Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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      „So, so. Und was hat er wirklich gesagt?“

      „Viviane! Sehe ich aus wie ein Lügner!? Wenn ich mich recht entsinne, warst du bei unseren Kinderstreichen immer diejenige, der man genauer zuhören musste!“

      Vivianes Blick hatte sich noch nicht verändert. Silvanus verdrehte die Augen zum Abendhimmel.

      „Na gut, na gut. Aber das ist eigentlich nur was für Männer.“

      „Ich hab schon einiges erlebt, was eigentlich nur für Männer ist, Silvanus. Also …“

      „Warte bis wir da sind, dann sag ich’s dir.“

      Viviane legte ihm wieder die Hände um den Hals, zog einen Schmollmund und kraulte seinen Nacken.

      „Nur, wenn’s nicht allzu lange dauert.“

      Silvanus seufzte.

      „Immer diese Ungeduld von den jungen Stuten. Apropos: Ich hatte zwar auch ein schönes Plätzchen bei unserer Festwiese gefunden, aber damit wäre Vater garantiert nicht einverstanden gewesen. Und meine Arme auch nicht. So, da wären wir schon.“

      Silvanus schlängelte sich geschickt durch eine Ansammlung junger Birkenbäume, kniete nieder und legte Viviane ins weiche Moos. Doch sie ließ seinen Hals nicht los, zog ihn neben sich und kuschelte sich schnell in seine Achsel. Den Rest von Silvanus klammerte sie mit einem Bein fest und betrachtete die unzähligen kleinen Birkenzweige um sich herum.

      „Das hätte ich mir eigentlich denken können. Unser alter Platz, wo wir früher immer die Wolkenbilder von Vater Himmel beobachtet haben.“ Sie strich über das weiche Moos. „Damals war hier mehr Gras und die Birkenbäumchen waren auch noch nicht da.“

      „Hm, hat sich verändert in den paar Jahren und ist richtig schön dicht mittlerweile. Sieht ein bisschen wie unser Birkenhain bei der Festwiese aus, nur in Miniaturformat und von außen uneinsehbar.“

      Viviane nickte verschmitzt.

      „Fehlt nur noch der Stein unserer Fruchtbarkeitsgöttin, dann ist es perfekt.“

      Silvanus öffnete seine Gürteltasche und legte Viviane einen flachen, schwarz-weißen Kieselstein in die Hand.

      „Auch eine Miniatur, aber sonst …“

      Viviane strich über die glatte ovale Fläche, drehte ihn um und besah sich die schwarze Unterseite.

      „Der ist ja fast zweigeteilt. Wo hast du ihn denn gefunden?“

      „In der Badestelle, als ich heute vor Loranthus geflüchtet bin.“

      Viviane lachte.

      „Das kann ich mir gut vorstellen. Du Armer. Und?“

      „Was, und!? Ich bin ihm natürlich entkommen und Conall hat ihn erwischt.“

      Viviane schob sich halb auf Silvanus und schlang ihr Bein noch fester um ihn.

      „Ich meinte eigentlich, was Vater zu dir gesagt hat.“

      Silvanus verdrehte die Augen.

      „Also gut! Wenn du’s unbedingt wissen willst! Er hat gesagt, ich kann’s ruhig laufen lassen, es wäre ja eh schon alles zu spät.“

      Viviane prustete los, warf sich ganz auf Silvanus und kicherte an seinem Hals weiter.

      „Vater ist immer so praktisch veranlagt. Aber wenn du denkst, er wäre damit der Einzige, dann hast du dich getäuscht. Nora hat das auch zu mir gesagt, als ich beim Großopfer bei ihr und Harthu gesessen habe.“

      Jetzt prustete auch Silvanus los.

      „Kann ich mir denken. Bei denen ist ja auch schon alles zu spät.“

      Viviane fummelte am Haken seines Gürtels herum. Das schwere, kupferne Knotenmuster klappte zur Seite und sie schnurrte ihm ins Ohr: „Na, dann wollen wir mal die Gelegenheit ausnutzten, wenn wir so schön alleine sind.“

      Silvanus packte die Hand, die ihm gerade das Hemd hochziehen wollte.

      „Erst will ich von dir wissen, wie du dir das nachher vorstellst, bei Baria.“

      „Sag ich dir. Aber nur, wenn du das Hemd ausziehst.“

      „Warum? Muss man beim Meditieren das Hemd aus haben?“

      Viviane lächelte geheimnisvoll und raffte ihm das Hemd über den Kopf.

      „Quatsch. Aber mir gefällst du ohne Hemd besser.“

      „Gut. Aber dann auch du!“

      Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, da war Viviane auch schon aufgesprungen, hatte ihren Gürtel aufgehakt und riss sich Überkleid und Unterkleid vom Leib. Silvanus schüttelte grinsend den Kopf und leckte sich die Lippen.

      „Gierig wie eine siebenköpfige Raupe.“

      „Also pass auf!“ ermahnte Viviane mit hochgehobenem Zeigefinger und setzte sich neben ihn. „Die gierige Raupe setzt sich so in den Runensitz und schließt die Augen.“

      Silvanus besah sich Vivianes verschränkte Beine und schlug umständlich seine eigenen ineinander.

      „Hm. Ich glaub, meine Beine sind für solche Verrenkungen viel zu lang!“

      „An dir ist alles … lang“, säuselte Viviane, hielt aber die Augen geschlossen. „Mit ein bisschen Übung ist das gar nicht so schwer. Jetzt die Hände auf die Knie und entspannen!“

      Silvanus fuchtelte mit seinen Händen vor Vivianes Nase herum und zog Grimassen.

      Viviane lächelte, ohne die Augen zu öffnen, und knurrte: „Entspannen, hab ich gesagt!“

      Silvanus kniff die Augen fest zu und legte betont artig seine Hände auf die Knie.

      Viviane brummte zufrieden und gab ihrer Stimme einen beruhigenden Klang.

      „Jetzt hörst du den Grillen zu, fühlst den warmen Sommerabend, schmeckst das Aroma des Windes, riechst die Düfte, die dich umgeben und denkst an eine schöne, langsame Melodie. Dein Geist wandert vom Gehirn über deine Augen, deine Nase, deine Lippen, deine Ohren, deinen Hals und über die Schultern, bis hinab in deine Fingerspitzen. Dort gibst du ihn frei und lässt ihn fliegen, weit hinauf zu Vater Himmel.“

      Viviane linste durch ihre Wimpern und betrachtete Silvanus’ Hände. Seine Handflächen zeigten nach oben, seine Fingerspitzen spreizten sich auseinander. Er war wirklich entspannt.

      „Du kannst jetzt deinen Geist überall hin fliegen lassen und er wird dir die Antworten bringen, die du suchst.“

      Silvanus’ Kopf kippte leicht nach hinten und seine Lippen öffneten sich. Viviane griente und streichelte mit ihrer Hand über seinen Rücken.

      „Ich suche beispielsweise die Antwort auf die Frage, wann wir endlich die Gelegenheit ausnutzen. Ich wollte nämlich nicht erst durch den Wald stolpern, wenn es dunkel ist.“

      „Mmmh, mach nur weiter so. Mein Geist kommt schon angeflattert“, brummte Silvanus, schlug ein Auge auf und schielte zu ihr rüber. „Da gibt es nur ein Problem: Ich bekomm den Knoten in meinen Beinen nicht wieder auseinander.“

      „Welch eine Misere!“, seufzte Viviane, stand auf, beugte sich über ihn und besah sich höchst nachdenklich seine Stellage. Mit einem „So könnte es gehen“ zog sie seine Hände hoch auf ihre Brüste, empfahl ihm, sich daran fest zu halten und biss sachte in sein Ohrläppchen, während ihr Körper an seinem Bauch hinunter glitt und sie sich auf seinen Knien abstützte.

      „Sind deine Beine schon frei? Nein? Nun, wir sollten einfach das Beste draus machen“, hauchte ihr Atem an seinem Hals.

      Viviane griente immer noch vor sich hin, als sie schon längst auf dem schmalen Wildwechsel unterwegs war, der sie direkt zu Baria führte. Sie kam schnell voran. Selbst als das Blätterdach dichter wurde, konnte sie alles deutlich erkennen und hörte die Geräusche der Waldbewohner. Obwohl sie sehr leise