schmächtiges Einkommen mit der Verpachtung von Landflächen zur Aufstellung der Windräder wesentlich aufzubessern. So weit, so gut. Doch besonders in den letzten drei Monaten haben wir eine rasante Zunahme der militanten Gegnerschaft bemerkt, die mit zahlreichen und teilweise berechtigten, aber auch ebenso an den Haaren herbeigezogenen Scheinargumenten ein regelrechtes Kesseltreiben gegen die Erbauer der Windkraftanlagen und deren Befürworter veranstalten. Was ich dir jetzt sage, Nili, ist selbstverständlich vertraulich. In unserem LKA-Dezernat 21 haben wir versucht, die Sachlage zu analysieren, sind aber immer wieder an Grenzen gestoßen, weil unsere Informanten – je nach ihrer persönlichen Einstellung – weitestgehend subjektive und besser gesagt weniger objektive Berichte abgeliefert haben.«
»Ist die Sachlage tatsächlich derart drastisch, dass sich sogar das LKA dafür interessiert?«, wirft Nili ein wenig verwundert ein.
»Nun ja, unsere beiden obersten Bosse, die Kriminaldirektoren Timo Freiberg und Rüdiger Voss, sowie mein Chef, Kriminaloberrat Andreas Heidenreich, sind offenbar dieser Meinung und befürchteten eine Eskalation. Um dieser Eventualität vorzubeugen, haben sie vor einiger Zeit beschlossen, einen verdeckten Ermittler in die Reihen der Windkraftgegner einzuschleusen, damit wir uns ein umfassendes Bild von den tatsächlichen Strömungen und Aktivitäten für und gegen Windkraft machen können.«
»Euch erscheint also diese Angelegenheit wirklich derart akut?« Nili hat ein ungutes Gefühl.
»Nun, um dir die Wahrheit zu sagen, habe ich bis heute auch nicht unbedingt daran geglaubt. Und nun hat sich auf einmal die Lage verändert.«
»Was veranlasst dich zu dieser Aussage, Waldi? Du meinst doch damit nicht die aufgefundene Leiche, oder? Die kann jeder beliebige Täter ganz einfach dort deponiert haben, ohne dass dieses Verbrechen in irgendeinen direkten Zusammenhang mit ›pro‹ oder ›contra Windkraftanlagen‹ gebracht werden kann.«
»Da muss ich dir leider widersprechen, meine geliebte Nili. Ich habe nämlich das Gesicht des Toten gesehen und ihn erkannt: Es ist unser LKA-Kollege Kriminalkommissar Werner Köppen!«
Nili ist sprachlos. »Oh mein Gott, der Arme! Das trifft einen hart und tut wirklich weh! Warum hast du denn den hiesigen Kollegen nicht gleich gesagt, dass du den Toten erkannt hast?«
»Aber Nili, denkt doch mal nach! Was meinst du, welch ein Tumult losbricht, wenn die Leute erfahren, dass hier ein verdeckter Ermittler des LKA eingeschleust und vermutlich deswegen sogar ermordet wurde? Es ist viel besser, wenn man in dieser Sache zunächst ein wenig im Dunkeln tappt, bevor die ganze Wahrheit ans Licht kommt. Auf jeden Fall muss ich schleunigst zurück nach Kiel, um persönlich Meldung zu erstatten. Sollen sich doch die verantwortlichen Herren Gedanken machen, wie sie aus dieser Nummer wieder herauskommen!«
»Natürlich hast du recht, Waldi! War dumm von mir!«
Dieser will protestieren, doch Nili erhebt sich und geht mit einem vielversprechenden Gesichtsausdruck auf ihren Geliebten zu. Waldi steht auf, sie umarmen sich und geben sich einen sehr, sehr langen Kuss. Der enge körperliche Kontakt ihrer Leiber bleibt nicht ohne deren natürliche Folgen. Langsam zieht Waldi Nilis Jogginghose über ihre Hüften, dann tut Nili dasselbe bei ihm. Wenig später sitzen beide fast vollständig nackt in Onkel Olivers Bürosessel. Während sie sich abermals eng umarmen und liebkosen, dringt Waldi behutsam in sie ein, und bald schweben sie in den Wolken eines himmlischen Orgasmus.
Rasch ziehen sie ihre Kleidung wieder an, wurde doch soeben mehrfach nach ihnen gerufen. Gerade haben sie sich zurechtgemacht und wieder hingesetzt, öffnet Tante Madde die Bürotür. »Ach, hier seid ihr!«
»Ja, Tante Madde, Waldi und ich hatten etwas Berufliches zu besprechen.«
»Weiß jemand, wann der nächste Zug nach Kiel geht?«, versucht Waldi abzulenken. »Ich muss mich dann wohl mal auf die Socken machen, ich will nämlich morgen früh unbedingt pünktlich in meinem Büro sein!«
Nili schüttelt den Kopf. »Ich weiß leider nicht, wann von Oldenmoor aus die Züge gehen. Wahrscheinlich ist es besser, ich bringe dich nach Wrist. Von dort aus hast du, soweit ich weiß, stündlich eine direkte Regio-Verbindung. Ich hole mir nur schnell Imas Autoschlüssel, dann fahre ich dich erst einmal zu unserem Onkel Suhls Haus, damit du deine Sachen holen kannst.«
Während sie eine Stunde später in Ima Lissys VW Taro nur mühsam auf der verschneiten Landstraße vorankommen und hier und dort die vom Wind zusammengefegten Schneewehen überwinden müssen, unterhalten sie sich weiter über den grausamen Tod des Kollegen.
»Vielleicht ist es ein günstiger Wink des Zufalls, dass du die nächsten Tage hier verbringen kannst, Nili. Es wäre sicherlich nützlich, wenn du – natürlich möglichst unauffällig – ein wenig auf die Pirsch gehst. Vielleicht erfährst du dabei ja etwas Nützliches.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Ist doch nur natürlich, wenn ich meinen früheren Arbeitskollegen ein wenig unter die Arme greife, oder? Ich ahne sowieso, dass es nicht lange dauern wird, bis man mich um Unterstützung bittet. Brauchst keine Angst zu haben, selbstverständlich weiß ich überhaupt nichts davon, dass der arme Tote unser KK Werner Köppen ist, das müssen die hiesigen Kollegen schon selbst herausfinden, wenn sie es überhaupt ohne die Unterstützung durch das LKA schaffen. Am besten wäre es, wenn es dem LKA irgendwie gelingen sollte, die Leiche in die Rechtsmedizin der Uni in Kiel zur Obduktion überführen zu lassen. Lasst euch doch dazu etwas Passendes einfallen!«
3. Verschollen
»Und mehr habt ihr mir nicht zu berichten?«, keift Kriminaloberrat Heinrich Stöver in seiner üblichen missmutig tadelnden und lauten Art seine beiden Kriminaloberkommissare sowie die KTU-Mitarbeiter des gestrigen Einsatzes an. Nicht umsonst wird er von seinen Untergebenen hinter vorgehaltener Hand »Hein Gröhl« genannt. Fahrig schiebt der dickliche, unsympathisch wirkende Choleriker die auf dem Tisch liegenden Aufnahmen vom Tatort hin und her.
»Mäßigen Sie doch bitte Ihren Ton, sehr geehrter Herr Kriminaloberrat! Ich bin es weder gewohnt noch bin ich gewillt, hier eine derartig unproduktive Arbeitsatmosphäre zuzulassen.« Staatsanwältin Dr. Cornelia Bach, eine aparte schwarzhaarige Erscheinung mit leicht milchkaffeebraunem Teint und in ein gut sitzendes Kostüm gekleidet, hat dieses ewige Genörgel satt. »Unter den gestrigen äußerst widrigen Wetterbedingungen war der Einsatz in der Tat eine extrem ungünstige Situation für alle Beteiligten. Dies sollten Sie entsprechend zu würdigen wissen, auch und nicht zuletzt deshalb, weil Sie nicht persönlich daran beteiligt waren!« Mit einem deutlichen Tadel in der Stimme betrachtet sie den mit einem feuerroten Kopf dasitzenden und vor Wut kochenden Leiter der Bezirkskriminalinspektion Große Paaschburg in Itzehoe.
Alle seine Mitarbeiter tauschen heimlich schadenfrohe Blicke aus. Endlich hat jemand dem Griesgram Paroli geboten und ihm ordentlich die Meinung gegeigt!
»Also, meine Damen und Herren«, Staatsanwältin Dr. Cornelia Bach lässt ihren Blick durch die Runde schweifen, »lassen Sie uns jetzt bitte zu unserem Fall zurückkehren. KOK Steffens, was haben wir?«
»Na ja, ein wenig muss ich doch unserem Chef recht geben, Frau Staatsanwältin. In der Tat haben wir nicht viel vorzuweisen. Zwei Mitarbeiter der Windkraftfirma sollten den Zustand ihrer Maschinen am Windpark inspizieren und fanden die Leiche in einer bereits im letzten Jahr ausgebaggerten und nur zum Teil fertigen Fundamentgrube. Ein in einer wohl ausrangierten Lkw-Plane eingehüllter und bisher nicht identifizierter toter Mann, blondes Haar, blaue Augen, schätzungsweise dreißig Jahre alt. Wahrscheinlich wurde das Opfer an einem anderen Ort getötet und dann vor ein bis zwei Wochen in der Baugrube abgelegt. Wegen des starken Schneefalls konnte die Spusi vor Ort keine verwertbaren Spuren entdecken. Einziger Fund war sein Portemonnaie mit etwas Geld darin, ansonsten keine Papiere. Der Leichenbeschauer, ein Herr Doktor Günther Vollmert aus Sankt Margarethen, hat den Totenschein ausgestellt, auf dem er die Rubrik ›unnatürlicher Tod‹ angekreuzt hat, zumal er als Todesursache einen Genickbruch annimmt. Außer den beiden am Kopf des Opfers vorgefundenen konnte er keine weiteren äußerlichen Verletzungen feststellen. Die Bergung des Leichnams aus der Baugrube gestaltete sich ziemlich kompliziert, sie musste mit Hilfe des Baggers gehoben werden und