Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

Prostatakrebs-Kompass


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vermindertes Risiko haben, an Krebs zu erkranken. Insbesondere rotes Fleisch hat aufgrund verschiedener Inhaltsstoffe nachteilige Wirkungen auf unsere Gesundheit. So enthält es zum einen keine Ballaststoffe und andere Schutzfaktoren, dafür aber tierisches Protein, gesättigte Fettsäuren, entzündungsfördernde Arachidonsäure und prooxidative Spurenelemente wie Eisen und Kupfer. In verarbeitetem Zustand hat es zudem einen hohen Salzgehalt. Zum anderen entstehen bei der Zubereitung von Fleisch, insbesondere beim Braten, krebserregende Verbindungen wie heterozyklische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) sowie AGEs. Nitrosamine und andere Nitrosoverbindungen, die Genmutationen fördern, entstehen auch ohne Braten nach dem Verzehr im Magen-Darm-Trakt.

      Auch Milch stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung von Prostatakrebs dar, denn ein hoher Verzehr von Milchprodukten führt u. a. zu erhöhten Blutspiegeln des Wachstumsfaktors IGF-1 und zu einer hohen Calciumaufnahme. Nicht nur die EPIC-Studie belegte, dass ein hoher Verzehr von Milchprotein und Calcium aus Milchprodukten und hohe Serumkonzentrationen an IGF-1 mit einem deutlich erhöhten Prostatakrebsrisiko einhergehen.

      Vor allem die Kombination von tierischem Protein mit schnell im Blut anflutenden Kohlenhydraten wie Zucker und Weißmehl führt zu hohen Insulinausschüttungen, während gesättigte Fettsäuren eine Leberverfettung und Insulinresistenz fördern. Durch die Verfettung der Eingeweide und Leber entstehen Stoffwechselstörungen, die zu chronisch erhöhten Blutzucker-, Cholesterin-, Hormon-, Blutfett- und Aminosäurekonzentrationen, chronisch erhöhtem Insulin und IGF-1 und damit einer insgesamt proentzündlichen und tumorfördernden Stoffwechsellage führen.

      Die Ergebnisse der Studien zu Fisch, Fischöl und Prostatakrebs sind widersprüchlich und erlauben keine klare Schlussfolgerung. Entscheidende Punkte für diese Widersprüchlichkeit sind die individuell unterschiedliche Stoffwechsellage, das gesamte Ernährungsmuster sowie die Zubereitung. Omega-3-Fettsäuren können zu erhöhten Serumkonzentrationen dieser Fettsäuren, einer Reduktion der antioxidativen Kapazität und einer vermehrten Oxidation der empfindlichen Omega-3-Fettsäuren selbst führen. Daher sind Kurzzeitstudien meist erfolgreich, während Langzeitergebnisse eher enttäuschen. Im Blutkreislauf unter Anwesenheit von Hämoglobin, Eisen, Kupfer und freien Radikalen bei Überernährung, Übergewicht und Rauchen sind die empfindlichen Fettsäuren im besonderen Maße der Oxidation ausgesetzt. Unser Körper braucht zwar Omega-3-Fettsäuren, doch wenn die körpereigenen Antioxidantienpools erschöpft sind und Omega-3-Fettsäuren oxidieren oder sie falsch zubereitet werden (Räuchern, Braten, Grillen, langes Erhitzen), verlieren sie nicht nur ihren Nutzen, sondern werden stattdessen gesundheitsschädlich. Omega-3-Fettsäuren wirken vor allem im Rahmen einer sehr fettarmen Ernährung antientzündlich, weil die gleichzeitige Aufnahme von proentzündlichen Fettsäuren wie Arachidonsäure oder Omega-6-Fettsäuren antagonistisch wirkt. Auch die reichliche Aufnahme gesättigter Fettsäuren (Hauptquelle Milch- und Fleischerzeugnisse) fördert die Entstehung des Prostatakrebses.

      Prostatakrebs-Patienten haben häufig einen starken Willen, ihren Gesundheitszustand aktiv durch Veränderungen ihrer Lebens- und Ernährungsweise zu verbessern. Darin liegt eine große Chance, nicht nur das Prostatakrebs-spezifische Leben deutlich zu verlängern, sondern die Lebensdauer und vor allem auch die Lebensqualität insgesamt zu erhöhen. Dieser Wille, selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen, ist vielleicht der wichtigste Faktor für ein langes Leben. Gesunde Ernährung und Lebensweise nicht als Last, sondern aus Freude am Leben. Das Gefühl der Selbständigkeit, Selbstverantwortung und eigenen Einflussmöglichkeit ist in sich ein wichtiger präventiver und wohl auch kurativer psychologischer Faktor, worauf auch die Arbeiten von Roland Grossarth-Maticek (Autonomietraining; Grossarth-Maticek, 2002) und Aaron Antonovsky (Salutogenese) hinweisen.

      Ist die Entwicklung eines Prostatakarzinoms das Ergebnis von Genetik, Schicksal oder vor allem eines lebenslangen Ernährungsmusters? Gewiss kann einer Erkrankung eine genetische Disposition zugrunde liegen, doch über 70 % liegen in unserer Hand. Zwar verdoppelt die familiäre Vorbelastung für ein Prostatakarzinom in etwa das Erkrankungsrisiko, doch die Expression unserer Gene kann durch unsere Ernährung und Lebensweise positiv oder auch negativ verändert werden. Forscher um Dean Ornish von der University of California hatten in der viel beachteten GEMINAL-Pilotstudie (Ornish et al., 2008a) 30 Männer mit Prostatakrebs rekrutiert. Diese mussten ihren Lebensstil radikal umstellen: Sie ernährten sich gesund, sehr fettarm und rein pflanzlich, nahmen Nahrungsergänzungsmittel, gingen 6 Tage pro Woche mindestens 30 Minuten spazieren, nahmen an Stress-Management-Kursen (Yoga, Atemübungen, Meditation, Visualisierungsübungen, progressive Muskelentspannung) und einmal in der Woche an einer gemeinsamen Gruppensitzung teil. Nur 10 % der täglichen Energiezufuhr wurden über Fett aufgenommen, täglich wurde Tofu und Soja verzehrt.

      Die Mediziner entnahmen den Probanden sowohl vor als auch drei Monate nach dieser Intervention Biopsien der Prostata. In diesen konnten die Forscher Veränderungen der Expression für mehrere hundert Gene nachweisen. Für die Tumorbildung wichtige Gene waren herunterreguliert, dagegen waren krebsbekämpfende Gene aktiver als vor der Lebensstilumstellung.

      Dass diese Auswirkungen auch von prognostischer Relevanz sind, zeigte eine weitere Studie von Ornish, in der sich durch die gleiche Lebensstilintervention die Ergebnisse der aktiven Überwachung (active surveillance) deutlich verbessern ließen. Das Fortschreiten des Prostatakarzinoms zu einer notwendigen invasiven Therapie konnte durch die oben beschriebenen Maßnahmen um mindestens zwei Jahre verzögert werden (Frattaroli et al., 2008). Nach zwei Jahren mussten sich nur 5 % der Ornish-Gruppe einer invasiven Therapie unterziehen, während in der Kontrollgruppe das Fortschreiten der Erkrankung 27 % der Patienten zu einer invasiven Therapie zwang.

      Zudem untersuchte Ornish in einer Pilotstudie, ob Lebensstilfaktoren, die Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern, auch die Telomerasefunktion beeinträchtigen: Patienten mit Prostatakrebs, die an einer umfassenden Lebensstilintervention nach Ornish teilnahmen, wiesen eine deutliche Steigerung der Telomeraseaktivität und folglich eine hohe Telomer-Erhaltungskapazität in humanen Zellen des Immunsystems auf (Ornish et al., 2008b). Bei der Anschluss-Studie waren die Telomere in der Versuchsgruppe nach 5 Jahren sogar verlängert, in der Kontrollgruppe dagegen signifikant verkürzt. Je besser die Lebensstilveränderung eingehalten wurde, desto stärker war der positive Effekt (Ornish et al., 2013).

      Ornish betont die Bedeutung der Gruppensitzungen. Als er das System 1977 einführte, ging es zunächst darum, die Compliance in Sachen Ernährung und Lebensstil durch die Gruppensitzungen zu verbessern. Doch bald zeigte sich, dass die Gruppensitzungen eine viel wichtigere Rolle spielten. Ornish (2001): „Warum zeigt die Unterstützung durch eine Gruppe […] so viel Wirkung? Sie bietet Menschen einen sicheren Ort, ihre emotionalen Verteidigungsmechanismen und Barrieren bewusst aufzugeben, um ihre Gefühle auszudrücken und ihr Herz zu öffnen. Wenn Menschen einander ihr Herz öffnen, kommt es oft zur Heilung. Eine unterstützende Gruppe hilft, Isolation, Entfremdung und Einsamkeit zu heilen. […] Uns geht es darum, eine wohlmeinende Gemeinschaft von Menschen zu schaffen, die sich verpflichten, Einsamkeit und Isolation zu heilen.“ Es geht also letztlich um Liebe und Empathie und das Bewältigen der Ängste, die bei Männern sich meist unbewusst verbergen und nicht ausgedrückt werden, was sie wahrscheinlich sogar belastender macht.

      In einer kleinen Studie aßen 14 Patienten mit rezidivierendem Prostatakrebs über 6 Monate eine fettarme, pflanzliche Ernährung und praktizierten Stressmanagement. Vier von zehn auswertbaren Patienten wiesen ein absolutes Absinken des PSA-Wertes auf, neun von zehn erreichten eine deutliche Verlängerung der PSA-Verdopplungszeit – im Median von 11,8 Monaten auf 112,3 Monate (Saxe et al., 2006). Die Studie bestätigte die Ergebnisse einer früheren Studie der gleichen Forschungsgruppe (Saxe et al., 2001).

      Diese Lebensstilinterventionen hatten auch wichtige positive „Nebenwirkungen“:

      1 Die Lebensqualität der Studienteilnehmer stieg deutlich im Vergleich zu der Kontrollgruppe.

      2 Es zeigten sich ausgesprochen positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System, wie z. B. 90 %-ige Reduktion von Angina Pectoris-Anfällen und Rückgang der Stenosen in Herzkranzgefäßen bei Patienten mit koronarer