mit einer Ricke davon ins Dickicht. Kaum waren sie verschwunden, knackten dort die Zweige und ein leises Quieken verriet, dass eine Rotte Wildschweine ebenfalls flüchtete.
Viviane übersprang dagegen geräuschlos-leichtfüßig den kleinen Gebirgsbach und kam bald darauf zum Rande der Lichtung, auf der sie und Baria immer zusammentrafen.
Abwartend blieb sie stehen, strich sachte über ihre Lieblingsbirke und sog deren typischen Geruch ein. Sie war in den paar Jahren noch ein Stück gewachsen, das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen, wohl wegen der sonst herrschenden Dunkelheit. Auch die blaugrünen Gräser wiegten sich heute nicht silbrig schimmernd im Nachtwind, sondern verschmolzen mit dem blaubeerfarbenen Abendhimmel. Ihre winzigen Ähren standen filigran über den weichen Grasbüscheln wie zarte Kunstwerke, geschaffen von Meisterhand.
Viviane betrat die Wiese, ließ ihre Finger darüber streifen. Flauschige Hummeln brummten behäbig an ihr vorbei und auch die flinken Bienen schwirrten noch emsig zwischen rotem Klee und blauen Lupinen hin und her, während sie ihre Schritte bedächtig setzte, um sie nicht zu stören.
Langsam bewegte sie sich auf ihren alten Baumstumpf zu, doch diesmal setzte sie sich nicht darauf, sondern davor ins Moos. Lächelnd strich sie darüber, sah sich noch einmal auf der Lichtung um und zog die Beine ineinander. Die Hände legte sie auf ihre Knie, den Kopf lehnte sie an das alte Holz, seufzend schloss sie die Augen.
Das Moos war angenehm warm und weich, Gras und Kräuter verströmten ihre Düfte, Bienen summten leise, friedlich. Die Vögel zwitscherten wesentlich lauter und machten das Lied der Dämmerung vollkommen.
Viviane öffnete leicht ihre Lippen, atmete langsam ein. Die laue Nacht legte sich auf ihre Zunge. Die Mondgöttin rief ihren Geist zu sich.
Behäbig floss er durch ihren Körper und quoll hinaus wie ein Bach aus seiner Quelle. In einem schmalen Rinnsal rann er zum Waldrand, schlängelte sich zwischen den Buchen und Birken hindurch und rieselte knisternd über die trockenen Nadeln unter den mächtigen Tannen. Das gleichmäßige Summen blieb auf der Wiese zurück, auch das Tschilpen wurde leiser wie ein abklingendes Harfespiel, gezupft auf göttlichen Saiten, sanft, einfühlsam.
Die Vögel verstummten ganz und sahen neugierig dem Rinnsal hinterher, das sich an den knorrigen Wurzeln der alten Eichen entlang wand, immer weiter, bis es sich endlich mit dem klaren Gebirgsbach vereinigte. In diesem Augenblick legte die Göttin der Nacht ihren diamantbesetzten Mantel über ihren Vater Himmel und der Bachlauf erstrahlte im Glanz der Gestirne, spielte mit ihnen Verstecken. Bald aber standen die Bäume so dicht, dass selbst das helle Mondlicht ihre Wipfel nicht mehr durchdringen konnte und der Bach gewann das Spiel.
Freudig umspülte er die Steine und passte sich sanft den Windungen seines alten Bettes an. Von überall her kamen kleine Rinnsale herbei und vereinigten sich mit ihm, ließen ihn anschwellen, manchmal sogar ein wenig tosen. So plätscherte der Gebirgsbach lange im Dunkeln dahin, ohne den Verlauf zu sehen, einfach nur, weil es sein ureigener Weg war, den er immer nahm.
Ganz allmählich öffnete sich der düstere Wald zu einer Aue.
Silbern schwankten lange Gräser im diffusen Licht der Mondgöttin und wiegten sich in den Armen von Bruder Wind. Der Bach aber wand sich nun nicht mehr in engen Kurven, sondern wurde breiter, ruhiger. Gemächlich strömte er an großen Felsblöcken vorbei, die zwischen seinem Bett und einem schmalen Wiesenweg lagen. Etwas Animalisches ging lautlos darauf, bewegte sich geschmeidig.
Der Rhythmus seiner Schritte passte sich der Geschwindigkeit des Wassers an. Mühelos übersprang es die Felsen, trennte sich nie vom Bach und schaute auf das Ende des Weges, wo das Mondlicht in einem stillen See glitzerte. Der Bach ergoss sich hinein, kam zur Ruhe, schlief ein.
Am anderen Ufer ragte ein riesiger Opal empor. Ein Schwert steckte darin. Die Göttin der Nacht strich mit ihren silbernen Fingern über die beiden Drachen, die darauf eingraviert waren und sich um einen Baum wanden. Das Wasser spiegelte das Mondlicht, warf es gegen das glänzende Schwert und es sah fast so aus, als würden sich die Drachen im Takt der Strömung bewegen.
Lautlos, bedächtig trat eine Wölfin aus den Schatten der Nacht und legte eine Pfote auf den schwarzen Edelstein. Schon tasteten sich die Finger der Nachtgöttin ganz sanft an den Krallen entlang, streiften den Lauf und warfen schließlich behutsam einen Mantel aus Mondlicht über ihr gesamtes grau-braunes Fell. Vollkommen still verharrte die große Gestalt der Wölfin in majestätischer Würde, kraftvoll, animalisch, überflutet von einer Aura aus Silber. Selbst ihre wachsamen, klugen Augen beobachteten erhaben das schlafende Wasser, das sich in ihnen widerspiegelte, sie schimmern ließ wie polierte Bernsteine.
Viviane schlug die Augen auf, sah ihrerseits in die gelb-braunen Augen von Baria und lächelte. Auch die Wölfin schien zu lächeln und als Vivianes Hand sich auf ihre Pfote legte, schloss sie ihre Augen. Ein wohliger Laut kam aus ihrem tiefsten Inneren. Viviane ahmte den Laut nach, kniete sich vor die Wölfin und umarmte sie.
Baria schmiegte ihren Kopf an Vivianes Hals und beide sogen den unverwechselbaren Duft der anderen ein. Gemächlich legte sich Baria ins Moos, ließ sich von Viviane streicheln und kämmen und lauschte der ruhigen Stimme ihrer Mutter.
Später verstaute Viviane die ausgekämmten Haare in einem Holzdöschen und legte sich ebenfalls ins Moos. Baria rollte sich neben ihr zusammen und schob ihren Kopf in Vivianes Achsel. Eine Pfote legte sie auf Vivianes Unterbauch.
Schweigend genossen beide die wohlige Wärme des geliebten Wesens, bis es plötzlich gegen Barias Pfote klopfte. Viviane hob den Kopf und sah verdutzt auf Barias Pfote, doch die Wölfin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Dann begriff auch Viviane, wer da gegen ihren Bauch geklopft hatte.
„Das war das erste Mal, dass ich es selbst gespürt habe“, flüsterte sie strahlend und kraulte Baria mit der einen Hand die Ohren. Die andere legte sie über ihre Pfote.
„Weißt du, es ist schon seltsam, dass ich mich deine Mutter nenne, Baria. Wo du doch viel früher gemerkt hast, dass ich ein Kind erwarte, als ich selbst. Da kannst du mal sehen, wie viel mein menschlicher Instinkt wert ist gegen deinen animalischen. Hm. Woran das wohl liegt, dass ich da nicht mithalten kann. Vielleicht, weil mein Leben einfacher ist als deines. Du bist der Jäger, immer auf der Hut, um zu überleben. Und ich …“
Viviane gluckste leise und sah Baria in die wachsamen Augen. „ … kann noch viel von dir lernen. Doch nun steigt Ostara über den Horizont, umhüllt von ihren schönsten goldenen Gewändern. Es wird Zeit für uns.“
Baria erhob sich und legte ihrer Ziehmutter die Pfote auf die Schulter, so, wie es Viviane mit ihr machte, wenn sie sich hinlegen sollte. Viviane verstand und wartete geduldig, bis Baria wiederkam.
Sie war nicht allein.
Drei kleine Wölfchen folgten ihr und tapsten zielstrebig auf Viviane zu. Sie beschnupperten ihre Hände, kletterten über ihre Beine und drehten sich ein paar Mal um sich selbst. Nach kurzem Gerangel hatte jeder einen Platz auf Vivianes Kleid gefunden und sie kuschelten sich eng aneinander. Viviane streichelte Baria mit der einen und ihre Jungen mit der anderen Hand.
Nach einer Weile erhob sich Baria und trug ihre Kleinen der Reihe nach wieder in den Bau. Sie kam noch einmal zurück und legte Viviane ihre Pfote aufs Knie. Viviane legte ihre Hand darüber.
„Wenn du mich rufst, werde ich da sein. Wenn ich dich rufe, wirst du da sein. Bis bald, meine Tochter.“
Drei gängige Schlüssel, um Gedanken aufzuschließen: Trunkenheit, Vertrauensseligkeit, Liebe
Noeira stemmte die Hände in die Hüften.
„Wird auch Zeit, dass du endlich zum Waschen kommst! Mutter hat sich schon Sorgen gemacht. Ich habe extra auf dich gewartet. Die anderen kochen schon den Hirsebrei. Hast du unterwegs getrödelt? Oder …“ Noeira stutzte. „Dreh dich mal! Hat Baria dich etwa …?“
Viviane rollte mit den Augen, wandte sich übertrieben hin und her, zog ihr Kleid aus und hielt es Noeira ausgebreitet vor die Nase. Mit großer Geste schwenkte sie es zur Seite und deutete triumphierend auf ihren