humorvollen, immer aber höchst unterhaltsamen Büchern, dass dir noch so manches schriftstellerische Glanzstück gelingen möge.
Norbert Jaron
Vorwort
Die Anregung zu diesem Buch stammt von meinem verehrten Verleger Dr. Norbert Jaron. Ich hätte mich aber nicht an die Arbeit gemacht, wenn ich nicht zeitgleich in dem Buch Je älter desto besser von Ernst Pöppel und Beatrice Wagner auf eine Abhandlung über das episodische Gedächtnis gestoßen wäre, in der es unter anderem heißt: Das episodische Gedächtnis ist eine der drei Wissensformen, aus denen sich das Langzeitgedächtnis zusammensetzt. Hier werden ausschließlich Bilder und Episoden aus der eigenen Biografie gespeichert, die einen emotionalen Stellenwert für uns haben. Ich möchte auf den folgenden Seiten die Orte beschreiben, zu denen es mich immer wieder hinzieht und an denen ich »faustische Augenblicke« erlebe: Verweile doch! du bist so schön!
Passend für ein Vorwort ist auch ein Zitat von Otto von Bismarck aus dem Jahre 1847: Wie schön ist es, eine Heimat zu haben und eine Heimat, mit der man durch Geburt, Erinnerungen und Liebe verwachsen ist. Ich sehe Berlin als meine Heimat an und nehme noch Brandenburg und die Terra Transoderana dazu, aber auch Teile von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Alle haben sie mit mir das getan, was Heimaten mit einem Menschen machen: Sie sozialisieren ihn, prägen seinen Charakter, seine Mentalität und seine Einstellungen, kurzum, sie schaffen seine Ich-Identität und sorgen für seine Abgrenzung gegenüber dem, was ihm nicht Heimat ist, also der Fremde.
Für mich hat es vor allem zwei Anlässe gegeben, durch meine Heimat zu wandern: die Einladungen zu Lesungen und die allmonatliche Gruppenwanderung mit Freunden und Verwandten. Durch Brandenburg bin ich bereits als Kind unzählige Male gestreift – in Gedanken. Auch als West-Berliner zur DDR-Zeit habe ich wieder und wieder in einem Heft geblättert, das schon meinen Vater geleitet hatte: in dem von ihm für zwei Mark gekauften Kartenbuch für Fahrt und Wanderung – 1000 Wege um Berlin, herausgegeben von der Berliner Morgenpost. Es ist undatiert, muss aber zwischen 1930 und 1940 erschienen sein.
Mit den Gosener Bergen will ich anfangen, weil es heißt, dass ich dort gezeugt worden bin, und mit dem Frohnauer Friedhof schließen, weil ich dort einmal begraben sein werde.
Es muss aber vor Beginn des ersten Streifzugs noch gesagt werden, dass ich dieses Buch nicht für mich schreibe, sondern für möglichst viele meiner lieben Mitmenschen, die lohnende Ziele für ihre Ausflüge in das weitere Berliner Umland suchen oder interessante Kieze in der Stadt selbst, die ihnen noch unvertraut sind.
Die Gosener Berge
Ich habe in »meinem« Gosen nie gelebt, aber es geht die Sage, dass ich auf den Höhen der Gosener Berge gezeugt worden bin. Es muss im Mai 1937 gewesen sein. Zu Hause hatten es meine Eltern schwer, sich ungestört zu lieben, denn in ihrer Familien-WG am Neuköllner Weichselplatz lebten sie mit den Eltern meiner Mutter, meinem Urgroßvater sowie der Schwester meiner Mutter nebst deren Mann zusammen. Nur in ihrem Faltboot waren sie allein. Allerdings, ich hatte selbst solch ein Boot und wage die These, dass sich mitten auf einem Gewässer nur erfahrene Akrobaten erfolgreich paaren können. Also werden meine Eltern, Hildegard und Otto, von Schmöckwitz her über den Seddinsee kommend, wohl auf Gosener Territorium angelegt und sich in einer schützenden Sandkuhle unter märkischen Tannen ans Werk gemacht haben.
Gosen, heute Gosen-Neu Zittau, liegt im Bundesland Brandenburg, das am nordöstlichen Ufer des Seddinsees so richtig imperialistisch dem großen Berlin ein Stück Land abgenommen hat. Gegründet worden sein soll es im Jahre 1752 von Friedrich dem Großen als »Spinnerdorf«. Nicht etwa, dass der Preußenkönig die damalige Kreativszene Berlins hierher umsiedeln wollte – nein, es sollten hier Maulbeerbäume angepflanzt und ihre Wolle versponnen werden. Die Gosener Berge nun, bis zu achtzig Meter hoch, gehören zum Teil noch zu Berlin. Dies gilt auch für das Areal, auf dem in den Jahren 1905/06 das Ausflugslokal »Schillerwarte« mit einem Aussichtsturm errichtet worden ist. Diese Schillerwarte war für mich, als wir über den Seddinsee schipperten und ich als Kleinkind vorn im Faltboot meiner Eltern saß, etwas so Großartiges, dass ich sie heute noch deutlich vor Augen habe, wenn ich in Friedrich Schillers Die Kraniche des Ibykus lese: Schon winkt auf hohem Bergesrücken / Akrokorinth des Wandrers Blicken … Leider ist die Schillerwarte in den 1970er-Jahren verfallen und abgetragen worden, und Akrogosen ist heute nur noch eine chaotische Wildnis. Aber gleich nach der deutschen Wiedervereinigung haben sich meine Wanderfreunde und ich, nachdem wir mehrere verrostete Zäune überwunden hatten, noch unter der berühmten Wurzelkiefer gegenseitig fotografiert.
Der Blick ringsum ist, sofern man eine Sichtschneise gefunden hat, noch immer faszinierend, und es kommt einem das Heimatlied des Neu Zittauer Hauptlehrers Gause in den Sinn:
Stehst du am Rande jener Hügel,
da wo die Heide weit sich dehnt,
hättest dem Schauen weite Flügel
für diesen Anblick schnell entlehnt.
Vorn ducken sich die Häuser nieder,
dort hinten schlängelt sich der Fluss.
Wald, Wiese, Hügel grüßen wieder
– ein prächtig Bild, das ewig bleiben muss.
Gosen klingt nach Bibel. Der Pharao bot Joseph an, sich mit seinem Vater und seinen Brüdern in diesem besten Teil des Landes anzusiedeln: … du sollst im Lande Gosen wohnen und nahe bei mir sein … (2. Buch Mose, 45,10). Manche allerdings nehmen an, dass Gosen im Osten des alten Nildeltas lag.
Vielleicht hat diese Verbindung zwischen Brandenburg und Ägypten Ernst Lubitsch im Jahre 1922 bewogen, bei den Dreharbeiten für seinen Film Das Weib des Pharao in die Gosener Berge zu gehen und hier die Schlachtszenen zwischen den Ägyptern und den Nubiern spielen zu lassen (so jedenfalls der Tagesspiegel vom 25. Januar 2017, für den allerdings die Äthiopier die Gegner des Pharao sind).
Die Gosener Berge sind auch ein Stück deutscher, genauer ein Stück DDR-Geschichte: In ihren Tiefen verbargen sich die Bunkeranlagen der zentralen Diensteinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit, und am Rande Gosens erstreckten sich die Gebäude der MfS-Hochschule zur Ausbildung von Auslandsagenten.
Einige Hundert Meter von der Stelle entfernt, auf der einst die Schillerwarte stand, gab es ein Hotel- und Kongresszentrum, in dessen großem Saal ich am 21. Juni 1991, organisiert von der Humboldt-Universität, am frühen Vormittag einen organisationssoziologischen Vortrag halten sollte. Anzureisen war schon einen Tag vorher, also am Donnerstag, dem 20. Juni 1991. An ebendiesem Tage wurde im Bonner Bundestag bis in den späten Abend darüber diskutiert, ob man nun nach erfolgter Wiedervereinigung den Parlaments- und Regierungssitz nach Berlin verlegen solle oder nicht. Die Debatte dauerte zehn Stunden und wurde in die Lobby des Hotels übertragen. Für mich als geborenen und bekennenden Berliner war das spannender als jedes Fußball-WM-Endspiel mit deutscher Beteiligung. Endlich nahm der Bundestag den Antrag zur »Vollendung der Einheit Deutschlands« mit 338 zu 320 Stimmen an. Hurra! Wolfgang Schäubles Rede hat wohl den Ausschlag für Berlin gegeben, und ihn liebe ich, obwohl seit 51 Jahren SPD-Genosse, noch heute dafür.
Nach Gosen, so sehe ich gerade auf meiner Karte, kann man mit dem Bus der Linie 369 von Müggelheim aus anreisen, aber auch von Erkner aus mit dem 424er-Bus, der bis zur Haltestelle Schillerhöhe fährt. Den habe ich wohl genommen, als ich vor etwa zwanzig Jahren zu einer Lesung in der Heimatstube Gosen, einem kleinen Museum, angereist bin.
Wer als Kenner der Gegend den Namen Gosen hört, denkt sofort an den Gosener Graben und den Gosener Kanal. Beide verbinden den Seddin- mit dem Dämeritzsee, aber der eine ist Natur pur, der andere eine schnurgerade künstliche Schifffahrtsstraße.
Wenn