können.
»Mannomann«, Hauke Steffens schüttelt sich, »wahrlich das optimale Wetter für einen Einsatz! Darf ich vorstellen? Meine Kollegin Kriminaloberkommissarin Dörte Westermann, die erfahrene Frau am Steuer. Dörte, diese beiden sind Kollegen vom LKA in Kiel.«
Während Dörte anfährt und wieder aufs Gas drückt, bemerkt sie, ohne den Blick von der mit Schneeflocken bedeckten Frontscheibe abzuwenden: »Hallo, Sie sind also Nili und Waldi, die berühmten Kollegen, von denen mir Hauke schon so viel erzählt hat. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen!«
»Auch wir freuen uns, Frau Kollegin. Wohin des Weges?«, möchte Nili wissen.
»Du kannst dich doch sicher an unseren Herrn Kriminaloberrat Heinrich Stöver erinnern, nicht wahr, Nili? Also, dieser ungnädige ›Hein Gröhl‹ rief uns einfach aus der heiligen Sonntagsruhe heraus und beorderte uns – wie immer in seiner betont freundlichen Tonart – zu diesem verwünschten Einsatz inmitten der Walachei. Es handelt sich um einen Leichenfund ausgerechnet in einer von zwei noch vor Frosteinbruch Ende des letzten Jahres ausgehobenen Fundamentgruben für den neuen Windpark.«
Nur Minuten später trifft der Wagen an der Fundstelle ein, nachdem KOK Westermann von der Hauptstraße auf einen spärlich befestigten Pfad abgebogen ist. Zwei Polizeifahrzeuge und ein Pkw stehen bereits in der Nähe eines Baggers, mit dem offensichtlich die beiden Gruben ausgehoben wurden.
Mit Vergnügen erkennt Nili ihren zweiten ehemaligen Kollegen, den Polizeiobermeister Seifert, der gerade aus einem der Streifenwagen aussteigt und freudestrahlend auf sie zueilt. Der Schneefall hört abrupt auf, der Himmel klart gerade ein wenig auf. »Hallo, Willi! Schön, dich zu sehen!«
Die beiden begrüßen sich herzlich und POM Seifert macht, während sie alle in Richtung der Gruben gehen, sie und Waldi mit seinen beiden Kollegen der Polizeidienststelle Oldenmoor, Polizeimeister Dieter Klages und Polizeimeister-Anwärterin Helga Timm, bekannt.
Nachdem sich auch der Rest der Truppe gegenseitig begrüßt hat, fragt KOK Hauke Steffens: »Wer hat die Leiche überhaupt gefunden?«
»Diese Herren hier sind Wilfried Beuck und Sigfried Förster, Kranführer und Monteur der Windparkfirma«, stellt POM Seifert die beiden in Zivil gekleideten Männer vor. »Sie haben ausgesagt, ihr Vorarbeiter Alfred Klages hätte sie wegen der schlechten Wetterlage hergeschickt, um nach Bagger und Kran zu sehen. Als Förster dabei zufällig über den Grubenrand schaute, bemerkte er den länglichen Gegenstand in der dicken blauen Plane. Beuck startete den Bagger und ließ Förster mit der Schaufel herunter. Als dieser die Plane geringfügig aufwickelte, sei die Leiche zum Vorschein gekommen. Die beiden haben sofort bei der Polizeidienststelle in Oldenmoor angerufen. Weil ja Sonntag ist, werden Anrufe automatisch in die Wohnung des derzeit wegen hohen Fiebers bettlägerigen Dienststellenleiters geleitet. Hauptkommissar Boie Hansen hat daraufhin seine gesamte Crew herbeordert und danach gleich die Kripo in Itzehoe alarmiert.«
»Wisst ihr schon, um wen es sich handelt?«, fragt KOK Dörte Westermann.
»Ich habe mir den Toten nur oberflächlich ansehen können, da wir nichts berühren wollten, bevor die Spusi da ist. Eine mir unbekannte männliche Leiche, schätzungsweise um die dreißig. Sieht so aus, als ob sie schon länger da unten liegt.«
Waldi begleitet Hauke bis an den Rand des kreuzförmigen und ungleichmäßig tiefen, weil offensichtlich noch nicht vollständig ausgebaggerten Fundamentgrabens und schaut hinunter. Der Tote liegt in einem Bereich, der etwa zweieinhalb Meter tief ist. Mit versteinertem Blick betrachtet Waldi dessen Gesicht, macht abrupt kehrt und geht wieder zurück.
PM Dieter Klages schüttelt sich, offensichtlich ist ihm noch mulmig von seiner gruseligen Erkundungsfahrt in die Grube.
»Es ist Döspaddels2 erster Leichenfund«, raunt Kollege Willi Seifert Nili zu und grient.
Nili muss ebenfalls schmunzeln, erinnert sie sich doch an Willis damaligen Bericht, als er über Dieter Klages’ Versetzung von der geschlossenen Polizeistation Beidenfleth nach Oldenmoor berichtete und dabei dessen Spitznamen erwähnte.
In diesem Moment treffen zwei weitere Fahrzeuge ein. Die beiden Beamten der KTU, in weiße Schutzkleidung gehüllt, stellen sich vor. Anschließend gehen Chemotechnikerin Lilo Papst und Laborant Uwe Wildemann zur Leichenfundstelle und werden vom Baggerführer in die Grube hinabgelassen. Kurz darauf gesellt sich der Allgemeinmediziner Dr. Günther Vollmert zu ihnen, um die Leichenschau durchzuführen. Nach Ankunft einer lang gezogenen schwarzen Begräbnislimousine steigen zwei dunkel gekleidete Männer aus und tragen einen Metallsarg bis an den Rand der Grube. Als erneut starke Windböen aufkommen und abermals heftiger Schneefall einsetzt, sucht die gesamte Mannschaft eiligst Schutz in ihren Autos.
»Hat wohl keinen Sinn mehr, Dörte, was meinst du?«, bedauert Hauke Steffens.
KOK Westermann schüttelt den Kopf. »Ich glaube, bei diesem Wetter sind sowieso keine brauchbaren Spuren zu finden, aber wir sollten wenigstens abwarten, ob der Arzt uns etwas Brauchbares berichten kann. Oder was meinen die Kollegen vom LKA?«
Waldi sieht Nili an und sie nickt. »In der Tat, jetzt dürfte hier nicht viel zu holen sein. Wenn wir noch länger warten, ist die Grube sowieso halb zugeschneit. Ich glaube, es wäre das Beste, die Leiche herauszuheben und sie eiligst zur Obduktion in die Pathologie zu überführen, richtig, Waldi?«
Dieser stimmt ihr zu und meint: »Seht mal dort, Doktor Vollmert wurde gerade vom Bagger wieder hochgeholt. Er geht jetzt zu seinem Wagen. Wollen wir ihn nicht gleich befragen?«
Hauke, der am Steuer des Streifenwagens sitzt, lässt den Motor an, wendet und fährt in die unmittelbare Nähe von Dr. Vollmerts Pkw. Dieser steigt zu ihnen ins Auto. »Das war für mich wahrlich eine Premiere: So eine Leichenschau wie diese habe ich in der Tat vorher noch nie erlebt. Das ist aber auch ein Schietwetter!«
»Zugegeben, sehr geehrter Herr Doktor, aber was sollen wir denn tun? Können Sie uns vielleicht schon etwas vorweg sagen?« Hauke zückt Block und Kugelschreiber. »Also gut: Wie es aussieht, liegt der Tote schätzungsweise seit ein bis zwei Wochen in der Grube, Genaueres kann ich natürlich unter diesen Umständen nicht sagen. Er ist etwa ein Meter achtundsiebzig groß, sein Lebendgewicht dürfte bei fünfundsiebzig bis achtzig Kilogramm gelegen haben. Blonde Haare, blaue Augen, Alter so um die Mitte zwanzig. Sehr viel konnte ich da unten bei diesem Wetter nicht feststellen, aber er scheint einen harten Schlag mit einem dumpfen Gegenstand auf dem Hinterkopf abbekommen zu haben und muss dann wegen der Wucht des Schlages ziemlich heftig frontal gegen eine Wand geprallt sein – darauf deutet zumindest ein Hämatom an der Stirn. Ich vermute, es handelt sich um eine unnatürliche Todesursache durch Genickbruch, verursacht entweder durch den Schlag oder den Aufprall. Gemäß Aussage Ihrer KTU-Kollegen hatte der Tote weder Papiere noch Kreditkarten bei sich, die seine Identität preisgegeben hätten, auch kein Handy. In seinem Portemonnaie sollen sich fünfundsiebzig Euro befunden haben. Weitere Erkenntnisse kann nur eine ordentlich durchgeführte Obduktion an den Tag bringen, tut mir leid!«
»Herzlichen Dank, Herr Doktor, das war doch schon ’ne ganze Menge!« KOK Steffens drückt dem Mediziner die Hand, dieser winkt den anderen zu und steigt zugleich mit ihm aus.
Hauke geht auf die anderen Polizeifahrzeuge zu und ordnet den Abbruch an. Die Leiche soll sofort geborgen und in die Pathologie im Klinikum Itzehoe überführt werden. Dann kehrt er zu seinem Fahrzeug zurück, schüttelt sich die Schneeflocken von der Kleidung und steigt ein. »Das war’s wohl für heute. Dann fahr man los, Dörte.« Er wendet sich an Nili und Waldi. »Wo sollen wir euch absetzen?«
Während Nili sich anschnallt, antwortet sie. »Erinnerst du dich noch an den Holstenhof? Wie an jedem Sonntag trifft sich dort auch heute unsere gesamte Familie zum Brunch oder besser gesagt zum ›Frühmittag‹, wie es meinem Onkel Oliver beliebt, weil er diese modischen Amerikanismen nicht mag.«
Ein wenig unsicher meldet sich KOK Dörte Westermann zu Wort: »Tut mir leid, Frau Kriminalhauptkommissarin, aber ich weiß nicht, wo das ist!«
»Macht nichts!« Nili winkt ab. »Und bitte lasst uns doch bei ›Dörte‹, ›Waldi‹ und ›Nili‹ bleiben, okay?« Ohne eine Reaktion