Werner Rosenzweig

Mörderisches Bayreuth


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unfreundliches Wortgefecht. Wutentbrannt verließ er die gemeinsame Suite. Seine lockigen Haare glänzten noch feucht vor sich hin.

      Als er das reichhaltige Angebot in der Frühstückskuppel des „Richard Wagner“ entdeckte, das als Selbstbedienungsofferte aufgebaut war, besserte sich Heikos schlechte Laune schlagartig. An der Eierstation stand ein Hotelangestellter und nahm die Wünsche der Gäste entgegen. Die Wahl bestand aus Omelette, Rühr- und Spiegelei mit diversen Zutaten. Er entschied sich für Rührei mit Speck. An der Saftbar gab es frisch gepressten O-Saft. Für seinen Toast wählte er die Einstellung „knusprig braun“ und als er endlich einen Platz mit Blick auf das Bayreuther Festspielhaus gefunden hatte, stand plötzlich ein atemberaubendes blondes Wesen neben ihm und fragte nach seinen Tee- oder Kaffeewünschen.

      Er war erst so perplex, dass er das Wort „Cappuccino“ kaum herausbrachte. „Trottel!“, schimpfte er sich in Gedanken selbst, er musste ja den Eindruck hinterlassen, als ob er stottern würde.

      Kaum hatte er sich wieder einigermaßen sortiert, rauschte die blonde Bedienung mit einem vollen Haferl in der Hand wieder heran. „Wohl bekomm’s“, wünschte sie mit einer Stimme, die süßer nicht klingen konnte, stellte das Haferl auf die Tischplatte und schwebte davon.

      Heiko Springer war platt. So eine Frau hatte er noch nicht erlebt. Sie war schlank, nicht zu groß und nicht zu klein geraten, blond, hatte grüne wache Augen und wenn sie lächelte, bildeten sich links und rechts auf ihren Wangen zwei entzückende Grübchen. Ihr Alter schätzte er auf Mitte, vielleicht auch Ende 20.

      „Kein Vergleich zu Annalena“, war das erste, was er logischerweise feststellte, als er sich genug gesammelt hatte, um eine Gabel mit Rührei zu beladen. Er musste sie ansprechen, sie kennenlernen. Sicher kam sie noch einmal an seinen Tisch, wenn er seinen Cappuccino geleert hatte. Er nahm einen großen Schluck … Es war einfach die Weiblichkeit, die seiner derzeitigen Freundin fehlte, trotz ihres übermächtigen Busens. Irgendwie war er ihrer überdrüssig geworden. Er wollte – oder konnte – es sich nur noch nicht völlig eingestehen.

      *

      Rund 40 Minuten nach Heiko verließ auch Annalena die Suite. Die Zeit, die Heiko morgens mit Duschen, Zähneputzen und Ankleiden zubrachte, benötigte sie allein für ihr Make-up. Heute hatte sie es richtig krachen lassen: Ihr schwarzer Lidschatten stand im krassen Gegensatz zum bonbonrosa Lippenstift, den sie dick aufgetragen hatte. Schwer klimperten ihre getuschten Wimpern. Ihre Wangen wurden von Rouge betont, farblich passend zur Lippenfarbe. Mit dieser Kriegsbemalung und einem kleinen Schwarzen von Dolce und Gabbana, eingehüllt in eine Wolke von Dior, betrat sie mit gereckter Brust den Aufzug, in dem gerade auch Manfred und seine beiden Brüder dem Frühstücksraum entgegenschwebten; nach ihrer Morgenbesprechung mit Dieter hatten sie sich einen Kaffee mehr als verdient.

      Karl konnte es nicht lassen, Manfred mit einem leichten Rempler und einem Zucken der linken Augenbraue auf die Erscheinung namens Annalena Sturm aufmerksam zu machen. Sie hatten ja gerade über das Finanzberaterpaar gesprochen. Doch zum einen verstand Manfred den finanziellen Hintergrund des Ellbogenstoßes nicht und zum anderen brauchte er keine besonderen Hinweise: Die Frau war der Hammer. Fand jedenfalls Manfred. Ein Sinnbild der Stärke. Die konnte zupacken, das sah man. Und die feminine Seite kam in seinen Augen auch nicht zu kurz. Diese Lippen …

      Die Türen schlossen sich und die Aufzugskabine verwandelte sich in ein Meer von Parfüm.

      Alle drei Männer, besonders Manfred, mussten einfach auf den dominanten Busen starren, der das Zentrum des engen Raums zu sein schien. Keiner sagte ein Wort.

      Endlich, bevor der Aufzug im obersten Stockwerk ankam, nahm Manfred seinen ganz Mut zusammen und sprach die Frau an: „Ähem … Sie sind Gast in unserem Haus, Frau …?“

      „Sturm“, wurde er von Annalena nicht gerade freundlich belehrt. Sie besah ihn sich flüchtig. „Und das geht Sie etwas an, weil …?“

      Der Aufzug hielt.

      „Entschuldigung, Frau Sturm. Ich bin Manfred Kolb, der Mitinhaber und General Manager des Hotels. Meine Brüder Karl und Günther“, stellte er die beiden anderen vor, während sie aus dem Aufzug traten. „Ich hoffe, Ihnen gefällt Ihr Aufenthalt bei uns?“

      „Oh!“ Bei den Worten „Inhaber“ und „General Manager“ horchte Annalena auf. „Ja, danke, die Siegfried-Suite gefällt mir recht gut. Auch wenn die Badewanne etwas größer sein könnte.“

      „Manfred – wir gehen dann schon mal. Bis später“, unterbrach Günther grinsend das Geplänkel und die Zwillinge verdünnisierten sich.

      „Sagen Sie, Frau Sturm“, nahm Manfred den Faden wieder auf und führte Annalena zu einer kleinen Nische vor dem Frühstückssaal, „hatten Sie schon die Gelegenheit, unseren Wellnessbereich auszuprobieren? Ganz neu gestaltet, mit Zirbensauna, ein Traum.“

      Annalena musterte ihr Gegenüber noch einmal genauer: Der Hotelmanager war ein großer, stattlicher Mann, gut gekleidet, ganz Geschäftsmann. Ein komplett anderer Typ als Heiko, der im Anzug immer aussah, als freue er sich schon darauf, wieder in die bequeme Jeans schlüpfen zu können. Gute Manieren hatte dieser Manfred Kolb auch. Nicht unsympathisch. Eher das Gegenteil, mit seinen leicht angegrauten Schläfen. „Zirbensauna, soso …“

      Manfred zwinkerte. „Ich könnte für Sie auch einen privaten Besuch arrangieren …“

      Annalena spähte in den Frühstücksraum hinüber. Ah ja, da hinten saß Heiko und schob sich gerade den letzten Bissen Toastbrot in den Mund. „Herr Kolb –“

      „Manfred, bitte.“

      „Manfred“, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Hotelchef zu, „wenn dieser private Saunabesuch auch Ihre Gesellschaft miteinschließt, muss ich Ihnen sagen, dass ich nicht allein in der Siegfried-Suite wohne.“

      Manfreds Lächeln fror ein.

      „Wenn Sie Ihr Anmeldeformular checken, werden Sie feststellen, dass die Suite auf den Namen Heiko Springer läuft. Mein Partner.“

      Auf Manfreds Gesicht spiegelten sich zwei gegensätzliche Emotionen: vage Enttäuschung und ein freudiger Aha-Moment. „Entschuldigen Sie, Frau Sturm … ich wollte nicht … Ihnen nicht zu nahe treten. Hoffentlich habe ich Sie nicht beleidigt? – Aber sagen Sie, Ihr Begleiter, Heiko Springer … wenn ich mich richtig erinnere, hat er sich mit Finanzberater bei uns angemeldet.“

      Annalena nickte knapp.

      „Dann nutze ich vielleicht die Chance … Frau Sturm, da möchte ich ganz unverblümt nachfragen … wie soll ich mich ausdrücken … ob wir vom Hotel Richard Wagner vielleicht auch seine Dienste in Anspruch nehmen könnten? Unverbindlich natürlich. Ich meine, wenn es sich lohnt. Für beide Seiten natürlich. Ich meine, es soll sein Schaden nicht sein.“

      Manfred fiel auf, dass er faselte, und er riss sich zusammen. „Bislang haben wir uns mit dem Thema Investment noch nicht auseinandergesetzt und wenn man schon einmal einen Experten im Haus hat, dachte ich, könnte man die Gelegenheit beim Schopfe packen. Für eine erste Beratung, gern in ungezwungenem Rahmen. Sie sind natürlich auch herzlich dazu eingeladen: Was würden Sie von einem gemeinsamen Abendessen halten? Zum Kennenlernen und Erläutern der Situation? Wann immer Sie und Herr Springer Zeit haben.“

      Annalena hatte kaum zugehört, ihr Blick war auf den Frühstückssaal fixiert. Denn Heiko, der sein Frühstück beendet hatte, schäkerte inzwischen mit einer ihr unbekannten jungen, äußerst attraktiven Blondine. Die beiden standen mitten im Raum und waren nicht zu übersehen. Heiko widmete ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Beide lachten herzlich und sie berührte ihn sanft am Arm.

      „Frau Sturm?“, fragte Manfred ungeduldig.

      „Ja?“ Annalena fuhr herum. „Wann Heiko Zeit hat? Das können Sie ihn gleich selber fragen. Er steht dort drüben – mit der hübschen, jungen Frau. Die mit den blonden Haaren.“ Sie deutete mit einem manikürten Finger hinüber.

      „Ach, die? Laila. Das ist unsere jüngere Schwester. Sie hilft hier ab und zu aus.“ Manfred lachte. „Das trifft sich gut. Die beiden scheinen sich