Macht des Stärkeren, mit der man sich entweder zu behaupten wusste - oder unterging. Auch Fidel Castro sah sich gerne als Mann der Tat. Statt sich seinem Studium zu widmen, ließ er sich 1947 von der karibischen Legion als Söldner anheuern, in deren Stab angeblich auch der auf Kuba lebende Schriftsteller Ernest Hemingway gewesen sein soll. Ihr ambitioniertes Ziel: gleich zwei Diktatoren zu stürzen. Und zwar den Nicaraguas, General Somoza70, und jenen der Dominikanischen Republik, General Trujillo71, gleich mit. Über Somoza hatte sich auch der ehemalige amerikanische Botschafter auf Kuba, Sumner Welles, bei Präsident Franklin D. Roosevelt entsetzt ausgelassen:
„Somoza ist doch ein Hurensohn!“
Roosevelt antwortete kurz:
„Aber er ist unser Hurensohn!“72
Eine wahrhaft treffende Aussage über den Opportunismus der amerikanischen Außenpolitik, die aus lauter Angst vor Radikalisierung lieber Tyrannen unterstützte.
Der 32. US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945) Quelle: U.S. National Archives and Records Administration
Nach zwei Monaten Guerillatraining starteten die Abenteurer der karibischen Legion auf einem Boot Richtung Dominikanische Republik. Doch die Aktion scheiterte, das Boot wurde vor der Nordostküste Kubas von der kubanischen Marine geentert. Castro gelang in letzter Minute der rettende Sprung von Bord – mit einem gestohlenen Rettungsboot schaffte er es bis kurz vor die Küste. Doch dann musste er die restlichen 300 Meter vollends durch die Bucht von Nipe schwimmen, in der es vor gefährlichen Bullenhaien und angriffslustigen Barrakudas nur so wimmelte.
Blick über die Bucht von Nipe. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Hier erwies sich bereits sein legendäres Glück: Der gut durchtrainierte Sportler schwamm um sein Leben, angespannt jeden Schatten belauernd, den er unter sich ausmachen konnte. Schließlich gelang es ihm, sich auf die elterliche Farm zu retten, wo ihn allerdings eine gehörige Standpauke des Vaters erwartete73
Auch wenn er sich anfangs vor den Vorlesungen noch gedrückt hatte, las er nach diesem Abenteuer viel, studierte frei vom Studienplan, was immer ihn interessierte und hatte sich später für an die fünfzig Kurse eingeschrieben. Er fraß wie ein Staubsauger alles an Wissen in sich hinein, das ihm die Universität anbot. Er verschlang Bücher von José Martí und über die Unabhängigkeitskriege in Kuba. Ganz zeitgemäß studierte er auch Lenin, Marx und Engels, dialektischen und historischen Materialismus, die politische Ökonomie, kurzum das gesamte Rüstzeug für den späteren Kommunisten. Im Park, unter dem Schatten von Lorbeerbäumen, erprobte er dann gerne seine neu gewonnenen Theorien an jungen Mädchen.74
Der Mord an dem studentischen Führer der MSR, Manolo Castro – nicht mit ihm verwandt – durchkreuzte allerdings seine Pläne eines raschen Vorankommens. Denn in alter Mafiamanier schob man die Tat Fidel Castro in die Schuhe. Der Verdacht ließ sich nicht erhärten, aber sicherheitshalber tauchte er im Februar 1948 erst einmal unter. Er reiste über Panama und Venezuela nach Bogotá, Kolumbiens Hauptstadt inmitten eisiger Andengipfel.75 Dort organisierte er ein Treffen lateinamerikanischer Studenten. Das Programm liest sich ambitioniert und macht deutlich, dass auch er sich, ganz in der Tradition José Martís, nicht nur als Kubaner sondern als ein „Bürger des ganzen südlichen Amerikas“ sah76:
„Wir unterstützten unter anderem den Kampf der Argentinier für die Falklandinseln, die Unabhängigkeit Puerto Ricos, den Sturz Trujillos, die Rückgabe des Panamakanals und die Souveränität der europäischen Kolonien in der Region. Das waren unsere Programme.“77
Als der populäre kolumbianische Oppositionsführer und Rechtsanwalt José Gaitán, mit dem Castro sich kurz zuvor persönlich getroffen hatte, vor seinem Anwaltsbüro in Bogotá erschossen wurde, geriet Castro mitten hinein in die wütende Menschenmasse. Der Attentäter wurde durch die Straßen geschleift und anschließend gelyncht. Die Wut auf diesen feigen Mord an Gaitán entlud sich schließlich in einer Orgie aus Gewalt und Zerstörung, mit Tausenden von Toten. Castro ließ sich mitreißen von diesem Volksaufstand und stürmte eine Polizeiwache, auf der er ein Gewehr ergatterte. Dieses Erlebnis78 des Bogotazo, des gewalttätigen Aufstandes, war seine Initiation zum künftigen Revolutionär. Nur mit unerhörtem Glück konnten er und seine kubanischen Kommilitonen sich nach Kuba retten: „Es war unglaublich, dass wir nicht alle getötet wurden!“79 wunderte er sich noch im Nachhinein.
Im Juni 1948 war der Arbeitsminister unter Graus Regierung, Carlos Prío Socarrás, seinem Parteifreund auf den Präsidentensessel gefolgt. Zur Enttäuschung Fidel Castros hatte sein Favorit Eduardo Chibás, der gegen ihn angetreten war, die Wahl verloren. Der tiefe Graben im Land zwischen der breiten, vermögenden Mittelschicht und der in Armut und Elend lebenden Unterschicht vertiefte sich weiterhin. Dazu kam die Diskriminierung der schwarzen und mulattischen Bevölkerung. Geändert hatte sich also nichts, es war nur ein korrupter Politiker gegen den anderen ausgetauscht worden.
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