Ernährungsweise ist nicht mehr viel übrig geblieben, was sich auch in der Prostatakrebsmortalität widerspiegelt (Ferlay et al., 2010). Da scheint auch das viele Sonnenlicht mit der damit einhergehenden höheren Vitamin-D-Synthese nicht mehr ausreichend protektiv zu wirken (s. Kapitel 7.6.1, ab Seite 246).
Da nach den vorliegenden Erkenntnissen Fleisch, Wurst und Milchprodukte die Entwicklung von Prostatakrebs ähnlich fördern, überrascht das Ergebnis der EPIC-Studie nicht. Es erklärt vielmehr, warum deutlich protektive Effekte nur dann zu erwarten sind, wenn man grundsätzlich sein Ernährungsmuster ändert und sich überwiegend pflanzlich ernährt, statt einfach nur Wurst oder Fleisch mit Käse, Joghurt und Milch zu ersetzen. Insbesondere Joghurt korrelierte in der EPIC-Studie mit einem erhöhten Prostatakrebsrisiko (Allen et al., 2008). Wie wirkungsvoll die Verwendung von Sojadrink als Kuhmilch-Alternative ist, zeigt eine Studie von Jacobsen et al. (1998): Männer mit einem hohen Konsum an Sojadrink senkten ihr Risiko für Prostatakrebs um 70 %.
Schweden steht mit seinem hohen Fischkonsum stellvertretend für die skandinavischen Länder (NOAA, 2011). Die Zahlen der Prostatakrebsmortalität in Schweden (20/100.000), Norwegen (19/100.000) und Island (18/100.000) (Ferlay et al., 2010) zeigen, dass der hohe Fischkonsum in diesen Ländern darauf jedoch keine vorteilhaften Auswirkungen hat. Auch in Asien stieg mit der Zunahme des Fischkonsums die Prostatakrebsmortalität. Der Fischkonsum ist daher nicht die Ursache für die niedrigere Mortalität in Japan und den anderen asiatischen Ländern, wie manchmal behauptet wird. Drei sehr große Studien (Prostate Cancer Prevention Trial: Brasky et al., 2011; SELECT-Studie: Brasky et al., 2013; EPIC-Studie: Crowe et al., 2008a) zur Korrelation von DHA- und EPA-Serumwerten mit Prostatakrebs zeigten übereinstimmend eine starke Risikoerhöhung durch hohe DHA- und EPA-Serumwerte, nicht die allgemein erwartete Senkung (DHA: Docosahexaensäure, EPA: Eicosapentaensäure; Omega-3-Fettsäuren aus Fisch).
Ernährung in Uruguay: seit Jahrzehnten besonders viel Fleisch und Milch
Epidemiologisch bietet sich aktuell insbesondere ein Vergleich der asiatischen Länder mit Uruguay an. Die Lebenserwartung ist ähnlich hoch, wodurch die Altersstandardisierung als möglicher Unsicherheitsfaktor entfällt. Der Zusammenhang der Mortalitätsraten mit der Ernährung zeigt sich insbesondere, wenn man die vielen Millionen aktiver Greise in China und die langlebigen Menschen in Okinawa mit den Männern in Uruguay vergleicht.
Uruguay gilt aufgrund seines seit vielen Jahrzehnten bestehenden, relativ stabilen Wohlstands als die Schweiz Südamerikas. Die Einwohner von Uruguay haben sich zeitlebens konträr zu den Asiaten ernährt. Das südamerikanische Land pflegt seit vielen Jahrzehnten einen extrem hohen Konsum von rotem Fleisch (Instituto Nacional de Carnes, 2011) und von Milchprodukten (MercoPress, 2011).
Nach WHO-Zahlen von 2008 sterben Männer in Uruguay 13-mal häufiger an Prostatakrebs als Chinesen, Thailänder und Vietnamesen (s. Tab. 3, Seite 77; Ferlay et al., 2010). Auch die Qualität des Rindfleisches ändert daran nichts, denn in Uruguay wird vorwiegend Fleisch von Weiderindern verzehrt, dessen Qualität sogar in der New York Times in einem ausführlichen Artikel gerühmt wurde (The New York Times, 2009). Eine hohe Zufuhr der Omega-3-Fettsäure alpha-Linolensäure (ALA), die in Uruguay vor allem auch durch den Verzehr von Weiderind aufgenommen wird, wirkt hier nicht günstig, sondern erhöht das Prostatakrebsrisiko um den Faktor 3,91 (De Stéfani et al., 2000). Dass die alpha-Linolensäure und auch die langkettigen Omega-3-Fettsäuren aus Fisch bei Prostatakrebs eine ambivalente Rolle spielen, zeigt sich in zahlreichen Studien und dürfte insbesondere mit der Oxidationsempfindlichkeit der mehrfach ungesättigten Fettsäuren zu tun haben. Eine schonende Verarbeitungs- und Zubereitungsweise ist dabei besonders wichtig. In der Health Professionals Study der Harvard Universität erhöhte der reichliche Verzehr von rotem Fleisch das Risiko für ein metastasierendes Prostatakarzinom um 60 %, tierische Fette um 63 % und Milchprodukte um 40 % (Michaud et al., 2001). Sicherlich spielen hierbei auch die klassischen Kanzerogene wie heterozyklische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe eine Rolle, die beim Braten, Schmoren oder Grillen von Fleisch auftreten (Giovannucci et al., 1993).
Das lebenslange Ernährungsmuster der Uruguayaner dürfte eine wesentliche Ursache für die sehr hohe Mortalität durch Prostatakrebs, Brustkrebs und Darmkrebs sein, die das Land trotz seines optimalen Klimas und seines gut ausgebauten Sozial- und Gesundheitssystems aufweist. Frauen in Uruguay (24,3/100.000) versterben mehr als 4-mal so häufig an Brustkrebs wie Chinesinnen (5,7/100.000). Die Dickdarmkrebsmortalität beider Geschlechter ist immerhin noch 2,3-mal so hoch wie in China (16,2 vs. 6,9/100.000) (Ferlay et al., 2010). Auch Migrationsstudien zeigen: Wer von Ländern mit niedrigem Krebsrisiko nach Uruguay zieht, dessen Risiko für Prostata-, Brust-, Speiseröhren-, Dickdarm- und Gebärmutterkrebs passt sich den erhöhten Raten in Uruguay an (De Stéfani et al., 1990).
Ein hoher Verzehr von rotem Fleisch erhöht in Uruguay auch das Risiko für Krebserkrankungen des Hals- und Rachenraums (um den Faktor 3,65), der Speiseröhre (Faktor 3,36), des Kehlkopfes (Faktor 2,91), des Magens (Faktor 2,19), des Dickdarms (Faktor 3,83), der Lunge (Faktor 2,17), der Brust (Faktor 1,97), der Prostata (Faktor 1,87), der Blase (Faktor 2,11) und der Nieren (Faktor 2,72). Ähnliche Korrelationen wurden nicht nur für rotes Fleisch, sondern auch für die Gesamtaufnahme von Fleisch ermittelt (Aune et al., 2009).
In einer Fall-Kontroll-Studie in Uruguay ergab der Vergleich des höchsten mit dem niedrigsten Quartil der Verzehrmenge von rotem Fleisch folgende Zusammenhänge mit dem Risiko für Prostatakrebs: Rotes Fleisch erhöhte das Risiko um 100 %, süße Nachspeisen um 80 %, eine hohe Energiezufuhr um 90 % und eine hohe Gesamtfettaufnahme um 80 %. Dagegen senkten viel Gemüse und Früchte das Risiko um 50 % sowie Vitamin C und Vitamin E aus der Nahrung um 60 % bzw. 40 % (Deneo-Pellegrini et al., 1999).
Warum man Wurst nicht mit Käse, sondern mit Tofu und Gemüse ersetzen sollte
Im Gegensatz zu den Menschen in Uruguay ernähren sich Chinesen traditionell von viel isoflavonreichem Soja und Gemüse. Insbesondere der zu den Kreuzblütlern zählende Chinakohl und andere Kohlsorten sind Grundnahrungsmittel. Die protektive Wirkung eines hohen Gemüsekonsums in Bezug auf die Entwicklung eines fortgeschrittenen Prostatakarzinoms (Stadien III oder IV) belegt eine Studie von Kirsh et al. (2007): Männer, die viel Gemüse verzehrten, hatten ein um 59 % reduziertes Risiko im Vergleich zu Männern mit einem geringen Gemüseverzehr. Dieser Effekt wurde zu 40 % auf die Wirkung von Gemüsesorten zurückgeführt, die zu den Kreuzblütlern zählen. Insbesondere Brokkoli und Blumenkohl führten zu einer beachtlichen Risikominderung (um 45 % bzw. 52 %), wenn sie häufiger als einmal pro Woche verzehrt wurden, verglichen mit einem Konsum von weniger als einmal pro Monat. Den protektiven Effekt von Kreuzblütlern auf die Entwicklung eines nichtmetastatischen Prostatatumors zu einem progressiven Tumor zeigten auch Richman et al. (2012): Männer mit dem höchsten Verzehr (höchstes Quartil) hatten ein um 59 % vermindertes Risiko verglichen mit dem geringsten Verzehr (niedrigstes Quartil). Chinakohl und Pak Choi, die in China sehr häufig verzehrte Gemüsearten sind, dürften ähnlich günstige Effekte haben: Sie sind reich an Vitamin C, Carotinoiden und Glukosinolaten. Sekundäre Pflanzenstoffe wie Sulforaphan aus Brokkoli, Granatapfel-Polyphenole, Resveratrol, Epigallocatechingallat aus Grüntee, Quercetin und Curcumin sind auch gegen Tumorstammzellen wirksam (vgl. Kapitel 9.4.4 in „Dr. Jacobs Weg des genussvollen Verzichts“).
Hohe Gesundheitsausgaben schützen nicht vor Krankheit und Tod
Auch wenn Uruguay seine besten Zeiten hinter sich hat, geben die Männer dort für ihre Gesundheit bzw. ihre Krankheiten das 3-Fache der Chinesen aus und können sich das auch leisten. Dennoch haben sie eine etwas kürzere Lebenserwartung (WHO, 2013). Die Deutschen ließen sich 2011 ihre Gesundheit das 10-Fache der Chinesen kosten (WHO, 2013) – bei identisch vielen gesunden Lebensjahren (healthy life years) (Jagger et al., 2008).
Zusammenfassung: Der Vergleich von weltweiten, extrem unterschiedlichen Ernährungsmustern kann die außergewöhnlich hohe bzw. niedrige Prostatakrebsmortalität in Uruguay