Reinhold Ruthe

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tiefster Sinn, dass einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause.«

       Denk an deinen Schöpfer in der Jugend, ehe die bösen

       Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du wirst sagen:

       »Sie gefallen mir nicht.«

      PREDIGER 12, 1

      »Altwerden ist das schwerste Examen, das Gott uns zumutet«, hat ein weiser alter Mensch geschrieben.

      Der Schriftsteller Edgar Allan Poe ist für seine spannenden, oft gruseligen Geschichten bekannt. Eine handelt von einem Gefangenen, der in einer Zelle sitzt und das unbarmherzige Gefühl hat, dass sich die vier Wände langsam, aber unaufhaltsam auf ihn zubewegen. Der Häftling muss erkennen, dass sein Lebensraum von Stunde zu Stunde kleiner wird und ihm allmählich die Luft ausgeht. Schließlich kann er die Tage berechnen, die ihm noch bis zum Ende verbleiben, bevor ihn die Wände grausam zermalmen werden. Er sieht keinen Ausweg, es gibt keine Tür, kein Fenster, keine andere Öffnung.

      Solche Panikattacken können auch uns befallen, wenn unsere Erwartungen auf diese Weltzeit beschränkt bleiben. Ich denke zum Beispiel an einen Mann, der von Selbstmordgedanken geplagt wurde, weil er im Leben keinen Ausweg mehr sah. Auch für ihn gab es keinen Lichtblick, kein Schlupfloch, seine Welt war »mit Brettern zugenagelt«, wie wir zu sagen pflegen, wenn wir es mit Menschen ohne Hoffnung und ohne Zukunft zu tun haben.

      Der Prediger hat recht: »Denk an deinen Schöpfer in der Jugend, ehe die bösen Tage kommen.« Das Alter wird gern mit den Jahreszeiten Herbst und Winter verglichen. Die Kraft der Sonne hat dann nachgelassen. Die klare Luft ist mit weiter Fernsicht verbunden. Das Reifen der Früchte und die Beeren an den Sträuchern sind eine letzte wunderbare Hymne an den lebendigen Gott. Aber Resignation und Verzweiflung müssen nicht das letzte Wort behalten, denn das Leben hat kein schreckliches Ende. Vielmehr heißt das Ziel Ewigkeit bei Gott. Wer aber von diesem irdischen Leben alles erwartet, der wird »böse Tage« doppelt schmerzlich empfinden.

       Noch im Greisenalter gedeihen sie, sind saftvoll und grün.

      PSALM 92, 1 – 5

      Von den Alten ist hier die Rede. »Sie werden sprossen wie Palmen und Zedern. Sie werden grünen in den Vorhöfen unseres Gottes.« So heißt es im Textzusammenhang.

      Albert Schweitzer, der bekannte Arzt und universelle Denker, hat wunderbare Sätze über den alternden Menschen geschrieben: »Niemand wird alt, weil er eine Anzahl Jahre hinter sich gebracht hat. Man wird nur alt, wenn man seinen Idealen Lebewohl sagt. Mit den Jahren runzelt die Haut, mit dem Verzicht auf Begeisterung aber runzelt die Seele. Sorgen, Zweifel, Mangel an Selbstvertrauen, Angst und Hoffnungslosigkeit, das sind die langen, langen Jahre, die das Haupt zur Erde ziehen und den aufrechten Geist in den Staub beugen. Ob siebzig oder siebzehn, im Herzen eines jeden Menschen wohnt die Sehnsucht nach dem Wunderbaren. Du bist so jung wie deine Hoffnung, so alt wie deine Verzagtheit. Solange die Botschaften der Schönheit, Freude, Kühnheit, Größe, Macht von der Erde, den Menschen und dem Unendlichen dein Herz erreichen, solange bist du jung. Erst wenn die Flügel nach unten hängen und das Innere deines Herzens vom Schnee des Pessimismus und vom Eis des Zynismus bedeckt sind, dann erst bist du wahrhaft alt geworden.«

      Wer dem Herrn vertraut, lässt die Flügel und die Mundwinkel nicht hängen. Wer sich vom Herrn begeistern lässt, egal wie alt er ist, der wird nicht vom Pessimismus und vom Zynismus, von Sorgen und Zweifeln in den Staub gebeugt. Der Psalmist sagt es: Noch im Greisenalter gedeihen diese Menschen, sie sind saftvoll und grün.

      Wer sich gehen lässt, geht rückwärts. Wer alle Hoffnung fahren lässt, lebt hoffnungslos. Wer Pläne und Wünsche in Gottes Namen realisiert, bleibt häufiger als andere kraftvoll, frisch und im Saft.

       Du, Herr, hast deine Vorschriften gegeben, damit man sich

       mit Sorgfalt danach richtet. Ich wünsche mir noch mehr

       Entschiedenheit, mich deinen Ordnungen zu unterstellen.

      PSALM 119, 4 – 5

      Wenn Gottes Ordnungen einfach über den Haufen geworfen werden, dann baden Mensch und Tier dies aus. Die Folgen sehen wir überall: Die heutige westliche Gesellschaft wird von den Konsequenzen solcher Unterlassungen geprägt. Der Journalist und Politiker Peter Gauweiler kennzeichnet das Drama so: »Das sind Erosion und Verwahrlosung, Aids, Rinderwahnsinn und Creutzfeld-Jakob-Krankheit. Jetzt die Maul- und Klauenseuche, die wie ein großes Steppenfeuer ausgebrochen ist. Ist es ein Zufall, dass diese Debakel jetzt auftreten? … Der Rinderwahnsinn (BSE) ist besser bekannt als Fütterungswahnsinn. Dahinter steckt der perfide Vorgang, zur Optimierung der Milchproduktion von Hochleistungskühen Tierkadaver zu verfüttern.«

      Die Zahlen sprechen für sich. Millionen Tiere mussten wegen BSE-Verdachts geschlachtet und vernichtet werden. Noch einmal Peter Gauweiler: »Aber hinter diesem Unglück steckt mehr, eine übergreifende Verblendung: Es ist der rücksichtslose Wille, Grenzen zu beseitigen. Ein ›Fortschritt‹, der über Leichen rollt.«

      Der lebendige Gott hat uns Vorschriften, Gebote und Ordnungen gegeben. Wer sie beiseiteschiebt, schadet sich und der Gemeinschaft. Nur wir selbst können – mit noch mehr Entschiedenheit, wie der Psalmist es für sich fordert – daran arbeiten, uns Gottes Ordnungen zu unterstellen.

       Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und

       eins unter ihnen sich verirrte: Lässt er nicht die neunundneunzig

       Schafe auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte?

      MATTHÄUS 18, 12

      Das Leben ist ein Labyrinth, in dem man sich schnell verirren kann. Das gilt für Schafe, und das gilt für Menschen. Die Angebote zur Gestaltung des Lebens gehen in die Tausende. Nicht wenige haben sich verirrt und finden sich im Wirrwarr der Angebote nicht mehr zurecht.

      Eine griechische Sage erzählt von einem unterirdischen Labyrinth auf der Insel Kreta. Dort lebte ein Ungeheuer, halb Mensch, halb Stier, der Minotaurus. Alle neun Jahre mussten ihm sieben junge Mädchen und sieben junge Männer der Insel geopfert werden. Der Held Theseus meldete sich freiwillig zum Opfer. Ariadne, die Tochter des Königs von Kreta, hatte sich in Theseus verliebt und wollte ihn retten. Sie gab ihm ein Knäuel roten Garns, das ihm helfen sollte, aus dem Labyrinth wieder lebend herauszufinden. Theseus befestigte das Ende des Garns am Eingang und suchte dann den Minotaurus. Es gelang ihm, das Ungeheuer zu töten und unversehrt zurückzukehren.

      Unser Herr will nicht, dass wir uns im Labyrinth dieser Welt verirren und vor die Hunde gehen. Er sucht gerade die Verlorenen und Verirrten. Er sucht nicht die Satten und Gerechten. Er geht nicht den Selbstzufriedenen und Gesunden nach. Er sucht die, die vom Wege abgekommen sind. Er ist der gute Hirte, der die Schafe, die die Orientierung verloren haben, zurückbringt. Unser Herr sucht die Verirrten und lässt sie nicht im Dreck und in der Sackgasse sitzen. Er selbst und sein Wort sind der rote Faden, der uns zu ihm zurückbringt, wenn wir uns in den zahllosen Angeboten dieser Welt verrannt haben. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke?

       Wie ich mit Mose gewesen bin, werde ich mit dir sein;

       ich werde dich nicht aufgeben und dich nicht verlassen.

      JOSUA 1, 5

      Gott wird mit dir sein! Eine Verheißung, die stärkt und beflügelt. Eine Zusage, die Mut macht.

      Pastor Heinrich Giesen, der ehemalige Direktor der Berliner Stadtmission, berichtete von einem Gottesdienst, den er als junger Mann in einer Herrnhuter Brüdergemeinde halten sollte. »Ich