Ruth Malten

Liebe und Tod im Grenzland


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      Während sie das Innere des Hauses anschauten, traf der Möbelwagen ein. „Klappt ja perfekt“, fand Gustav hochzufrieden.

      Die Möbelpacker trugen die Schränke, Bettgestelle, Tische und Stühle an ihren Platz und stellten die Kisten in die markierten Räume. Gustav und Hermine richteten die Betten für die Kinder. Gustav hatte auf dem vorhandenen Kohleherd eine Kartoffelsuppe mit kleingeschnittener Fleischwurst zubereitet.

      Die Familie nahm an ihrem alten Küchentisch, auf ihren gewohnten Stühlen in ihrem ersten eigenen Haus Platz. Der Vater füllte jedem mit der alten Familienkelle Suppe auf den Teller, setzte sich, sprach das Tischgebet, sie reichten einander die Hände, und er wünschte seiner Familie einen gesegneten Appetit.

      Diese erste Mahlzeit im neuen Leben hatte einen besonderen Geschmack. Sie schmeckte nach Hoffnung, nach Zukunft, nach dem ganz einzigartigen Gefühl, in einem Familiennest warm aufgehoben und auf eine unvergleichliche Weise geborgen zu sein. Sie würden diesen Abend, dieses erste Mahl im eigenen Haus mit Vaters Kartoffelsuppe nie vergessen.

      „Unser neues Zuhause“, sagte Gustav, stolz, bewegt und vollkommen glücklich. „Danke euch für eure Umzugs-Plackerei. Bin froh, dass wir dieses Stück Wegstrecke geschafft haben.“ Gustav schaute seine Lieben an. Seine Kinder hatten Augenränder von der Anstrengung der vergangenen Tage, ihre Wangen waren gerötet von der Aufregung und der heißen Suppe, die ihnen schmeckte und guttat. Hermine hatte müde Augen, aber Erwartung und Wiedersehensfreude hatten sie ebenfalls wieder aufgemöbelt. Mit ihren graugrünen Märchenaugen schaute sie in die Runde, dann aus dem Fenster, das den Blick zum großen Garten freigab. Sie lächelte beim Schauen und Essen zu Gustav hin. „Wie fleißig du warst, wie viel du geschafft hast! Du musst doch völlig erledigt sein!“ Gustavs Gesicht leuchtete bei diesem Lob von Hermine. Im Augenblick war er viel zu glücklich, um noch an irgendeine Art von Anstrengung aus der zurückliegenden Zeit zu denken.

      Die Kinder bekamen zur Feier des Einzugs Zitronensprudel, den Ilse wegen der perlenden Kohlensäure ‚Kitzelbier‘ nannte.

      Die Müdigkeit kam nach dem Essen ganz plötzlich. Die Augen fielen Ilse zu und beinahe wäre sie von ihrem Stuhl gerutscht. Arthur und Paul waren sehr still geworden. Versponnen wie im Traum glänzten ihre Augen, Pauls Kopf tunkte einige Male vor und zurück. Ihr Atmen klang wie Schlafen.

      „Schlaft schön in eurer ersten Nacht in der neuen Heimat. Und merkt euch, was ihr träumt. Vielleicht geht es in Erfüllung.“ Diese geflüsterten Worte der Mutter hörten die Kinder nicht mehr. Der Schlaf hüllte sie bereits ein. Als Gustav und Hermine wieder in ihrer Wohnküche ankamen, war oben in beiden Kinderzimmern vollkommene Stille.

      Gustav und Hermine tranken noch ein Glas Wein zusammen. Die erste Nacht im neuen Heim war für sie inniger als ihre Hochzeitsnacht. „Meine süße Liebste“, sagte Gustav zart, als Hermine später ihren Kopf in seine Armbeuge bettete. Halb schlief sie schon, als sie „Mein lieber, guter Gustav“ murmelte.

      Die Einweihungsfeier war Neuland für Hermine und Gustav. Eine schöne Feier sollte es werden. Viel kosten durfte sie nicht. „Wann werde ich unser erstes Geld verdienen?“, sagte er. „Das ist die große Frage und Unbekannte.“ Die Schulden wollten sie so niedrig wie möglich halten.

      „Mein Vorschlag“, sagte Hermine, „wir machen das meiste selbst und leihen, was wir sonst kaufen müssten.“

      „Meine Idee wäre ein Spanferkel. Vielleicht kann uns der Fleischer einen Drehspieß leihen.“

      „Das Sauerkraut koche ich auf schlesische Art. Die Bauernsemmeln kann ich selbst backen, die Kuchen sowieso. Ein saftiger Kartoffelsalat müsste auch noch zu schaffen sein.“ Gersten- und Bohnenkaffee würden sie in Kannen mit Kaffeemützen auf die Tische stellen.

      Sie platzierten zwei Sägeböcke im Abstand von einigen Metern, legten dazwischen feste, breite Bohlenbretter, deckten das Ganze mit weißen Bettlaken und kleinen quadratischen, von Hermine in ihrer Jugendzeit gestickten Tischdecken. Der Wirt aus der nahen Gaststube hatte ihnen einige Stehtische, Sektgläser sowie Bierkrüge mit Zinndeckeln geliehen. Sie erwarben bei ihm das Bier in Dreilitersiphons sowie Sekt und Wein. Auf die Tische verteilten sie kleine Vasen mit Astern, Zinnien und Dahlienblüten.

      Als am Spätnachmittag die Gäste eintrafen, wehte ihnen ein Hauch frischen Hefe-, Apfel- und Mohnkuchens sowie der Duft goldblonder Hefesemmeln entgegen und mischte sich mit dem von würzig dampfendem Sauerkraut und dem knusprig braunen Spanferkel am Drehspieß, dessen Fett dann und wann zischend ins Holzfeuer tropfte, die glühende Asche zu rotglühendem Wirbel aufstiebend.

      Auch nicht geladene Gäste, von den Wohlgerüchen angelockt, kamen herbei.

      Lore, Arnos Frau, brachte Utensilien für Kinderwettspiele, neue Säcke zum Sackhüpfen, gekochte Eier und große Löffel für Eierwettläufe, ein buntes Tuch für Blindekuh. Hermine hatte zusammen mit Ilse Papierwundertüten vorbereitet, in die sie kleine Geschenke für die Schule, wie Buntstifte, Bleistifte, Radiergummi, Anspitzer gegeben hatten. Dazu Karamell-Bonbons, Lakritz-Schnecken, Marzipan-Kugeln und bunte Glaskugeln für das Schippel-kugelspiel, das bei den Mädchen gegenwärtig die Nummer Eins war. Bei diesem Spiel ging es darum, als erster seinen Anteil Kugeln in eine kleine Erdhöhle nur mit Daumen und Zeigefinger zu ‚schippeln‘, wie sie in Breslau oder ihrer alten sächsischen Heimat sagten.

      Als um die dreißig Gäste eingetroffen waren, schenkten Hermine und Arthur den Sekt ein und reichten die Gläser auf Tabletts herum.

      Die Kinder, fünf Mädchen und drei Jungen waren gekommen, bekamen in bunten Gläsern roten, frisch zubereiteten Saft aus letzten Himbeeren und ausgereiften Brombeeren, von Arthur und Ilse am Vortag am nahen Waldrand gepflückt, der ihnen herrlich schmeckte. Der große runde Glaskrug musste wiederholt nachgefüllt werden. Paul hatte Hermine beim Backen geholfen.

      Gustav begrüßte die Gäste und unterstrich, wie wichtig für ihn und seine Familie ihre Unterstützung beim Start sein würde. „Mein Herz klopft schneller, wenn ich insbesondere an die nähere Zukunft denke, bis mein erster Kunde hier eintrudelt. Bis dahin werde ich wie eine Spinne im Netz auf mein erstes Opfer warten.“ Er erläuterte, was er anzubieten haben werde, Baustoffe aller Art mit seinem Schwerpunkt Ziegel, Klinker, Kacheln und Fliesen, aber ebenso Edelhölzer aus Süd-Amerika und Asien, Marmor aus Italien, selbstverständlich auch weißen Carrara-Marmor.

      Der Bürgermeister wünschte ihm und der Familie Glück und Erfolg und versprach seine Unterstützung.

      Gottes Segen erbat der Pfarrer von oben, mit dem Zeigefinger zum Himmel weisend, für das mutige Unternehmen der Familie.

      Die Stimmen wurden im Laufe des Spätnachmittags in dem Maße lauter, wie der kugelige Glaskrug mit der Bowle sich leerte und die leeren Biersiphons zunahmen. Das Feuer war heruntergebrannt, die Buchenscheite schwarz geworden mit einem silbrig-porösen Aschepelz. Unter ihnen glomm ein Rest orangeroter Glut. Das Spanferkel, ein Skelett aus Kopf, Wirbelsäule und Knochen, wurde nur noch von knusprigen Hautlappen zusammengehalten, auf die Arthur und seine neuen Freunde bereits ein Auge geworfen hatten.

      Hermine lud die Kinder zu Wettspielen ein, mit denen die kleinen Gäste die vielsagenden Wundertüten gewinnen konnten, die auf einem kleinen Tisch auslagen und die Neugier der Kinder anregten. „Was da wohl drin ist?“, fragte die kleine stupsnasige Tochter des Bürgermeisters, braunhaarig mit zwei dicken Zöpfen, mit rosa Schleifen zusammengebunden. Ilse zuckte, scheinbar nichtsahnend mit den Schultern, vielsagend und sich windend verdrehte sie die Augen. Natürlich würde sie nichts verraten.

      Die Kuchentabletts hatten sich geleert. Fröhlich hatten die Kinder zugegriffen. Sie hatten rote Saft- und braune Kaffeebärte, Zucker und Kuchenkrümel hingen auf ihrer Kleidung, an Lippen und Wangen. Die Mütter hatten aufgehört, ihre Kinder mit Taschentüchern und Spucke zu bearbeiten.

      Die Sahneschalen enthielten noch Überbleibsel. Die Geschwister hofften, niemand, außer ihnen, möge die Reste in den Schüsseln bemerkt haben und freuten sich auf das Ausschlecken später, unbeobachtet, natürlich mit den Fingern oder direkt mit der Zunge, soweit der Kopf in die Schale passte. Ilse rechnete sich gute Chancen aus.

      Alle Kinder freuten sich auf