Französisch und Deutsch hatte er ein „Genügend“ erhalten, in Turnen allerdings ein „Vorzüglich“. Der Mann, der später bekennen sollte, dass es sein Lebenstraum gewesen sei, ein großer Architekt13 zu werden, erhielt in seinem schwächsten Fach, der darstellenden Geometrie, auch nur ein dürftiges „Genügend“. Wieder bekam er die Auflage, eine Nachprüfung abzulegen und bestand schließlich die Abschlussprüfung im September 1905. Doch jetzt auch noch dem Wunsch der Mutter zu entsprechen und auf die weiterführende Oberrealschule zu gehen, war ihm zu viel. Eine Erkrankung, die Hitler später in „Mein Kampf“ als schweres Lungenleiden dramatisieren würde, sollte ihm endlich die Erlösung von der verhassten Schule verschaffen. Der damalige Hausarzt, Dr. Eduard Bloch, stützte indessen Hitlers Legende von einer schweren Erkrankung, die ihn am weiteren Schulbesuch hinderte, nicht. Er vermerkte in seinen Unterlagen lediglich eine Mandelentzündung in Begleitung eines grippalen Infektes. Doch dem Patienten gelang es mit der ihm eigenen schauspielerischen Begabung, die Symptome für seine Umgebung eindrücklich zu übertreiben. Nach seinem Schulabgang führte er das Leben eines Nichtstuers auf Kosten seiner Mutter, die die Familie in Linz, zu der auch seine jüngere Schwester Paula gehörte, mit ihrer Witwenrente finanzierte. Weder Mutter noch Schwester nahmen Anstoß an diesem Faulenzerdasein, im Gegenteil, sie verhätschelten ihn nachgerade und sahen seine Rolle als Hahn im Korb sogar mit einem gewissen Stolz. Hitler nutzte dieses Wohlwollen weidlich aus, kleidete sich wie ein Dandy, ging nie ohne Spazierstock und war häufiger Gast in Kaffeehäusern und im Theater. Auf seine Eitelkeit in Bezug auf seine Kleidung sollte er in späteren Jahren aus Imagegründen übrigens verzichten.
Kapitel 4
Bohémien
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Er verquickte das Leben des Müßiggängers mit dem eines Künstlers, indem er sich der Malerei und der Federzeichnung von architektonischen Entwürfen widmete. Eine davon war ein Zukunftsbild der Stadt Linz mit einem neuen Theater und einer modernen Donaubrücke. Diese ließ er 35 Jahre später tatsächlich dort errichten. Auffallend war zu dieser Zeit schon sein Hang zu Monumentalbauten im Stil vergangener Jahrhunderte.
Ein Beispiel für Hitlers Hang zu Monumentalbauten liefert dieses Modell der Reichshauptstadt Berlin von 1938/39 nach Entwürfen von Albert Speer.
Er hatte zu dieser Zeit wenig Kontakt mit Gleichaltrigen. Eigentlich besaß er nur einen einzigen Freund, den Sohn eines Tapezierers und Polsterers, August „Gustl“ Kubizek. Mit diesem schmiedete er großartige Pläne und lebte in einer Welt, in der Wirklichkeit und Phantasie fließend waren. Er konnte in einer seltenen Gabe seine utopischen Pläne mit einer solchen Genauigkeit und Anschaulichkeit, mit einer solchen Inbrunst und Überzeugungskraft vortragen, wie sie später für die Begeisterung ganzer Volksmassen von Nutzen sein sollte. Aber zunächst einmal hing ihm Gustl Kubizek an den Lippen und hörte den langatmigen Monologen seines Freundes geduldig zu, weil er von kritikloser und ungeteilter Bewunderung durchdrungen war. Die Musik Richard Wagners verband die beiden. Besonders eindringlich schilderte Kubizek in diesem Zusammenhang den Besuch der frühen Wagner-Oper „Rienzi“, die vom Aufstieg und Fall eines römischen Volkstribunen handelt. Hitler, in der ihm typischen Art alles Geschehen auf sich zu beziehen, identifizierte sich natürlich mit der Hauptfigur und zerrte seinen Freund nach der Aufführung wie in Trance auf eine Anhöhe. Dort eröffnete er diesem mit heiserer und aufgeregter Stimme, dass er vom Schicksal dazu ausersehen sei, das „deutsche Reich zu einen und groß zu machen.“14 Erst 33 Jahre später würde er Kubizek gegenüber bekennen: „In jener Stunde begann es.“15
9. Parteitag der NSDAP, “Parteitag der Arbeit”, Nürnberg 7. bis 13. September 1937. Appell der Politischen Leiter auf der Zeppelinwiese am 10. September. Blick über die Zeppelinwiese mit dem “Lichtdom” von Albert Speer.
Die von der NSDAP veranstalteten Nürnberger Reichsparteitage, mediale Riesenspektakel mit ungeheurer Werbewirkung, sollten von da an immer16 mit der Ouvertüre aus „Rienzi“ eröffnet werden. Hitler, der Wagner als „seinen Vorgänger“ bezeichnete, was sicherlich zum Missverstehen des Komponisten und seines umfangreichen Werkes wesentlich beigetragen hat, war davon überzeugt, dass dieser der größte „Prophet“ sei, den das deutsche Volk jemals gehabt habe. Hitler, der in Wagner eine Art Seelenverwandten sah, betrachtete Politik als eine Kunstform. Im Inneren davon überzeugt, ein Künstler zu sein, war Politik für ihn weniger von Inhalten als von der Ästhetik geprägt, mit der diese Inhalte vermittelt wurden. Damit sollte Politik für ihn auch ein Mittel der Selbstinszenierung werden.
Im Winter 1906/07 erkrankte Klara Hitler schwer und für ihren Sohn brach die schöne geordnete Welt mit ihrer bequemen Lebensweise jäh zusammen. Die Diagnose Brustkrebs machte eine sofortige Operation notwendig. Ein in dieser Zeit riskanter Eingriff. Nach Krankenhausaufenthalt und häuslicher Rekonvaleszenz, während der sie von ihrer Schwester Johanna, der buckligen „Hanni“-Tante, gepflegt wurde, besserte sich ihr Zustand zunächst ein wenig, um sich im Frühjahr wieder drastisch zu verschlechtern. Ihrem Sohn verbarg sie ihren Zustand so gut es ging. Jeden Tag suchte sie der jüdische Hausarzt Dr. Bloch auf, um ihre Wunde zu versorgen. Er war betroffen vom Schmerz ihres Sohnes und beeindruckt von seiner Fürsorge. Er würde 34 Jahre später in seinem US-amerikanischen Exil einem Reporter anvertrauen: „Kein Mensch hätte damals auch nur im mindesten geahnt, dass er einmal die Verkörperung aller Schlechtigkeit werden wird.“17
Obermedizinalrat Eduard Bloch. Hausarzt der Familie Hitler, in seinem Ordinationszimmer im Hause Landstraße 12. Foto, um 1930.
Das Geschwür, ein Ulcus, hatte sich so in die Haut gefressen, dass die darunter liegenden entzündeten Fleischschichten zu sehen waren. Ganz im Inneren vollendeten Metastasen ihr zerstörerisches Werk. Der Wechsel der Verbände musste der Patientin unerträgliche Schmerzen verursacht haben. Sie versuchte tapfer zu erscheinen und sich jeder Lautäußerung zu enthalten. Jeden Tag musste die mit Wundsekret und Eiter durchtränkte Gaze von dem Gewebe abgerissen werden. Das im Verbandsmaterial enthaltene Jodoform, das zur Desinfektion dienen sollte, brannte auf der Haut wie Feuer. Für Arzt und Patientin eine unvorstellbare Tortur. Am Schluss konnte das verabreichte Morphin kaum noch Linderung verschaffen.
Im November 1907 traf Adolf Hitler aus Wien ein, um sich um seine Mutter und seine kleine Schwester Paula zu kümmern. Neben der Erkrankung der Mutter musste er mit einer ganz besonderen Niederlage fertig werden: Sein Projekt Künstler zu werden, war zunächst einmal gescheitert. Selbstbewusst und von seinen Fähigkeiten mehr als überzeugt, hatte er sich im September mit einem Packen Zeichnungen in die österreichische Hauptstadt aufgemacht, um sich an der Allgemeinen Malschule der „Akademie der Bildenden Künste“ zu bewerben. Die Aufnahmeprüfung war auf Grund ihrer hohen Anforderungen berüchtigt und gefürchtet, die Konkurrenz war mit 112 Kandidaten, die der gleiche Traum verband, sehr groß. Zuletzt bestanden von 112 Prüflingen nur 28.18 Hitler kam zunächst durch die erste Runde, bei der zweiten aber fiel er beim Probezeichnen durch. Bei Sichtung seiner eingereichten Arbeiten attestierten ihm die Prüfer, dass aus diesen zweifelsfrei seine „Nichteignung als Maler hervorgehe“, aber seine „Fähigkeit doch ersichtlich auf dem Gebiete der Architektur“ liege.19 Er bewarb sich daraufhin um die Zulassung zum Studium an der Architektenschule der Akademie. Ein nutzloses Unterfangen: Hitlers Schlendrian und seine Ziellosigkeit rächten sich nun. Für die Aufnahme fehlte ihm ein wichtiges Detail: ein gültiges Maturazeugnis.
Es war kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 1907, als Klara Hitler