ich glaube, ich möchte doch auf Ihr Angebot des privaten Saunabesuchs zurückkommen … und bitte, nennen Sie mich Annalena.“
Spaziergang zum Festspielhaus
Am selben Tag
Noch ein Tag, dann würde es auch für die Gäste vom Niederrhein mit den Festspielen losgehen: „Das Rheingold“. Heiko wollte den Sonntag nutzen, um sich einen persönlichen Eindruck des Richard Wagner-Festspielhauses zu verschaffen, bevor am Nachmittag die Massen anrückten. Er hatte schon viel über den Prachtbau gelesen, den der große Künstler zwischen 1872 und 1875 nach eigenen Entwürfen im Stil der hellenischen Romantik für sich hatte bauen lassen. Bereits ein Jahr später waren mit „Rheingold“ die ersten Festspiele eröffnet worden.
Vom Hotel aus war es nur ein Katzensprung. Einfach die Tristanstraße ein Stück bergauf, bis zur Bushaltestelle „Am Festspielhaus“, schon ging es hinein in den rund 19 Hektar großen Festspielpark.
Gleich nach dem Frühstück hatte sich Heiko mit Annalena auf den Weg dorthin machen wollen, aber als seine Freundin endlich unter der Dachkuppel des Hotels aufgetaucht war, hatte sie sich erst eine halbe Ewigkeit Zeit gelassen, um ihren Joghurt zu löffeln, und dann darauf bestanden, noch einmal „zum Frischmachen“ in die Suite zurückzugehen. Jetzt waren sie endlich unterwegs, aber die Stimmung war alles andere als rosig. Ohne ein einziges Wort zu wechseln, liefen sie nebeneinander her.
Am Seerosenteich im Park brach Annalena das Schweigen: „Die kleine Blonde scheint dir zu gefallen?“, begann sie.
„Kleine Blonde? Welche kleine Blonde?“
„Na, Laila, die Schwester von Manfred, dem Hotelchef. Sie hat beim Frühstück bedient.“
„Ach so, die. Ich hab gar nicht gewusst, dass sie zur Familie gehört. Das hat sie mir nicht verraten.“
„Lenk nicht ab, du hast meine Frage nicht beantwortet“, ließ Annalena nicht locker.
„Mensch, Anna! Sie hat mir einen Kaffee gebracht und ich hab mich mit ihr unterhalten. Du warst ja noch nicht da.“
„Ich kenn doch deinen Blick. Du hast sie regelrecht verschlungen. Mach mir nichts vor.“
„Und du?“, brauste jetzt Heiko auf. „Du brauchst gar nichts zu sagen. Glaubst du denn, ich hab dich nicht gesehen? Wie du so vertraut mit diesem Kerl zusammengestanden hast, oben vor dem Frühstück? Wie der dich angehimmelt hat? War das dieser Manfred, der Hotelchef? Der wär ja am liebsten in dich hineingekrochen. Hat seine Blicke gar nicht mehr von deinem Busen losgekriegt. Das hat dir gefallen, nicht wahr?“
„Ja, das hat mir gefallen“, gab sie trotzig zurück. „Ich hab meine Brüste sogar noch etwas weiter herausgestreckt als üblich.“
„Und die Blicke, die du ihm zurückgegeben hast. Eindeutiger geht es ja nicht mehr. Du findest ihn attraktiv, oder?“
„Was willst du von dieser Laila?“, stellte Annalena ihm hitzig die Gegenfrage. „Du brauchst mir eigentlich gar nicht zu antworten“, winkte sie dann gleich wieder ab. „Ich weiß es sowieso. Du willst sie in die Kiste kriegen. Hab ich recht?“ Sie blieb stehen und ließ die Arme hängen. „Und danach, was passiert danach? Das ist, was ich gern von dir wissen möchte.“
„Ich glaube, dass deine Fantasie mal wieder mit dir durchgeht“, wich Heiko immer noch gereizt aus. „Können wir das Thema nun beenden? Bitte?“
Er ging los, ohne abzuwarten, ob Annalena ihm nachkam. Welche Gefühle Laila in ihm wirklich geweckt hatte – darüber wollte er nicht sprechen.
„Immer schön den Problemen aus dem Weg gehen. Wie immer“, gab sich Annalena enttäuscht, als sie zu ihm aufschloss. „Typisch Mann, einfach alles totschweigen. Irgendwann mach ich da nicht mehr mit, das sag ich dir.“
„Willst du mir drohen?“, reagierte er schroff. „Mich verlassen? Ha! Wer hält dich denn aus? Wer bezahlt denn deine ganzen Designerklamotten?“
„Ja, bezahlen, bezahlen! Mit dem ein oder anderen schmutzig verdienten Geld!“, herrschte sie ihn an. „Du hast mich bei genug deiner kleinen Deals als Partnerin eingespannt. Meinst du, ich hab keine Augen im Kopf, keine Ohren, die verstehen, was du mit deinen ganzen halbkriminellen Geschäftspartnern am Telefon besprichst? Ich warte nur auf den Tag, an dem dich die Steuerfahnder hopsnehmen.“
„Blödsinn, was ich mache, ist vollkommen legal, das weißt du ganz genau. Ich nutze nur Gesetzeslücken. Und jetzt ist Schluss mit deinem Rumgekeife. Mach doch, was du willst!“ Heiko beschleunigte seine Schritte und verfiel in lethargisches Schweigen.
Während sich die beiden gefetzt hatten, waren sie immer näher zum Eingang des Festspielhauses gekommen. Rege Tätigkeit um sie herum lenkte sie nun von ihrem Streit ab. Arbeiter wuselten durch Türen und schleppten die letzten Bühnenaccessoires von A nach B. Andere waren an den Fahnenstangen vor dem Eingang beschäftigt und hissten diverse Flaggen: Eine zeigte das riesige Konterfei des einstigen genialen Künstlers, im Hintergrund sein Festspielhaus in der linken unteren Ecke. Auf einer anderen waren drei halbrunde, grüne Bögen, die das nahegelegene Fichtelgebirge stilisiert darstellen sollten, über dem blauen Schriftzug „BAYREUTH“ zu sehen; das offizielle Logo der Stadt. Auch das Stadtwappen, das Bayreuth 1457 von Markgraf Albrecht Achilles, damals zugleich Kurfürst von Brandenburg, verliehen worden war, wurde aufgezogen.
Heiko stand ehrfürchtig vor dem imposanten Ziegelsteinbau und zog seinen DuMont-Reiseführer zu Rate. Vom Hauptportal bis zum Ende der Hinterbühne maß das rote Gebäude 100 Meter, verriet ihm der, und dass das Festspielhaus eines der Opernhäuser mit der weltweit besten Akustik sei, weil seine Innenausstattung hauptsächlich aus Holz gebaut war. Selbst auf Sitzpolster hatte Richard Wagner bewusst verzichtet, um die Schallausbreitung nicht negativ zu beeinflussen. Er las weiter: Neben der 22 Meter tiefen Hauptbühne gab es noch die ebenso bespielbare Hinterbühne. Die Höhe des Bühnenportals betrug knapp zwölf Meter und der Dachfirst lag gar 36 Meter über dem Bühnenniveau. Heiko stahl sich an das Hauptportal heran und fragte einen der Arbeiter, wo denn die Spielpläne auslägen.
„Warten Sie hier“, antwortete der, „ich hole Ihnen einen.“ Dann verschwand er in den Tiefen der Eingangshalle, kam aber kurz darauf wieder zurück. „Bitteschön“, erbot er sich und überreichte Heiko einen Faltplan.
28 öffentliche Aufführungen und zwei geschlossene Vorstellungen für Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes wurden zwischen dem 25. Juli und dem 28. August gegeben. Morgen würden auch Heiko und Annalena erstmals die heiligen Hallen betreten – zusammen mit den 1.972 anderen Zuschauern, die neben ihnen beiden noch in den Opernbau hineinpassten – und zweieinhalb Stunden, ohne Pause, „Rheingold“, die Vorgeschichte der Tetralogie um den Ring des Nibelungen genießen. Zweieinhalb Stunden voller Streit um Macht und Liebe, der mit dem heimtückischen Raub des Schatzes der Rheintöchter seinen Anfang nehmen würde. Heiko war Feuer und Flamme und hatte seine verbale Auseinandersetzung mit Annalena fast schon vergessen.
Nicht so seine Begleiterin. Annalena stand ein paar Schritte hinter Heiko, hatte keinen Blick für die Schönheiten um sie herum und eine Miene wie der von den Rheintöchtern verschmähte Zwerg Alberich. Sie hatte Heikos ständige Eskapaden, amourösen Abenteuer und Seitensprünge allmählich satt. Klar, ihre Beziehung war nicht gerade das, was man „konservativ“ nennen würde. Der Mensch war nicht für die Monogamie geschaffen, da waren sie sich einig. Aber es gab gewisse Grenzen. Wenn er sich mittlerweile nicht einmal mehr zu schade dafür war, im gemeinsamen Urlaub etwas mit einer anderen anzufangen und sie dabei links liegen zu lassen … Heiko würde sich nicht mehr ändern.
Es reichte, sie hatte die Schnauze wirklich voll. Geld zu haben, war zwar angenehm, aber nicht alles im Leben. Außerdem – dieser Manfred schien als Geschäftsführer und Gesellschafter des Hotels auch nicht gerade zu den Armen der Stadt zu gehören. Annalena nickte sich selbst zu. Manfred erweckte nicht den Eindruck, dass er jedem hübschen Rock hinterherjagen würde. Als er sie heute früh im Aufzug angesprochen hatte, war er sogar ein wenig rot geworden. Gefallen hatte ihr das eigentlich nicht