ich allmählich, dass viele Leute im Suhler Dialekt sprachen. Das fiel mir erst nach und nach auf, denn daheim achtete Emmi auf ein gepflegtes Hochdeutsch. Nur wenn Erich getrunken hatte, überhörte sie beflissentlich seine Entgleisungen. Aber manchmal rutschten auch ihr diese Wörter aus dem Mund, ohne dass sie das wahrnahm.
Doktor Fritz Zeth, das ist die Figur, die unten am Steinweg zwischen Niebling und Steigleder steht mit der Aktentasche in der einen und dem Stock in der anderen Hand. Zu ihm ging ganz Suhl. Er und Dr. Hofzimmer waren Ärzte, alte Ärzte, die alles mit einem gewissen Humor trugen. Ging da jemand hin und wollte nur einen Krankenschein, hatte er schlechte Karten. Wer aber wirklich krank war, dem half man natürlich. Gott sei Dank brauchte ich bisher kaum einen Arzt.
In den ersten Schuljahren kannte ich noch keinen Fernseher. Meine Eltern besaßen nur ein altes Radio. Das stand auf dem Schrank neben dem Sofa. Jeden Sonntagnachmittag durfte ich Pumuckl hören. Meister Eder und sein Pumuckl.
Ich hockte eine halbe Stunde still in der Ecke und lauschte. Ob Opa schimpfte oder Oma meckerte, ging mich nichts an. Ich hörte Pumuckl aus einem Röhrenradio lachen. Die Stimme aus dem großen hellbraunen Kasten verzauberte mich, nahm mich gefangen, hypnotisierte mich. Während dieser Zeit ließ ich mich von niemandem stören.
Letztens traf ich Annemarie, meine Freundin. Sie ist ein Jahr jünger als ich. Wir standen vor der Kaufhalle und unterhielten uns.
Bis wir auf eine Begebenheit in der Kindheit zu sprechen kamen. Da fiel mir die ganze Geschichte wieder ein.
Ein sonniger Frühlingstag lockte mich damals aus dem Haus. Unsere Kirschbäume trugen weiße Kleider und die Bienen summten und sammelten Nektar. Überall duftete es. Die blauen Hyazinthen in Mutters Garten verströmten einen süßen Duft. Die Blumen ins Zimmer zu holen, ließen wir lieber bleiben. Davon bekam man Kopfschmerzen. Es war besser, sich in der freien Natur an ihnen zu erfreuen.
Ich weiß nicht genau, wie alt ich war, aber zur Schule bin ich noch nicht gegangen. Es war nachmittags und ich durfte meine Freundin besuchen. Sie wohnte nicht weit von uns entfernt.
Auf dem Weg lagen alte Fichtenzapfen und Zweige. Der Wind blies ein trockenes Blatt vom letzten Jahr durch die Luft. Es raschelte. Eine Amsel landete auf einem Baumstamm. Sie wippte wie eine Tänzerin. Ihr Schwanz zeigte nach oben und ihr Schnabel in meine Richtung. Ich blieb stehen und beobachtete sie.
Die Amsel flog auf eine Pfütze zu und setzte sich an den Rand. Ihr schwarzes Federkleid hob sich kaum von der Erde ab. Ich schlich auf den Vogel zu. Doch er war schneller und verschwand in der knorrigen Buche. Im Nu verschluckten die vielarmigen Äste den Vogel und ich suchte vergebens nach ihm.
Lange trauerte ich dem Tier nicht nach. Vielmehr rannte ich zu meiner Freundin. Annemarie und ihre Mutter sortierten Puppensachen. Auch der Puppenwagen sollte weg. Annemaries Mutter, eine große schlanke Frau mit blonden Zöpfen, sah mir in die Augen. Sie verstand mich ohne Worte.
„Den Puppenwagen! Den kannste mitnehmen, mein Mädle! Den brauchen wir net mehr! Den kannste kriegen!“
Stolz wie ein Spanier lief ich den Feldweg lang und schob den weißen Korbpuppenwagen vor mir her. Ich musste mich mächtig anstrengen. Die kleinen Räder ließen sich schwer über die Kieselsteine bugsieren. Das Holzgestell klapperte. Ich umklammerte den langen Griff und freute mich über die Kopfkissen, die rot karierte Matratze und das rosafarbene Deckchen.
Zu Weihnachten schenkte man mir immer denselben Teddy mit neu gestricktem Anzug. Ihn stellte ich mir vor.
„Einen Puppenwagen für meinen Teddy!“, jubelte ich. „Ich habe jetzt `nen Puppenwagen! `nen Puppenwagen! Für meinen Teddy!“
Die Freude hielt nicht lange. Als meine Mutter das Geschenk sah, explodierte sie: „Du kannst doch nicht von den anderen Leuten das Zeug mitnehmen! Wo gibt`s denn so was! Der Wagen kommt wieder owere hie!“
Ich kriegte so einen Krach, dass mir Hören und Sehen vergingen. Da musste ich den Puppenwagen wieder runterfahren und unten abstellen.
Heulend trottete ich den Weg ins Tal. Traurig parkte ich den Wagen vor das Haus meiner Freundin. Nun hatte ich wieder keinen Puppenwagen! Ich verstand die Welt nicht mehr.
Und Annemarie sagte später zu mir: „Ich sehe dich noch heute, wie du weinend mit dem Wagen runter kamst, ihn abgeben musstest und ihn nicht behalten durftest!“
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