die durch die Kriegswirtschaft Milliarden verdient hätten.
Zudem hätten sie die Revolution, die in Wahrheit von den Matrosen in Kiel im November 1918 ausgegangen war und sich dann in rasender Geschwindigkeit in das übrige Land gefressen hatte, inszeniert, um von den eigentlichen Ursachen abzulenken.
Die deutsche Ideologie war nie frei von einem Fundamentalismus gewesen, der von einer tiefen Sehnsucht nach nationaler Identität geprägt war und sich dabei gleichzeitig fremden Ideen und Lebensformen widersetzte. Die Idealisierung ländlicher Idyllen und eines reinen natürlichen Lebens fernab der zerstörerischen Zivilisation war ein Topos, der bereits in der deutschen Romantik Bedeutung erlangt hatte. Von Anbeginn an hatte der deutsche Nationalismus auch eine Phobie gegen Juden genährt. Dass ökonomische und politische Tatbestände, die jeweils die alten Eliten und deren Pfründe bedrohten, so einfach und unhinterfragt mit judenfeindlichen Erklärungen bemäntelt werden konnten, verstärkte deren Einfluss.
Am 21. Februar 1919 war der sozialistische bayrische Ministerpräsident Kurt Eisner einem Attentat zum Opfer gefallen. Die Bluttat wurde von einem antisemitischen rechten Fanatiker, Anton Graf von Arco auf Valley, begangen und löste eine Gewaltwelle von links und rechts aus. Die legal nach dem Mord an Eisner gewählte Regierung unter dem Sozialdemokraten Johannes Hoffmann konnte sich nicht lange halten. Sie sah sich durch einen linken Revolutionsrat bedroht, der eine Zusammenarbeit mit der verachteten Berliner Regierung „Ebert–Scheidemann–Noske–Erzberger“ ablehnte und schließlich die Macht für sich beanspruchte. Kurz darauf, am 7. April 1919, wurde die „Bayerische Räterepublik“ ausgerufen und Hoffmann floh mitsamt seinem Kabinett nach Bamberg. Von dort aus ersuchte er nun Gustav Noske, seines Zeichens Reichswehrminister, bewaffnete Truppen nach München zu schicken. Noske, der später den bezeichnenden Namen „Blutnoske“ erhielt, war entschlossen, diesen „Karneval des Wahnsinns“42 mit aller ihm zu Gebote stehenden Rücksichtslosigkeit zu beenden. Dies gelang ihm schließlich auf brutale Weise mit Hilfe von Freikorpseinheiten und Verbänden der Reichswehr. Einen Monat nach dem Münchner Blutbad regierte dort das Militär, ehe Hoffmann im August 191943 in sein Amt zurückkehrte. Er sollte es allerdings nur noch bis zu seinem Rücktritt im März 1920 innehaben. Gegen die extreme Linke waren gleichzeitig die reaktionären Kräfte des Adels gewachsen. Nun waren es die Konterrevolutionäre aus der rechten Ecke, die von Kahrs, die von Lossows und die aus dem Geschlecht derer von Knilling, die sich zusammenrotteten und im März 1920 die Regierungsgewalt in Bayern übernahmen. Im Kreis um ihren national-konservativen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr schwangen sie große Reden: „Es heißt für uns nicht: Los von Berlin! Wir sind keine Separatisten. Es heißt für uns: Auf nach Berlin! Wir sind seit zwei Monaten von Berlin in einer unerhörten Weise belogen worden. Das ist auch nicht anders zu erwarten von dieser Judenregierung, an deren Spitze ein Matratzeningenieur steht. Ich habe seinerzeit gesagt: In Berlin ist alles verebert und versaut, und ich halte das auch heute noch aufrecht.“44 Der Autor dieser Worte, Freiherr von und zu Aufseß, benutzte ausnahmsweise einmal nicht den despektierlichen Begriff des Sattlergesellen – Ebert war gelernter Sattler – sondern versuchte sich in der Herabwürdigung des Reichspräsidenten Ebert mit dem Begriff des „Matratzeningenieurs“ noch zu steigern. Im „Freistaat Bayern“ blickte man voller Verachtung auf die Berliner Reichsregierung.
Kapitel 11
Der V-Mann
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Zur Ironie der Geschichte gehört wohl die Tatsache, dass Hitler seine politische Karriere ausgerechnet als V–Mann begann. Bis heute hat die Tatsache, dass die deutschen Verfassungsschutzbehörden V–Männer zur Bekämpfung der rechtsextremen NPD eingesetzt hatten, eine hohe Brisanz und mehrfach das Verfassungsgericht, den höchsten Gesetzeswächter der Bundesrepublik Deutschland, beschäftigt. Auch Hitler wurde damals von der Propagandaabteilung Ib/P, einer Unterabteilung des Reichswehrgruppenkommandos, eingesetzt, um die in München neu gegründeten Parteien auf die Gefahr einer bolschewistischen Bedrohung hin auszuspionieren und die Bevölkerung schärfer zu überwachen45. Im Juni 1919 wurde er für seine Aufgabe in einem „antibolschewistischen Aufklärungskurs“ ausgebildet. Der einflussreiche nationalkonservative Historiker, Karl Alexander von Müller, im Übrigen ein hoch angesehener Wissenschaftler, schwor seine Auszubildenden auf seine Gesinnung ein. Diese, ganz zeitgemäß, war antikapitalistisch und damit zugleich antisemitisch. Die Juden waren Inbegriff der „Zinsknechtschaft“, eine Diffamierung, die den Antisemitismus damals wie heute prägt.
Müller war der erste, der in einer Veranstaltungspause auf Hitlers rednerisches Naturtalent aufmerksam wurde und ihn weiterempfahl. In seiner Eigenschaft als V–Mann kam Hitler am 12. September 1919 zum ersten Mal in Kontakt mit der DAP, der erst im Januar desselben Jahres gegründeten Deutschen Arbeiterpartei. Diese gehörte der völkischen Bewegung an und vertrat neben deutschnationalen auch antimarxistische Ideen. Als Hitler die Partei bespitzeln sollte, referierte man über das Thema: „Wie und mit welchen Mitteln beseitigt man den Kapitalismus?“ Prompt ging der V-Mann aus der Deckung und gab im Foyer sein frisch angelerntes Wissen über die „Brechung der jüdischen Zinsknechtschaft“ zum Besten. Bereits eine Woche nach diesem Besuch wurde Hitler Mitglied der DAP und – wegen „seiner großen Gosch’n46“ – auch 1920 ihr „Werbeobmann“. Er war damit für die Organisation sämtlicher Veranstaltungen und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Von Anbeginn an ließ Hitler keinen Zweifel daran, dass ihm an einem demokratischen Weg durch die Instanzen nicht gelegen war. Unverhohlen verlangte er ein Parteiführer mit diktatorischen Befugnissen zu sein.
Es sollte keine zwei Jahre dauern, bis Hitler die Partei vollkommen auf sich eingeschworen hatte. Hier, im Kleinen, ließ er sich bald auch als „Führer“ huldigen47.
Kapitel 12
Der Trommler
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Hitler galt als Rampensau und bester Straßenredner seiner Partei. Man vergewisserte sich nicht seiner Überzeugungen, sondern war interessiert an der Art und Weise, wie er Überzeugungen schaffte und veränderte.
Und ihm wurde im München jener Zeit ein Schauspiel geboten, das teilweise die Züge einer Wagneroper trug. In der bayrischen Landeshauptstadt wurden zwei extreme politische Modelle in kurzer Zeit, wie in einem Zeitbeschleuniger erprobt. Eine besonders radikale Spielart der Räte-Idee nach sowjetischem Vorbild sollte dabei für kurze Zeit, im April 1919, die Oberhand gewinnen. Hitler war gebannt von den Generalstreiks und Massenkundgebungen, wenngleich er deren Chaos verachtete. Andererseits dürfte dem Frontheimkehrer auch das steife und sterile Ritual von Militärparaden nicht mehr die anfängliche Begeisterung entlockt haben. Man war unter Marschmusik in einen Krieg gezogen, dessen Brutalität in der bisherigen Kriegsgeschichte unbekannt gewesen war. In den Gräben an der Westfront hatte sich das Massensterben jahrelang hingezogen. Davor war das Militär nach außen hin unangefochten die herrschende und stilbildende Kaste gewesen. Zackiges Marschieren in Reih und Glied und die Bewegungen der dressierten Körper, die wie Rädchen in einer überdimensionalen Maschine wirkten, hatten die Menschen begeistert, die des ruhigen Gleichmaßes eines jahrzehntelangen Friedens anscheinend überdrüssig geworden waren.
Hitler war zunächst fasziniert, wie kommunistische Straßenredner und Agitatoren mit der Masse kommunizierten. Zu sehen, wie zwischen beiden der Funke übersprang und Redner und Zuhörer zu einer „Tatgemeinschaft verschmolzen“48,