der Patrouille. „Nicht schießen“, befahl er seiner Truppe, und fuhr mit leiser Stimme fort: „Nicht schießen. Ideen tötet man nicht. Nicht schießen!.“25
Noch zweimal sollte der schwarze Oberstleutnant Fidel Castro an diesem Tag das Leben retten. Das zweite Mal, als er sich weigerte, dem zwar höher gestellten - doch als blutrünstiger Mörder verschrienen - Comandante Pérez Chaumont, seinen Gefangenen auszuliefern. Und ein drittes Mal als er entgegen aller Armeebefehle Fidel Castro nicht zur Moncada Kaserne brachte, sondern in das Stadtgefängnis von Santiago de Cuba. Fidel Castro hielt über seinen leibhaftigen Schutzengel später fest: „Wenn er mich zur Moncada gebracht hätte, hätten sie Hackfleisch aus mir gemacht und kein Stück von mir übrig gelassen.“26
Dennoch machte er sich keinerlei Illusionen über seine Situation: „Ich traute ihnen in jedem beliebigen Moment jede Grausamkeit zu.“27
Kapitel 4
Die Geschichte wird mich freisprechen
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Am 21. September 1953 begann der Prozess im Justizpalast von Santiago de Cuba. Vor knapp zwei Monaten war er noch von den Rebellen besetzt gewesen.
Justizpalast, Santiago de Cuba. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
Fidel Castro ergriff bereits bei der Beweisaufnahme das Wort und pochte als Anwalt auf sein Recht zur Selbstverteidigung. Was weder Batista noch seine Polizeispitzel so recht glauben mochten, bekräftigte er wagemutig und ohne Furcht vor Konsequenzen: Er und seine Gruppe hatten alleine gehandelt. Geld, Waffen, Munition, die Uniformen, Autos, alles hatten sie sich selbst beschafft. Auch den Ort, Santiago de Cuba, hatten sie bewusst gewählt: Gut 900 Kilometer von der Hauptstadt Havanna entfernt, wähnten sie sich weit genug entfernt von Batistas Truppen und spekulierten zudem auf die Trunkenheit der Soldaten während des Karnevals.
Fahndungsfoto Fidel Castros von 1953. Interessant ist ein Detail rechts am Bildrand: Das Geburtsdatum wurde nachträglich von 1927 auf 1926 ausgebessert. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader
„Die Regierung sagt, dass der Angriff mit solcher Präzision und Perfektion durchgeführt wurde, dass dies die Anwesenheit von Militärexperten bei der Erarbeitung des Plans beweise. Nichts könnte absurder sein! Der Plan wurde von einer Gruppe junger Leute entworfen, von denen niemand militärische Erfahrung hatte.“28
Was allerdings dann geschah, hätten die Machthaber am liebsten hermetisch abgeriegelt hinter den dicken Mauern des Justizpalastes gelassen. Doch zum Auftakt des Prozesses waren Zivilisten, Soldaten und Vertreter der Presse zugelassen. Journalisten unterstanden zwar der Zensur, aber längst hatten sie gelernt, wie auch leise geflüsterte Enthüllungen glaubwürdig ihre Empfänger erreichen konnten.
Fidel Castro während des Verhörs nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne 1953. Bildquelle: AKG
Mit seinem Auftritt verwandelte Fidel Castro die Anklagebank in eine Bühne für sich. Auf die gegen ihn vorgebrachten Anklagepunkte ging er erst gar nicht ein. Stattdessen klagte er an: „Als Anwalt befragte ich alle Zeugen und alle Mörder. Das war Wahnsinn. Sie konnten es nicht ertragen […] ich habe alles angeklagt.“29
Seine Richter waren dem wortgewaltigen Juristen nicht gewachsen. Bereits mit den ersten Worten riss er das Verfahren an sich.
„Meine Herren Richter,
nie hat ein Verteidiger sein Amt unter derart schwierigen Bedingungen ausüben müssen: niemals hat ein Angeklagter sich einer solchen Menge quälender Ordnungswidrigkeiten ausgesetzt gesehen. […] Als Anwalt hat diese Person nicht einmal die Prozessakten einsehen dürfen, als Angeklagter war sie bis zum heutigen Datum unter Umgehung aller Gebote der Rechtsordnung und der Humanität 76 Tage in einer Einzelzelle ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt eingesperrt […]“30
Die Folter und die Ermordung der Gefangenen brachte er zur Anklage, ersparte den Zuschauern und Richtern keines der grausigen Details. Und trotz der traumatischen Umstände ihres Todes, beklagte er seine Kampfgefährten nicht als Opfer des Batista-Systems, sondern erklärte sie zu Märtyrern, denen er Standhaftigkeit, Todesmut und Mannhaftigkeit bescheinigte: „Selbst als man ihnen ihre männlichen Organe genommen hatte, waren sie noch tausendmal mehr Mann als alle ihre Folterknechte zusammen.“31
Die anwesenden Soldaten fest im Blick, forderte er eine gemeinsame, sinnstiftende Verpflichtung zum Kampf – als das Vermächtnis der ermordeten Kameraden. Die moralische Schwäche des Systems anprangernd, reklamierte er das Recht auf Widerstand gegen eine unrechtmäßige Regierung, die „anstelle von Fortschritt und Ordnung den Staat barbarisch und mit brutaler Gewalt“32 regiere.
„Zunächst einmal ist die Diktatur, die die Nation unterdrückt, keine verfassungsmäßige, sondern eine verfassungswidrige Macht; sie wurde gegen die Verfassung, über die Verfassung hinweg eingeführt, sie ist eine Vergewaltigung der legitimen Verfassung der Republik. Eine legitime Verfassung ist die, die direkt vom souveränen Volk ausgeht.“33
Er lieferte eine gnadenlose Analyse der Missstände, wies auf die Situation der verarmten Bevölkerung hin und zeichnete ein genaues Bild der krassen Gegensätze zwischen dem Heer der Arbeitslosen, dem Elend der verarmten Bauern und dem Prunk und der Verschwendungssucht der Reichen. Unverhohlen forderte er in seinem Plädoyer die Rückkehr zur Demokratie und die Wiedereinsetzung der Verfassung von 1940.
Als geistigen Urheber des Angriffs vom 26. Juli 1953 nannte er den Nationalhelden José Martí, den „Meister“, dessen Worte er verinnerlicht hatte. Zudem berief er sich auf politische Denker und Geistesgrößen wie Martin Luther, John Locke, Jean-Jacques Rousseau und John Milton, in deren Tradition er sich sah. Seinen Kampf für Freiheit stellte er in den Kontext der englischen „Glorious Revolution“ von 1688, der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 und der französischen Revolution von 1789. Bemerkenswert ist, dass ihm während der Haft kein einziges Nachschlagewerk zur Verfügung gestellt wurde. Es zeigte sich die Brillanz eines Kopfes, der in seiner Verteidigungsrede ganze Passagen aus philosophischen Werken und Gesetzestexten auswendig zitieren konnte. Damit hatte er schon seine Lehrer in der Schule verblüfft – Fidel Castro verfügt über ein nahezu perfektes visuelles Gedächtnis.
„Ich trage die Lehren des Meisters im Herzen, und im Kopf die edlen Gedanken aller Menschen, die die Freiheit der Völker verteidigt haben.“34
Sein Schlussplädoyer unterstrich die historische Bedeutung seiner Person und des Handelns der Rebellen: „Es bleibt dem Gericht noch das größte Problem zu lösen: die Straftat der siebzig Morde, das heißt des größten Massakers, das uns bekannt geworden ist. Die Schuldigen befinden sich auf freiem Fuß, bewaffnet, und stellen eine dauerhafte Bedrohung für das Leben unserer Bürger dar, wenn auf sie nicht das gesamte Gewicht des Gesetzes fällt, […] ich beklage den beispiellosen Makel, der auf unsere Rechtsprechung fallen wird! Was mich selbst anbelangt, so weiß ich, dass das Gefängnis hart sein wird wie nie zuvor für einen Menschen, verschärft von Drohungen, voll niederträchtiger und feiger Wut, aber ich fürchte es nicht, ebenso wenig wie ich die Wut des elenden Tyrannen fürchte, der siebzig meiner Brüder das Leben raubte. Verurteilt mich, es bedeutet nichts, die Geschichte wird mich freisprechen.“35
Er hatte diese über zweistündige Rede frei gehalten36. Erst später wurde sie rekonstruiert und in einer Streichholzschachtel aus dem Gefängnis geschmuggelt, um sie in einer Auflage von vermutlich 10.000 Stück heimlich unter das Volk zu bringen. Seine Verteidigungsrede wurde die Gründungsurkunde der kubanischen Revolution.
Mochte