Nähe des Dorfes Birán, dreißig Kilometer landeinwärts von der nördlichen Küste Kubas, hundert Kilometer entfernt von Santiago de Cuba.
Das Elternhaus der Castros in Birán. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Das Wohnhaus war auf für Galicien typischen, hohen Holzpfählen errichtet worden. Unter ihm tummelten sich Kühe, Hühner, Schafe, Enten und Truthähne.
„Ich wurde auf einem Gutshof geboren. Im nördlichen Zentrum der alten Provinz Oriente, nicht weit entfernt von der Nipe-Bucht, nahe der Zuckerfabrik von Marcané. Der Ort hieß Birán. Es war kein Dorf, nicht einmal ein kleines Dorf, nur ein paar vereinzelte Häuser standen dort. Das Haus meiner Familie lag am Rand des alten Camino Real. So nannten sie den Pfad aus Schlamm und Erde, der vom Hauptort der Gemeinde in den Süden führte“48, erinnert sich Fidel Castro.
Das Wohnzimmer der Castros in Birán. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
In unmittelbarer Nähe des Wohnhauses entstand auch eine Poststation, ein Laden, eine Molkerei, ein Schlachthof, eine Bäckerei, ja sogar ein Hahnenkampfplatz. Dies alles gehörte Ángel Castro. Er hatte es zu beachtlichem Reichtum gebracht.
Der Hahnenkampfplatz der Familie Castro in Birán. Fidel Castro verbot später Hahnenkämpfe. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Die Castros besitzen eine eigene Begräbnisstätte in Birán. In der Mitte sind die Urnen der Eltern, links Ángel Castro Ruz, rechts Lina Ruz González, beigesetzt, im Hintergrund, die der Großeltern und Geschwister. Wer noch nicht verstorben ist, hat dennoch bereits seinen Platz. Für Raúl und Fidel Castro jedoch ist im Familiengrab kein Platz vorgesehen. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
„Wenn Sie alles zusammennehmen, die eigenen und die gepachteten Flächen, dann hatte mein Vater nicht weniger als 11000 Hektar Land. ..... Ich gehörte unter diesen Umständen zu einer Familie, die mehr als nur leicht vermögend war. Sie war nach damaligen Maßstäben ziemlich reich.“49
Ángel Castro herrschte wie ein Häuptling über seine Angestellten. Der kräftige und baumlange Mann war die unumstößliche Autorität des Hauses, ein stattlicher galicischer Patron. Fidel Castro erbte nicht nur seine Statur, sondern auch seinen Jähzorn, seine gefürchteten Wutanfälle und seine Reizbarkeit. Doch auch dessen zähe Willenskraft, seine Durchsetzungsfähigkeit und Unbeirrbarkeit. 1911 hatte der Patron die einundzwanzigjährige kubanische Grundschullehrerin María Luisa Argota Reyes geheiratet und fünf Kinder mit ihr gezeugt. Nur zwei davon überlebten, Pedro Emilio und Lidia.
Eine Schwachstelle in Ángel Castros Gefühlsleben war wohl seine Vorliebe für jenes junge, schöne Mädchen, das eines Tages für eine Arbeitsstelle auf der Finca anheuerte. Sie war mit ihrer Familie vor einigen Jahren aus dem Westen Kubas gekommen, aus der Provinz Pinar del Río, in der Hoffnung, das Leben ließe sich im Osten leichter bewerkstelligen.
Lina Ruz González als junge Frau, Birán. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Das Mädchen, Lina Ruz González, wurde als Köchin im Haushalt von Ángel Castro angestellt. Die Liebe muss durch den Magen gegangen sein, denn bald wurde die Neunzehnjährige Lina schwanger von ihrem achtundzwanzig Jahre älteren Patron. Ángela Maria war das erste Kind, das sie ihm unehelich gebar. Es folgten sechs weitere: Ramón, Fidel, Raúl, Juanita, Enma und schließlich, 1938, Augustina.
Zwar trennte sich Ángels erste Ehefrau María Luisa von ihm, doch verweigerte sie viele Jahre lang die Scheidung. Ángel Castro und Lina Ruz González konnten darum erst 1943 heiraten, als María Luisa50 endlich doch noch in die Scheidung einwilligte. Seine Kinder aus der Beziehung mit Lina erkannte er als legitim an.
Fidel Castros Mutter Lina wird als einfache Bäuerin ohne Schulbildung beschrieben, die sich aber sehr fürsorglich und beflissen um ihre Kinder sorgte, sich mit eisernem Willen für deren Bildung einsetzte und den Haushalt zusammen hielt. Wie der Vater, brachte auch sie selbst sich Lesen und Schreiben bei. Fidel Castro erinnert sich an seine Mutter: „Sie war eine außergewöhnliche Arbeiterin, und kein Detail entging ihrer Beobachtung. Sie war Köchin, Ärztin, Beschützerin von uns allen und kümmerte sich um jede Sache, die wir brauchten. Es gab kein Problem, das sie nicht zu meistern wusste. Sie hat uns nicht verzogen; sie hat Ordnung, Sparsamkeit und Hygiene von uns gefordert, und sie hatte sowohl innerhalb als auch außerhalb unseres Hauses alles im Griff. Sie war die Wirtschaftsexpertin der Familie. Niemand weiß, woher sie die Zeit und Kraft nahm für all diese Aktivitäten; man sah sie nie sitzen oder sich ausruhen, den ganzen Tag war sie in Bewegung.“51
Kinderbett und Geburtsstätte Fidel Castros in Birán. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Mutter Lina war der religiöse Mittelpunkt der Familie, eine gottesfürchtige Katholikin, deren fromme Vorstellungswelt durchwandert war vom Glauben an Magie, an böse Geister, Hexen oder an eine unheimliche Gottheit, die sich an Straßenecken verstecken und Züge entgleisen, Autos ineinander rasen lassen oder Menschen verwirren konnte. Ebenso gab es in ihrem Götterhimmel auch wundertätige Heilige, die zwar unsichtbar, doch unter den Menschen lebten. Sie konnten sich durch einen Stein, den Wind, in Bäumen, in einer Meereswelle offenbaren. Und wehe, man riss diesen Göttern ihre Tarnkappen vom Kopf, dann ritten sie auf einem oder schlüpften in den Körper und sprachen wirr durch den geliehenen Mund. In einem solchen Moment wurde der Besessene selbst zum Ort von Orícha, zum Gott. Auf Kuba ist heute noch der afrokubanische Volksglauben, die Santería allgegenwärtig. Es sind religiöse Bräuche und Riten einst versklavter Afro-Kubaner, die sich vor allem auf dem Land mit der katholischen Heiligenverehrung vermengt haben.
Santería Gottheiten und Geistwesen (Oríchas)52:
Olofi – ist der oberste und einzige Gott in der Santería, Schöpfer des Lebens und aller Energie. Für Menschen ist er unerreichbar, auch wird er nicht direkt angebetet. Es sind Geistwesen, Oríchas, die zwischen den Menschen und ihm vermitteln.
Elegguá - ist der Erste Krieger, Herr aller Wege und Kreuzungen. Elegguá vermittelt zwischen den Menschen und den Oríchas. Er kann Glück oder Unglück bringen, Krieg oder Frieden. Bei allen Santería-Ritualen muss er als Erster begrüßt werden und die Opfergaben erhalten. Da er kein Kostverächter ist, gelingt es einem bisweilen, ihn mit Wein milde zu stimmen. Zumeist wird er durch einen Stein oder Holz präsentiert, die Augen bilden zwei Muscheln.
Kettenfarbe: rot-schwarz
Hausaltar für Elegguá mit Opfergaben. Trinidad. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Ogún (Oggún) - ist der Zweite Krieger, Herr des Eisens, der Mineralien, Schlüssel, Werkzeuge und Gefängnisse. Er ist einerseits Beschützer der Handwerker, doch repräsentiert er auch den Krieg. Sinnbild urtümlicher Kraft.
Kettenfarbe: grün-schwarz
Yemayá - ist die Patronin der Seeleute, der Bucht von Havanna (ihre Bedeutung verschmilzt mit der Virgen de Regla in Havanna) und Schutzherrin des Meeres. Sie kann lieblich sein, sich jedoch auch in eine rasende Furie verwandeln.
Kettenfarbe: blau- weiß, oder kristallfarben
Ochún - ist die Göttin der Liebe und der Schönheit und die Schutzpatronin Kubas. Sie synkretisiert mit der Virgen de la