Manfred Eisner

Raue Februarwinde über den Elbmarschen


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renoviert hatte, und machte dann auch seiner Silke einen Heiratsantrag. Seine berufliche Laufbahn war durch die den selbstständigen Unternehmern eigenen Aufs und Abs gezeichnet, weshalb er einigermaßen froh war, als die neu gegründete Wind-Powermasters Genossenschaft ihn vor etwa fünf Jahren mit einem gut dotierten Gehalt als technischen Leiter einstellte und seinen Bauernhof gegen eine erkleckliche Monatsmiete zu deren Hauptquartier machte. Da seine Kinder inzwischen allesamt aus dem Hause waren, zog auch er aus dem für das Ehepaar viel zu groß gewordene Barghus in seine jetzige Vierzimmerwohnung nach Wilster um.

      Etwas verbittert untersucht Wolfgang Schneider abermals mit scharfem Blick das ausgewiesene Areal, um dessen Nutzung als Standort der Windkraftanlagen schon seit Bekanntwerden des Projekts ein erbitterter Streit zwischen Befürwortern und Gegnern ausgetragen wird. Beide Parteien haben mit harten Bandagen gerungen, und diese Auseinandersetzungen sind nicht ohne seelische und sogar körperliche Blessuren abgelaufen. Ebenso wie der gesamte Vorstand der Genossenschaft ist auch Schneider nicht von harten Vorwürfen und Verunglimpfungen verschont geblieben, wurde er sowohl mündlich als auch im Internet des Öfteren als »Lakai der Windkraftmafia« beschimpft und bedroht, war er doch stets überzeugt von der Richtigkeit des Einsatzes der Windkraft für die Energieerzeugung, wie er es in sämtlichen öffentlichen Veranstaltungen deutlich kundgetan hatte. Allerdings muss auch er sich ehrlicherweise eingestehen, dass das Maß des für die Anrainer der Windparks Erträglichen inzwischen nahezu voll ist, weil die Anzahl der Windenergieanlagen durch die grenzenlose Geldgier von Erbauern und Betreibern der immer größer werdenden Windräder weit überzogen wurde – und immer noch wird. Nachdenklich zirkelt er auf dem Plan hin und her, um die vom Vorstand geforderten zusätzlichen Anlagen unterzubringen. Kein leichtes Unterfangen, gilt es doch sowohl die rechtlichen Vorgaben als auch die physikalischen Gesetze stimmig zu koordinieren: Mindestens 800 Meter Abstand zu Siedlungen und 500 Meter zu einzeln stehenden Häusern sind da einzuhalten. »Da steht doch diese alte Kate mit gerade mal 480 Metern schon viel zu nahe dran!«, murmelt er. »Und dort, am südlichen Rand der Fläche, befindet sich der kleine Fünf-Häuser-Ort bereits in 822 Metern Distanz!« Die 2,4-Megawatt-Windräder, die hier aufgestellt werden, haben Rotoren mit einem beachtlichen Durchmesser von 117 Metern. Ihre Masten ragen 140 Meter hoch in den Himmel. Mit der Vorgabe, dass Windräder mit einem Mindestabstand vom Fünffachen des Rotordurchmessers aufgestellt werden sollen, damit sie sich nicht gegenseitig »den Wind aus den Segeln nehmen«, müsste also jedes von ihnen hier einen freien Umkreis von 585 Metern haben. »Hat doch alles keinen Sinn, meine Herren vom Vorstand! Ich kann so viel hin und her zirkeln, der Platz wird dadurch einfach nicht größer!« Resigniert legt Schneider den Plan beiseite und greift zum Telefon.

       *

      Zwei Wochen zuvor ist es auf dem Thodehof am Rande der Kleinstadt Oldenmoor hoch hergegangen. Während die Familie in der Wohnküche beim Mittagessen versammelt ist, verkündet halblaut Jungbauer Norbert Bahlke seiner Ehefrau Regine: »Ich habe heute Vormittag mit dem Filialalleiter der Holsteinischen Bank verhandelt und wir sind uns einig geworden. Herr Sievers sagte mir den Kredit für den Ankauf von fünf Genussscheinen der Wind-Powermasters Genossenschaft zu. Sie werden zur Sicherheit bei der Bank deponiert und der Kredit wird mit den fest zugesicherten Zinsen, die die Genussscheine abwerfen, abgegolten, sodass uns dadurch praktisch keine Spesen entstehen.«

      »Verdammich nomol! Hört dat nie op?« Altbauer Theo Thode haut mit der Faust so hart auf den Tisch, dass das gesamte Geschirr klappert. »Ick kun juun bloides Gesabbel nie nich mehr höörn! Un erpressen lass ick mich schon gor nich!« Wutentbrannt schiebt er den nur bis zur Hälfte leer gegessenen Teller Erbsensuppe von sich, knallt den Löffel auf den Tisch, steht auf und verlässt schwer hinkend die Wohnküche. Er hat sich die Verletzung vor zwei Jahren zugezogen, als er in ziemlich angetrunkenem Zustand vom eigenen Trecker gefallen ist und dabei auch noch sein rechtes Bein von dessen mächtigem Hinterrad überfahren wurde. Der längere Krankenhausaufenthalt und ein vom Unfall verbliebener Gehschaden haben ihn dazu bewogen, den Bauernhof samt Viehwirtschaft sowie die 65 Hektar großen Ackerflächen seiner Tochter Regine und dem Schwiegersohn Norbert Bahlke in Erbpacht zu überlassen. Mit Anfang sechzig war er zu der Zeit zwar noch zu jung, um sich vom seit Generationen ererbten Hof der Thodes zu lösen, aber er musste erkennen, dass ihm nach dem Verlust seiner treuen Siglinde, die vier Jahre zuvor an Brustkrebs verstorben war, jegliche Lebenslust – samt der vormaligen Freude an der Landwirtschaftsarbeit – abhandengekommen war. Der einst so gesellige und unternehmungslustige Kerl mutierte zu einem sehr stillen, in sich gekehrten und stets muffigen männlichen Wesen, das sich mehr der Flasche als der Familie und den Belangen des Gutshofs widmete. So brachte er dem Begehren der Tochter und ihres Mannes nach seiner Abdankung aufgrund des unhaltbar gewordenen Zustandes von Finanzen, Haus und Hof kaum Widerstand entgegen. Ja, er gestand sich insgeheim sogar ein, dass er darüber froh war, von diesen lästig gewordenen Bürden entbunden zu werden. Obwohl er damit die gesamte Wirtschaft und Verantwortung seiner Nachkommenschaft überließ und sich nur dann über das Tagesgeschehen äußerte, wenn er danach gefragt wurde, gab es in einer Hinsicht – nämlich jener der eventuellen Aufstellung von Windenergieanlagen auf seinem Grund und Boden – eiserne Ablehnung. »So’n Schietmobil kommt mi nie nich op mien Land! Da ward man bloss vun ramdösig. Un de Keu, de warn bregenklöterig un givt dann ok keen Melk mehr!« Die jungen Bauersleute, die von nun an für das Überleben des finanziell ziemlich ramponierten Gutes Sorge zu tragen hatten, sahen dies allerdings ganz anders, versprach doch die Jahrespacht für die Aufstellungsfläche einer Windenergieanlage – je nach erbrachter KWh-Leistung – bis zu 25.000 Euro. Sie versuchten deshalb dem Altbauern die Erlaubnis für die Verpachtung einer etwas weniger als 6 Hektar großen Fläche für die Aufstellung von vier Windrädern abzuringen. Die Rechnung, die die Tochter dem sturen Vater vorlegte – bei einem durchschnittlichen Ertrag von 8 Tonnen Weizen je Hektar wären auf diesem Ackerstück bestenfalls 48 Tonnen und ein Bruttoerlös von gerade mal 8.200 Euro erzielbar; dagegen stünden bis zu 100.000 bare Euro jährlich! –, konnte ihn dennoch nicht überzeugen, war doch seine Abneigung gegen diese ständig Schatten werfenden und in der Nacht rot blinkenden Ungeheuer unumkehrbar. Total entnervt haben ihm daraufhin heute Tochter und Schwiegersohn tatsächlich die Pistole an die Brust gesetzt, indem sie ihn vor die Alternative gestellt haben, entweder seine Zustimmung zu erteilen, im gegenteiligen Fall aber den Erbpachtvertrag sofort zu lösen und den Hof samt Kindern und Enkeln zu verlassen.

       *

      Trotz der eisigen Kälte und des starken Windes in den frühen Morgenstunden dieses Sonntags hat Nili es geschafft, ihren Waldi aus dem mollig warmen Bett zu scheuchen und nach Einnahme eines heißen Bechers schwarzen Tees mit Minze mit ihr auf ihrer üblichen Joggingstrecke entlangzutraben. Die eisige Luft, die ihnen entgegenweht, treibt ihnen die Tränen in die Augen, nur mühsam kommen sie gegen die oft böigen Luftmassen an.

      »Guck mal, Nili, der Wind ist so stark, dass die ganze Reihe Windräder dort hinten zum Stillstand gekommen ist!«, bemerkt Waldi mit keuchender Stimme.

      »Ja, das habe ich auch schon beobachtet«, antwortet Nili. »Das bedeutet, dass die Windgeschwindigkeit neunzig Stundenkilometer überschritten haben muss, denn da schalten die Windräder automatisch ab! Aber lass dich von dem Wind nicht ärgern und streng dich ruhig noch etwas an. Auf dem Rückweg laufen wir dafür mit achterlichem Wind viel leichter.«

      Kurz darauf hören sie von weit hinten das Martinshorn eines Polizeistreifenwagens, der sich ihnen mit Blaulicht und rasender Geschwindigkeit nähert. Neugierig bleiben sie stehen und beobachten den Wagen. Die Insassen haben sie offensichtlich erkannt, denn die Fahrerin steigt abrupt auf die Bremse und das Auto kommt etwa fünfzig Meter hinter ihnen zum Stehen. Nili und Waldi traben bis an das heruntergefahrene Fenster des Beifahrers.

      »Mensch, Nili, das ist aber eine echte Überraschung! Hallo, Herr Erster Hauptkommissar Mohr, Sie auch hier?«

      »Moin moin, Hauke, was macht ihr denn hier so früh am Morgen und bei diesem Schietwetter?« Nili schüttelt ihrem ehemaligen Kollegen Kriminaloberkommissar Hauke Steffens von der Polizeidienststelle in Oldenmoor, der wegen der Strukturreform zur Kripo Itzehoe versetzt wurde, freudig die Hand.

      In diesem Moment beginnt es heftig zu schneien. Starke Böen wirbeln die Schneeflocken wild durcheinander.

      »Steigt rasch ein, Leute, es wird