Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


Скачать книгу

bei mir Schlange, um einen Posten als Pferdewirt zu ergattern.“

      Flora drehte sich sofort zur Burg.

      „Jetzt, wo du das sagst … bei dir würde es einem Sklaven richtig gut gehen.“

      „Wieso? Hat jemand seinen Ehrenpreis verloren?“

      „Noch nicht. Aber das Weib von unserem ältesten Krieger, der gefallen ist, hat keine Kinder. Ich könnte mir vorstellen, dass sie bald nicht mehr alleine zurechtkommt. Und in ihren Mutterclan will sie nicht wieder zurück. Das hat sie mir jedenfalls erzählt, als ich mich mit ihr unterhalten habe.“

      Viviane sah ihre Mutter fragend an.

      „Da warst du gerade zur Reinigung oben im Heiligtum, Kind.

      „Oh, daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. Ich war so damit beschäftigt, für Tinne eine brauchbare Lösung zu finden … Aber ich werde ihr natürlich gerne eine Arbeit bei mir anbieten, die ihrem Alter entspricht.“

      Flora legte Viviane die Hand auf die Schulter.

      „Bei dir kann sie unbesorgt alt werden, da bin ich mir sicher.“

      „Hm, aber vielleicht nimmt sie sich auch wieder einen neuen Mann? Dann gebe ich sie frei und zwar ohne Rückkauf vom Ehrenpreis.“

      Flora tätschelte dankend Vivianes Schulter und die nutzte die Gunst der Stunde.

      „Ich will nach dem Abendessen zu Baria.“

      Floras Hand rutschte kraftlos an Vivianes Arm herab, und das Lächeln gefror ihr im Gesicht.

      „Heute Abend schon? Sonst gehst du doch immer vor Sonnenaufgang? Ist irgendwas passiert? Hast du sie unterwegs im Wald wieder gerochen?“

      „Nein, nein, keine Bange, und gerochen hab ich sie auch nicht. Sie weiß doch, dass sie mich nur rufen muss, wenn sie mich braucht.“

      „Warum willst du dann so früh los?“

      Viviane winkte ab.

      „Keine Sorge, Mama! Ich will auf der Lichtung noch meditieren, bis sie zu mir kommt!“

      „Was!? Du bist wohl nicht ganz bei Trost!? Hast du nicht gesagt, wenn jemand zwischen den Welten wandert, dann bekommt er nichts mehr um sich herum mit, weil der Geist den Körper verlässt? Und da willst du dich in die Höhle des Löwen setzen!?“

      Flora fuchtelte wild mit den Händen über Vivianes Kopf herum und schnaubte: „Dein Geist flattert irgendwo in der Gegend herum und dein Körper ruft: Kommt alle her und fresst mich! Ich kann mich nicht wehren!?“

      Viviane hielt beschwichtigend die Hände ihrer Mutter fest und zog sie nach unten.

      „Jetzt übertreibst du aber, Mama, von wegen Höhle des Löwen …“

      „Na, ist doch egal, ob du nun von einem Wolf gefressen wirst oder … da laufen ja auch noch Wildschweine im Wald rum und Luchse und Bären und …“

      „Oder ich setze mich aus Versehen in einen Ameisenhaufen und schnipp-schnapp …“

      Viviane schlug die Zähne aufeinander. „ … bin ich abgenagt. Jetzt ist es aber gut, Mama! Es hat eben seine Vorteile, wenn man in der Höhle des Löwen meditiert.“

      „Ach! Was sollte daran von Vorteil sein?!“

      „Na, denk doch mal nach! Wer ist das gefährlichste Raubtier im Wald?“

      „Na, eben doch! Der Wolf!“

      „Und würdest du als Wildschwein oder Bär freiwillig in die Nähe von einem Wolf gehen?“

      „Äh … nein. Da wäre ich ja lebensmüde!“

      „Na also! Dann kannst du heute beruhigt schlafen und ich beruhigt wandern.“

      Flora gab es auf.

      „Ich press noch schnell den letzten Tropfen Saft aus meinen Himbeeren. Das kommt mir jetzt gerade recht. Du willst bestimmt mit den Kindern auf der Tin Whistle üben, wenn sie heim kommen.“

      „Ganz recht. Ich gehe mit ihnen in den Baumgarten, da bin ich dir aus dem Weg. Ich habe auch schon ein schönes, beruhigendes Liedchen im Sinn. Es heißt praktischer Weise ‚der heulende Wolf‘.“

      Als die Männer heimkamen, summte Flora an ihrer Saftpresse eine melancholische Melodie mit, die von Vivianes kleiner Zinnpfeife ausging, bis die Kinder zu üben begannen. Aber es dauerte gar nicht lange, da hörte sich auch ihr Spiel richtig gut an und sie versuchte es noch einmal mit summen. Nach dem Abendbrot war sie so gut gelaunt, dass sie sich an Vivianes neues Fidchellspiel erinnerte, und schon lagen alle draußen auf den Kuhhäuten, genossen den lauen Sommerabend und gaben Lavinia und Robin nebenbei gute Ratschläge. Damit es nicht zu lange dauerte, hielten sie die Wege kurz und die Kuhhäute eng zusammen. Es war ein ziemliches Gefuchtel und Gerede, doch die beiden wollten gar nicht mehr aufhören, obwohl sie gegen jeden Gegner, der sich ihnen gegenübersetzte oder -legte, verloren.

      Verlieren war prima, denn wer verlor, durfte zum Trost den rosa Elefanten, Rosvinia, drücken und mit seiner schlechten Laune füttern, weshalb Rosvinchen sich ihren Bauch mit enorm viel Frust der Verlierer vollfraß. Kaum war sie satt, konnte das nächste Spiel beginnen, bis Robin das Rosvinchen beim Füttern selbst verschlingen wollte.

      Im Angesicht dieser drohenden Gefahr für wohlgenährte rosa Elefanten, erklärte Arminius den Abend für beendet und Viviane sprang auf die Füße. Silvanus zerrte sie gleich mit hoch.

      Flora stutzte.

      „Ich denke, Silvanus darf nicht mit, wenn Baria sich zeigen soll?!“

      Silvanus winkte ab.

      „Ich begleite sie nur ein Stückchen, Mutter. Da kann ich gleich noch mal nach unseren Pferden sehen.“

      Arminius sah von seiner allerallerletzten Partie Fidchell mit Lavinia auf, hielt ihr jedoch sicherheitshalber die Hände fest.

      „Aber dass mir keine Klagen von den … Pferden kommen, Silvanus!

      Alle um ihn herum kicherten und Conall schlug dabei mit der Hand so kräftig auf die Kuhhaut, dass die kleinen Holzschildkröten in die Luft flogen. Lavinia johlte begeistert und konnte sie schnell zu einem neuen Spiel arrangieren, bevor Arminius eine besonders weit hüpfende Pantherschildkröte eingefangen hatte. Nachsichtig schüttelte er den Kopf über so viel Eifer.

      Silvanus griente, hob Viviane wie ein Kind auf die Arme und stolzierte mit folgenden Worten zum Tor hinaus: „Ich trage deine Tochter auf Händen, Arminius, und werde mich bemühen, dass sie sich nie über mich beschweren muss.“

      Arminius überprüfte seine enormen Armmuskel.

      „Recht so, mein Sohn. Was anderes hatte ich auch nicht erwartet.“

      Viviane winkte lachend und Silvanus trug sie durch das Tor um die Palisaden herum.

      „Jetzt kannst du mich wieder runter lassen, Silvanus.“

      Silvanus schüttelte den Kopf.

      „Erst, wenn wir da sind.“

      „Aha. Und wo ist das: da?“

      „Lass dich überraschen.“

      Silvanus ging an den Gattern der Ziegen, Schweine und Gänse vorbei. Selbst bei ihren erbeuteten Pferden machte er nicht halt, lief durch das offene Eichentor zum Dorf hinaus und am kleinen Bach entlang. Der Stier, in seiner Umfriedung aus Hainbuchensträuchern, muhte ihnen kurz nach und graste weiter.

      „Warum haben wir erst jetzt das Tor zugemacht? Ich dachte, ihr habt das vorhin gleich erledigt, als ihr von eurem Ausritt gekommen seid?“

      „Ich habe Vater gesagt, wo ich hin will, damit er sich keine Sorgen um dich macht.“

      „Und, was hat er gesagt?“

      Silvanus griente sie vielsagend an.

      „Ach, er hat nur gesagt, ich soll das Tor nicht vergessen,