehalten, vom Marstall aus noch einmal in seine Mietwohnung in der Dorotheenstraße heimzukehren, sondern war spornstreichs zum Gensdarmen-Markt geeilt, um endlich seinen Freund Kußmaul zu treffen - und ihn wieder einmal um seine medicinische, in diesem Fall pathologische Hilfe zu bitten.
Doktor Friedrich Kußmaul, als praktizierender Arzt an entsetzliche Krankheiten und plötzliche Sterbefälle gewöhnt, teilte Gontards erklärte Vorliebe für geheimnisvolle Todesfälle nur bedingt, war jedoch auch diesmal bereit, sich persönlich für eine gewissenhafte Obduktion des unter so fragwürdigen Umständen Dahingegangenen einzusetzen.
»Ein Einspruch der Familie ist nicht zu erwarten?«, erkundigte er sich sicherheitshalber. Gontards lange zurückliegende Bekanntschaft mit der jäh zur Witwe gewordenen Frau von Streyth war ihm noch in Erinnerung.
»Ich bitte dich!« Beinahe hätte Gontard mit seiner heftigen Handbewegung das zierliche Kaffeetässchen vom Tisch gewischt. »In der Residenz werden alle Unglücksleichen vorschriftsmäßig seziert. Weshalb sollte für unseren Oberst-Lieutenant eine Ausnahme gelten?«