Bezug einer Viertelsrente der IV eingeführt.[74] Dabei gilt im Bereich der Ergänzungsleistungen nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz, dass das mögliche Erwerbseinkommen von teilinvaliden Personen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – wie namentlich Alter, Gesundheitszustand, Sprachkenntnisse, Ausbildung, bisherige Tätigkeit und konkrete Arbeitsmarktlage – zu ermitteln ist.[75] Das Bundesgericht unterstreicht die Abgrenzung zum Invalideneinkommen, welches «auf verschiedenen Fiktionen» beruhe.[76] Diese Regelung mag wirtschaftliche Härtefälle abfedern, jedenfalls wenn ein Anspruch auf eine Viertelsrente besteht, doch die Fiktion wird damit zur Regel in der Invalidenversicherung und die Realität zur Ausnahme für (gewisse) Härtefälle gestempelt.
Keine realitätsfremden EinsatzmöglichkeitenDas EVG ging – wie bereits erwähnt – nie in voller Konsequenz zu einer fiktiven Erwerbsunfähigkeit über, bei welcher die Realität nur noch die Ausnahme bildete. So führte das EVG schon im Jahr 1989 aus, es dürfe nicht von realitätsfremden Einsatzmöglichkeiten ausgegangen werden. Von Arbeitsgelegenheiten könne nicht mehr gesprochen werden, wenn die zumutbare Tätigkeit nur in so eingeschränkter Form möglich sei, dass sie der allgemeine Arbeitsmarkt nicht kenne oder nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers möglich wäre und das Finden einer solchen Stelle deshalb zum Vornherein als ausgeschlossen erscheine:[77] «Im Rahmen der Selbsteingliederung dürfen von einem Versicherten nicht realitätsfremde und in diesem Sinne unmögliche oder unzumutbare Vorkehren verlangt werden».[78] So erachtete es das EVG als unrealistisch, dass ein als Maler und Bodenleger tätig gewesener Versicherter ohne jegliche Vorbereitung eine Stelle in einem Büro annehmen könne.[79]
Berufspraktische AbklärungDer Wandel hin zur fiktiven Erwerbsunfähigkeit zeigt sich gut in der veränderten Stellung der berufspraktischen Abklärungen. Noch bis zum Entscheid Leonardelli unterstrich das EVG die hohe Bedeutung solcher Abklärungen: «Der Arzt sagt, inwiefern der Versicherte in seinen körperlichen bzw. geistigen Funktionen durch das Leiden eingeschränkt ist (…). Der Berufsberater dagegen sagt, welche konkreten beruflichen Tätigkeiten aufgrund der ärztlichen Angaben und unter Berücksichtigung der übrigen Fähigkeiten des Versicherten in Frage kommen (…)».[80] In aktuellen Entscheiden sind diese Ausführungen deutlich abgeschwächt,[81] in der Regel wird sogar den «objektiven» medizinischen Abklärungen klar der Vorrang eingeräumt.[82]
Praktische VerwertbarkeitBei der Schaffung beruflicher Abklärungsstellen (BEFAS) im Jahr 1980 umschrieb das BSV ihre Aufgabe wie folgt: «[W]as sind mögliche und zumutbare leichte Arbeiten, in welchem Umfange und mit welchen Lohnchancen können diese in der freien Wirtschaft verrichtet werden?»[83] Geklärt werden sollte die «praktische Verwertbarkeit von noch vorhandener Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt».[84]
Genaue Abklärungen im EinzelfallBereits 1985 hat der damalige Leiter der BEFAS in Horw (Luzern) darauf hingewiesen, dass die möglichst genaue Kenntnis der wirklichen Arbeits- und Berufsanforderungen «zentrale Grundvoraussetzung» für alle ist, die eine Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit zu beurteilen haben.[85] Die berufliche Abklärung setzt genaue, objektive und zuverlässige Kenntnisse über die Bedingungen der Arbeits- und Berufswelt voraus,[86] welche im Einzelfall abzuklären sind. Je stärker indes Verwaltungs- und Gerichtspraxis den Arbeitsmarkt wegdefinieren, desto entbehrlicher werden berufspraktische Abklärungen. So rief das BSV bereits im Jahr 1986 in Erinnerung, dass die BEFAS nur «in besonderen Fällen» beizuziehen sind.[87]
Fokus: Abgrenzung und Bezüge zur Arbeitslosenversicherung
Abgrenzung Leistungsbereich IV/ALVStandardmässig wird in Gerichtsentscheiden ausgeführt, der «ausgeglichene Arbeitsmarkt» diene dazu, den Leistungsbereich der Invalidenversicherung von jenem der Arbeitslosenversicherung abzugrenzen.[88] In der Tat hat denn auch bereits der Gesetzgeber bei der Schaffung der Invalidenversicherung auf die Bedeutung einer Abgrenzung zwischen (gesundheitlich bedingter) Erwerbsunfähigkeit (= IV) und anderweitig bedingter Erwerbslosigkeit (= ALV) hingewiesen.[89] Schon vor der Schaffung einer obligatorischen Arbeitslosenversicherung auf eidgenössischer Ebene im Jahr 1976 war eine klare Trennung zwischen Invalidenversicherung und Arbeitslosenversicherung gesetzlich gewollt;[90] sie entsprach bereits bei der Schaffung der Invalidenversicherung der konstanten EVG-Praxis[91]. Der Wandel des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit lässt sich deshalb nicht mit der Schaffung des Obligatoriums der Arbeitslosenversicherung auf Bundesebene erklären.
Vermittlung BehinderterIn anderer Hinsicht bestehen dagegen Bezüge zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung, und zwar bei der Vermittlungsfähigkeit von behinderten Personen (Art. 15 Abs. 2 AVIG[92]) sowie bei den Beiträgen zur Förderung der Arbeitsmarktforschung (Art. 73 Abs. 1 AVIG[93]). Gemäss Gerichts- und Verwaltungspraxis bedeutet der Begriff «ausgeglichene Arbeitsmarktlage», dass die versicherte Person nicht nur bei Hochkonjunktur und Arbeitskräftemangel als vermittelbar gelten darf.[94] Das EVG führte dazu Folgendes aus:
«Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber eine Milderung der vom alten Recht für die Vermittlungsfähigkeit von Behinderten verlangten Erfordernisse erreichen. Nur noch die Erwerbslosigkeit, welche «voll oder stark überwiegend» auf den Gesundheitszustand eines Behinderten zurückzuführen ist, sollte nicht mehr zu dem von der Arbeitslosenversicherung gedeckten Risiko gehören (…) Selbst Bezüger einer ganzen Invalidenrente sind daher im Falle ihrer Arbeitslosigkeit grundsätzlich anspruchsberechtigt, sofern ihre Vermittelbarkeit auch durch die ungünstige Konjunkturlage beeinträchtigt und für Arbeitsstellen, bei welchen sie mit einem sozialen Entgegenkommen von Seiten des Arbeitgebers rechnen können, nach wie vor gegeben ist (…)»[95]
Beiträge Behinderter in der ALVEs entspricht damit Sinn und Zweck der Vorschrift, dass die Vermittlungsfähigkeit von behinderten Personen in der ALV weit gefasst wird, um zu vermeiden, dass Personen, die zuvor Beiträge bezahlt haben, nun (mangels Vermittlungsfähigkeit) ohne Leistungen dastehen.[96] Die Rechtsprechung ging denn auch in der Arbeitslosenversicherung dazu über, den ausgeglichenen Arbeitsmarkt insofern weit zu fassen, als er auch «soziale Winkel» umfasst, d.h. Arbeits- und Stellenangebote, bei welchen behinderte Personen mit einem sozialen Entgegenkommen seitens des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin rechnen können.[97]
Verwertbarkeit der RestarbeitsfähigkeitDiese besondere Regelung in der Arbeitslosenversicherung zugunsten der behinderten Personen wirkt sich gegenteilig aus, wenn sie unbesehen auf die Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung übertragen wird, worauf Miriam Lendfers zu Recht hingewiesen hat:[98]
«Komplett aus dem Kontext gerissen tauchen nun diese Ausführungen zum Begriff des ausgeglichenen Arbeitsmarkts [in der Arbeitslosenversicherung] bei der Frage der Verwertbarkeit einer Restarbeitsfähigkeit bei der Invaliditätsbemessung wieder auf – hier wirken sie sich aber nicht etwa zugunsten der Versicherten aus, im Gegenteil. Wie überzeugend kann vor diesem Hintergrund die Behauptung sein, der ausgeglichene Arbeitsmarkt enthalte auch Nischenarbeitsplätze, bei denen die versicherte Person mit einem sozialen Entgegenkommen des Arbeitgebers rechnen könne?»
Von der Einführung des ATSG bis heute
Schaffung des ATSG
Vom IVG ins ATSGMit der Schaffung des ATSG wurde der Begriff des ausgeglichenen Arbeitsmarktes vom IVG ins ATSG überführt (Art. 7 und 16 ATSG).[99] Im Bericht des Ständerates vom 27. September 1990 betreffend die parlamentarischen Initiative zur Schaffung eines Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts wurde – in Anknüpfung an die vorbestehende Rechtslage – vorgeschlagen, den ausgeglichenen Arbeitsmarkt bei der Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit zu berücksichtigen.[100]
Vorschlag des BundesratesDagegen gehörte das Merkmal des ausgeglichenen Arbeitsmarktes nach Auffassung des Bundesrates nicht in die Umschreibung der Erwerbsunfähigkeit. Der Bundesrat schlug deshalb vor, die Formulierung «auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen