1907 und 1913 bezeichnete Hitler als seine „Wiener Lehr- und Leidensjahre“. In seinem Werk „Mein Kampf“ beschreibt er sie so: „Das danke ich der damaligen Zeit, daß ich hart geworden bin und hart sein kann. Und mehr noch als dies preise ich sie dafür, daß sie mich losriß von der Hohlheit des gemächlichen Lebens.“20
Kapitel 5
Siegesglorie und Katastrophe
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An einem warmen sonnigen Junitag, man schrieb den 28. des Jahres 1914, ereignete sich in der Balkanstadt Sarajevo ein Mord. Die Opfer waren hochgestellte Persönlichkeiten, ihres Zeichens österreichischer Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie von Chotek, Herzogin von Hohenberg. Diese Bluttat zog weitere Bluttaten nach sich und galt als Auslöser des Ersten Weltkriegs. Es würde zu weit führen, alle politischen Ereignisse im Einzelnen zu erwähnen. Geschehnisse, die von Eigenmächtigkeiten und Fehleinschätzungen geprägt und von dem schicksalhaften Zusammentreffen verschiedenster Interessen beeinflusst waren; befeuert vom brennenden Ehrgeiz der militärischen Eliten und getragen von naiver Begeisterung der Bevölkerung.
Das bereits von dem eisernen Reichskanzler Otto von Bismarck geschmiedete Bündnis zwischen den Kaiserreichen von Österreich und Deutschland musste sich nun in der bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzung bewähren. Der deutsche Kaiser Wilhelm II versicherte seinem „treuen Freund und lieben Vetter“ in Österreich, Franz Joseph I, seine Loyalität in seiner berühmt gewordenen Ansprache auf dem Balkon des Berliner Stadtschlosses: „Kommt es zum Kampf, so hören alle Parteien auf! [...] Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder. Will unser Nachbar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe Ich zu Gott, dass unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht.“21
Doppelbildnis Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Franz Joseph I. von Österreich.
Längst lief die Produktion in den deutschen Waffenschmieden auf Hochtouren. Die führenden Köpfe der deutschen Schwerindustrie, Krupp und Thyssen, sahen dadurch ihre Hoffnung erfüllt, mit ihren kostspieligen Investitionen in hochtechnisierte Massenvernichtungswaffen endlich auch Gewinne zu erzielen. Doch davon ahnten die jungen Männer im feldgrauen Rock nichts, als sie in einer endlosen Kolonne durch das Brandenburger Tor in Berlin marschierten. Auch nicht die Frauen und Kinder, die die Straßen säumten und den Vorbeiziehenden Sträußchen zusteckten und ihnen zujubelten. Solche Szenen ereigneten sich überall im deutschen Reich und in Österreich. Die Soldaten schauten dabei ernst und voller Zuversicht in die Masse der Umstehenden, erfüllt von ihrer Bedeutung und der diffusen Erwartung dessen, was sie nicht kannten, was man ihnen aber als etwas verheißen hatte, das sie gleich einem Stahlbad zu einem Manne schmieden würde. Sie bestiegen Güterwaggons mit der Inschrift „Zum Frühstück in Paris“ und fuhren hinaus in eine ungewisse Zukunft.
August 1914 in Berlin: Ein Truppentransport mit fröhlich winkenden Soldaten kurz vor der Abreise an die Front.
Sie waren dem Ruf ihres Kaisers gefolgt, der in den Extraausgaben aller großen Zeitungen am 7. August 1914 veröffentlicht worden war. In riesigen Lettern stand da: „An das deutsche Volk!“ Auch als Radioansprache wurden die Worte übertragen:
„So muss das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande! Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter neu sich gründeten, um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß.“22
Deutsche und Franzosen, die Erz- und Erbfeinde, standen sich nun gegenüber, angefüllt mit einem ungewissen Hass und einem glühenden Furor, der sich in einer lang zurückgehaltenen Explosion entlud. Sie stürmten und stachen mit ihren Bajonetten aufeinander ein und wussten eigentlich während der ganzen Zeit nicht warum und wie alles angefangen hatte...
Deutsche Soldaten und Maultier mit Gasmasken während des 1. Weltkriegs 1917 an der Westfront.
Aber auch an anderen Fronten wurde erbittert gekämpft. Die Bündnispartner Deutschland und Österreich waren am Ende von allen Seiten umstellt.
Kapitel 6
Stadt der Bewegung
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Auch Hitler muss in München die Ansprachen des Kaisers gehört haben. Seit 1913 befand sich der 25Jährige dort. Seine von ihm glorifizierte Wiener Zeit, die er als Lehr- und Leidensjahre bezeichnet hatte, waren zunächst nicht so von materieller Not geprägt worden, wie er es selbst und lange Zeit auch die Geschichtsschreibung dargestellt hatten. Er hatte von seiner Mutter geerbt und von seiner Tante, der „Hanni“–Tante, Johanna Pölzl, nicht unerhebliche Summen geliehen bekommen. Zudem erhielt er von der väterlichen Seite eine monatliche Waisenrente. Die ersten anderthalb Jahre lebte er davon recht auskömmlich.
Nach dem Tod seiner Mutter nach Wien zurückgekehrt, wollte er für seinen Traum „Baumeister zu werden“ in Zukunft hart und zielgerichtet arbeiten. Im Herbst 1908 stellte er sich der Aufnahmeprozedur an der Wiener Kunstakademie noch einmal. Es war nicht günstig für ihn, dass ihn die Professoren noch von der Prüfung im letzten Jahr kannten: Dieses Mal scheiterte er an der Klausur im Fach Komposition. Die Arbeiten, die er unter der Anleitung des in Wien lebenden Bildhauers Panholzer, der ihm Kunstunterricht gab, angefertigt hatte, durfte er gar nicht erst vorlegen. Ein Jahr später war auch noch sein Erbe aufgebraucht. Seine Unterkünfte wurden auf Grund seiner materiellen Lage immer kümmerlicher, bis er endlich in einem Obdachlosenasyl in Meidling, einem Bezirk an der südwestlichen Peripherie Wiens, landete. Er wechselte im Februar 1910 noch einmal das Männerwohnheim, in dem er in einem zellenartigen Zimmer untergebracht war. Allerdings gab es unter den Gemeinschaftsräumen auch einen Lesesaal, in dem sich Hitler mit seinen Mal- und Zeichensachen niederließ. Die Existenz des verkannten Künstlers war zu diesem Zeitpunkt das Klischee, das er für die Außenwelt bediente. Er traf in seinem letzten Wiener Domizil einen Mann namens Reinhold Hanisch und freundete sich mit ihm an. Dieser war eine etwas fragwürdige Existenz, die bereits im Gefängnis gesessen hatte und falsche Papiere benutzte. Die Arbeitsteilung zwischen den beiden funktionierte aber einwandfrei, wahrscheinlich weil sie so gegensätzlich waren. Neben dem schüchternen und linkischen Hitler, dem man die Herkunft aus der Provinz noch deutlich anmerkte, wirkte Hanisch wie mit allen Wassern gewaschen. Während Hitler von Ansichtskarten und alten Stichen ganz ansehnliche Kopien anfertigte, bot sich der Kumpan als Vertriebswerk an und verkaufte diese. Es waren vornehmlich jüdische Geschäftsleute, die Gefallen an den Bildchen fanden. Gefragt waren vor allem die Aquarelle von bekannten historischen Bauwerken.
Auersperg-Palais in Wien, Aquarell von Adolf Hitler, nach 1907.
Später ging Hitler dazu über, auch Werbeplakate, unter anderem für kosmetische Erzeugnisse und Damenwäsche zu entwerfen23. Ein Karrierebeginn, der schon fast stereotyp wirkt.
Wann wurde Adolf Hitler zu dem, der er