bügeln, kein Wasser tragen, nicht im Garten jäten, keine Kunden bedienen. Sie sagte das wie abbittend. Sie wolle einmal so tun, als hätte ich nichts zu tun. Einen halben Tag frei und für sich. Das Leuchten war unvermittelt aus Gustavs Gesicht gewichen. Wie konnte ihm entgehen, dass Hermine so dringend eine Verschnaufpause brauchte!
Bei aller Arbeit muss ich die Familie im Blick behalten, ging er mit sich ins Gericht. Unversehens sah er reumütig aus, und schalt sich einen dickfelligen alten Esel. „Unbedingt nimmst du einen halben oder ganzen freien Tag“, äußerte er bereitwillig und bestrebt, seine Gedankenlosigkeit wieder gutzumachen. Eigensüchtig kam sich Hermine vor, spürte aber, eine Ruhepause, wenn auch nur eine bescheidene, wäre für sie nach den Monaten unentwegten Schaffens und dem Eingewöhnen in das neue Leben wohltuend und ein willkommenes Geschenk.
Hermine hatte am Vortag eine große Schüssel Kartoffelsalat für die Familie zubereitet und gab sich einen Ruck, ihre üblichen Pflichten links liegenzulassen wie eine wohlhabende Lady mit Personal. Keine Gewissensbisse, hatte sie sich vorgenommen, ahnte jedoch, das würde nicht leicht sein. Tief schöpfte sie Atem, straffte sich, hob den Kopf und befeuerte sich ein letztes Mal mit den poetischen Worten: ‚Hermine zieht nun von dannen und sieht den vor ihr liegenden Mußestunden erwartungsfroh entgegen.‘ Ihr Gesicht belebte sich und ein belustigtes Schmunzeln spielte um ihre feinen, vollen Lippen.
Während sie sich angekleidet hatte, lag Ronja nahe bei ihr, hechelnd, und ließ sie nicht aus den Augen. Bei der völlig überflüssigen Frage, auf die Ronja aber gewartet hatte: „Will der Hund mitkommen?“, war die Hündin aufgesprungen, gab kleine Freudenjuchzer von sich, tänzelte mit den Vorderpfoten und trat Hermine auf die Schuhe.
Ronjas Leine hängte Hermine über ihre Schulter. Beim Öffnen der Haustür sprang die Hündin wenige Meter voraus, wieder zurück, schnellte an Hermine empor, federte mit den Vorderpfoten zurück und kobolzte voraus. So sieht Lebensfreude aus, dachte Hermine.
Entlang dem Feldweg hinter ihrem Anwesen schlenderte sie Richtung See. Schon am Morgen schien die Sonne wohltuend sommerlich und Hermine genoss die belebende Wärme, die sie durch die Kleidung spürte. Margueriten, gelber Horn-Klee und goldener Hahnenfuß blühten üppig am Wegesrand. Eine Hummel in einer Hahnenfußblüte, die Beine dick bepackt mit Pollen wie pummelige Pluderhosen, brummte zufrieden und unermüdlich. Die Butterblumen rochen eher herb, auch die Margueriten verströmten keine Wohlgerüche, aber Hermine hatte das Gefühl, den süßen Pollen auf ihren Lippen zu schmecken, während sie der Hummel bei ihrem Tun zusah.
Am langen Stängel eines blühenden Grases wagte eine halbwüchsige kleine Maus, in Zeitlupe hochzuhangeln. Als haariges Oval unter dem Grashalm schwebend, behutsam und zögernd in Richtung Blütenständer vorrückend, bog sich der Halm, einem gespannten Bogen gleich, mehr und mehr und drohte einzuknicken. Hermine konnte nicht weiter verfolgen, ob die kleine fingerfertige Maus mit Geschick endlich an ihr Ziel gelangte; Ronja forderte ihre Aufmerksamkeit. Da sich Hermine sorgte, ihr Hund könne dem kleinen Tier, willkommen als weiches, wieseliges Spielzeug, in ihrem Übermut Schaden zufügen, trennte sie sich von der wunderlichen Mausedarbietung.
Ronja hopste mit einem Stöckchen, eher einem kleinen Baumstamm gleichend, vor Hermine hin und her; bei Hermines Versuch, den Stock zu fassen, erwies sich Ronja als kraftvoller und hielt ihn fest, kämpferisch knurrend, und ließ ihn erst los, als Hermine ihn vollkommen ignorierte. Sie bugsierte ihren Baumstamm vor Hermines Füße, die Nase wachend dicht darüber und erneut dumpf grollend, als Hermine ihn anzutasten versuchte. Diesmal durfte sie ihn erbeuten und weit hinausschleudern. Ronja preschte, wie ein Schaukelpferd mit beiden Vorder- und Hinterbeinen gleichzeitig auf und ab schnellend, hinter ihrem baumlangen Spielzeug her.
Wie großartig sich Ronja entwickelt hat, dachte Hermine. Auf den Hinterbeinen stehend, um Herrin oder Herrn zu begrüßen, war sie einen Kopf größer als beide.
Paul und Ronja waren, wie von den Eltern im Stillen erhofft, innige Freunde geworden. Morgens vor der Schule trabte er im Dauerlauf, Ronja an seiner Seite, zum See und wieder zurück. Geduldig übte Paul mit Ronja in der Nähe des Sees, ‚bei Fuß‘ zu gehen.
Graureiher standen Tag für Tag im flachen Wasser des Ufers, Frösche und kleine Fische im Blick. Ronja geriet anfänglich beim Anblick der auf einem Bein stehenden silbergrauen Spukgestalten unabwendbar außer sich, hetzte los und schnurstracks hinter den Vögeln her. Ihre Stimme überschlug sich vor Jagdeifer, wenn diese ihre weiten Schwingen ausbreiteten und dicht über ihr davonrauschten. Wenn auch widerstrebend, hatte sie nach und nach gelernt, angeleint zu gehen. Der Lehrsatz lautete: ‚Ein braver Hund, in Sichtweite der silbergrauen, großen Vögel, entwischt, blafft und jault nicht.‘ Dennoch focht Ronja jedes Mal erneut einen Kampf gegen ihre Jäger-Natur. Ihr Schnaufen steigerte und beschleunigte sich, mit dem Halsband schnürte sie ihre Kehle, japste und würgte, und ihr vibrierender Körper schien vor Jagdfieber zu dampfen. Dann war die Klippe genommen. Ronja beruhigte sich, durfte ohne Leine laufen und wand sich wieder Stöckchen und den Wohlgerüchen am Boden zu.
Während Hermine zwischen blühenden Feldblumen beim Gesang einer hoch in der Luft ihr ‚Trülüt‘ jubilierenden Lerche ihres Weges ging, Ronja in faszinierende Düfte am Boden vertieft, zogen Hermine Bilder ihres gegenwärtigen Lebens an ihrem inneren Auge vorüber.
Durch den Kredit verfügten sie über Bargeld. Dennoch dünkte sie die Zeit endlos bis zum ersten, größeren Auftrag, der Belieferung eines Krankenhaus-Erweiterungsbaus in Allenstein mit dem Großteil der benötigten Materialien. Abend für Abend hatte Gustav bis dahin die Zeitungen nach Angeboten durchforscht und kalkulierte seine Offerten so günstig und wirtschaftlich, wie gerade noch vertretbar. Gemeinsam hatten sie gehofft, gebangt und die Enttäuschung getragen, wenn erneut ein Auftrag an ihnen vorbei an einen alteingesessenen oder vermeintlich kostengünstigeren Bewerber ging. ‚Da braucht’s halt Geduld‘, hatte Gustav wiederholt mit zunehmend besorgt klingender Stimme geäußert, wenn neuerlich eine Absage oder ausbleibende Reaktion zu verkraften waren.
Gustav reagierte auch auf kleinere Ausschreibungen, Kacheln privater Bäder oder Küchen, eines kleinen Operationssaales oder das Belegen einer Garten-Terrasse mit Marmorbruch.
‚Wählerisch können wir nicht sein. Wenig ist mehr als nichts.‘ Gustav hatte weniger Angst als sie selbst, ihren Kredit könnten sie nicht oder nicht schnell genug zurückzahlen, der in Hermines Kopf zu wachsen schien, je kleiner die Raten waren, die sie bisher leisten konnten und je mehr Zeit ins Land ging. Hermine spürte seine Sorge, wenn er nachts neben ihr mit offenen Augen schlaflos wie sie selbst im Bett lag. Er sprach nicht darüber, und sie behielt für sich, dass sie mitbekam, wie oft er wach neben ihr grübelte. Es rührte sie, dass allzu oft er sie tröstete, obgleich er den Löwenanteil der Verantwortung zu tragen hatte. Für sie blieb, jede Mark vor dem Ausgeben zweimal umzudrehen.
Die Kinder waren in einem Alter, in dem Ärmel und Hosenbeine zu schrumpfen schienen. Hermine nähte, was sie nähen konnte. Sie hatte es nicht gelernt, fand aber entspannend, nach Haus- und Gartenarbeit oder Aushilfe im Laden an der Nähmaschine einen neuen Schlafanzug zu nähen, Ärmelsäume auszulassen, mit anderem Stoffrest zu unterlegen, Hemdkragen mit dem unteren Ende des Rückenteils zu erneuern oder Hosenböden von Arbeitshosen ‚ihrer Männer‘ zu flicken.
Da ihr Betrieb Einzelhandel umfasste, musste stets einer in der Familie erreichbar sein. Gleich hinter der Eingangstür im Inneren des Hauses hatte Gustav sein kleines Büro. Die Schelle war im Garten zu hören. An den Vormittagen war Hermine diejenige, die erreichbar sein musste, wenn Gustav bei Kunden zu tun hatte.
Waren die Kinder aus der Schule zurück, kamen Arthur oder Paul an die Reihe. Bei Lieferungen für das Lager oder Auslieferungen vom Lager musste sie ebenfalls mit anpacken. Beide Jungen lernte Gustav im Büro an. Arthur war inzwischen sechzehn und sollte nach der Schulzeit im Herbst in der Lage sein, Rechnungen und Lieferscheine zu schreiben, Rechnungen zu bezahlen und die Buchführung zu erledigen. Das würde eine große Entlastung für den Vater sein. Solange wie möglich wollten sie ohne festangestellte Zusatzkraft bleiben. Von Fall zu Fall engagierte Gustav einen Fliesenleger, Dachdecker oder ungelernten Bauarbeiter.
Hermine hatte einen hellen, langen Sommerrock angezogen, dazu eine geblümte Bluse aus weichem Baumwoll-Batist, kurze Stiefel mit kleinen Absätzen, und einen breiten