Christine Woydt

SPIRITUELLE HERAUSFORDERUNGEN MEISTERN


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      Während des Krieges in Russland lebte mein Vater mit seiner Kompanie in einem Haus zusammen mit russischen Soldaten. Die Deutschen bewohnten das Erdgeschoss, die Russen das Obergeschoss. Es bestand eine unausgesprochene Übereinkunft, dass man sich ruhig verhielt und das Ende des Krieges abwartete. Mit den feindlichen russischen Soldaten teilten sie sich die Lebensmittel im Haus, zum Beispiel die geräucherten Würste, die im Kamin hingen. Eines Tages tauchte im Garten eine Tasche auf. Sein Vorgesetzter befahl meinem Vater, die Tasche zu holen. Mein Vater weigerte sich, weil er eine Falle befürchtete. Er hatte Glück, dass sein Vorgesetzter die Sache auf sich beruhen ließ. Einige Tage später pirschte ein anderer Soldat an die Tasche heran und wurde erschossen.

      Schließlich geriet mein Vater in russische Gefangenschaft und wurde erneut auf wundersame Weise gerettet. Mehrere russische Offiziere und Ärzte suchten nach SS-Angehörigen unter den Gefangenen. Alle mussten sich in Reihen aufstellen und ihre Arme heben, weil bei den Mitgliedern der Waffen-SS in der Achsel die Blutgruppe eintätowiert worden war. Mehrere Personen übersahen die Tätowierung bei meinem Vater. Er musste zusehen, wie seine Mitgefangenen, die die Blutgruppe in der Achsel trugen, auf der Stelle erschossen wurden, während er wieder unverhofft überlebte. Bei Kriegsende war mein Vater achtzehn Jahre alt und entschloss sich, Pfarrer zu werden. Sicher hat auch das in seiner Generation weit verbreitete Schuldgefühl der Überlebenden zu seiner Berufswahl beigetragen. Er arbeitete die längste Zeit seines Berufslebens als Gefängnispfarrer.

      Mein Vater hat das, was seine Kriegserfahrungen von Angst, Schuld und spektakulärer Rettung auslösten, Bekehrung genannt. Für mich gibt es viele Parallelen zum Aufwachen, wie ich es verstehe. Nahtoderfahrungen und existenzielle Bedrohungen initiieren oft das innere Erwachen. Dann begegnet man dem Göttlichen, in welcher Gestalt auch immer es sich zeigt. Die Erzählungen meines Vaters haben auch mein Bewusstsein dafür geprägt, dass im Leben eine höhere Macht wirkt.

      Eine Nahtoderfahrung ist oft der Grund, dass überhaupt ein spiritueller Weg eingeschlagen wird. Dabei muss es sich nicht immer um äußerst dramatische Ereignisse wie eine Überdosis Drogen oder einen lebensbedrohlichen Unfall handeln. Wenn Menschen einen Terroranschlag oder Amoklauf aus nächster Nähe erleben, kann das ihre Perspektive auf das Leben verändern. Eine Krebsdiagnose kann auf die Persönlichkeit eine stark transformierende Wirkung haben, selbst wenn der Betroffene schnell wieder geheilt entlassen wird. Auch die Pflege sterbender Angehöriger erweitert den Horizont.

       ~Dreamwalk

      Als ich die »Foundation for Shamanic Studies« kennengelernte, habe ich sofort den Wochenendkurs »Tod und Sterben aus schamanischer Sicht« belegt.40 In dem Kurs haben wir auf angeleiteten inneren Reisen den Weg erkundet, den die Seele nach dem Tod geht. Bei den nordamerikanischen Ureinwohnern wird diese Praxis »Dreamwalk« genannt.

      Für mich gestaltete sich der Workshop als die Imagination oder sogar das Erleben einer Nahtoderfahrung. Dadurch hat sich meine Angst vor dem Tod vollkommen aufgelöst.41 In dem Seminar fand ich mich in einem lichtvollen Raum eingehüllt von göttlicher Liebe wieder, den ich nicht mehr verlassen wollte. Ich fühlte mich dort so wohl, dass ich nicht wieder auf die Erde zurückgehen wollte. Meine Urgroßmutter, die ich nur von Fotografien kannte, tauchte dann plötzlich auf und befahl mir, in den Körper zurückzukehren. Etwas unsanft landete ich wieder im Seminarraum. Nach dem Kurs brauchte ich mehrere Wochen, um mich erneut in meinem Leben zurecht zu finden.

      Später habe ich an einem von Geoffrey Hoppe gechannelten Dreamwalk42 teilgenommen, der mich auch sehr inspiriert hat. Während ich bequem im Sessel saß und mich von den gechannelten Worten führen ließ, konnte ich innerlich denselben Weg der Seele in die Gefilde des Todes gehen, wie ich ihn schon bei meinem ersten Dreamwalk absolviert hatte. Mit dem gechannelten Dreamwalk eröffneten sich mir ganz ähnliche Erfahrungen wie mit den inneren Reisen. Es gab nur einen Unterschied: meine Urgroßmutter erschien nicht mehr.

      Die Entscheidung, ob ich wieder zurückgehen und weiterleben wollte, musste ich jetzt ganz allein treffen. Das hatte den Vorteil, dass ich die absolute Freiheit spüren konnte, ob ich leben oder sterben will. Dadurch weiß ich jetzt, dass die Erde kein Straflager ist, in dem wir gefangen sind.

      Es gehört zu den typischen Elementen der Nahtoderfahrung, dass man einer Grenze begegnet, die man nicht überschreiten sollte und hinter der es kein Zurück mehr gibt.43 Als ich während eines Dreamwalks an der Grenze stand, von der ich nicht mehr in den Körper hätte zurückkehren können und an der ich mich für das Leben entscheiden musste, kam mir ein neuer Kinofilm in den Sinn, den ich noch nicht gesehen hatte. Umgehend trat ich den Rückweg an.

       ~Sterbebegleitung

      Meine eigenen gezielten und kontrollierten Nahtoderfahrungen durch den Dreamwalk prädestinierten mich dafür, Sterbebegleitung zu machen. In Deutschland ist die Sterbebegleitung in der festen Hand der Kirchen. Wenn Menschen sich der Kirche nicht zugehörig fühlen, haben sie es schwer, jemanden zu finden, der in der Todesstunde eine helfende Hand reichen kann. Ab und zu wurde ich von Bekannten und besonders auch von Menschen, die nur sehr wenig Bezug zur Kirche oder aus verschiedenen Gründen mit ihr gebrochen hatten, an das Sterbebett ihrer Angehörigen gerufen. In diesen Situationen ist mir aufgefallen, dass allein meine Anwesenheit dazu beigetragen hat, dass das Sterben erleichtert wurde. Ich wurde hinzugezogen, wenn die Angehörigen den Eindruck hatten, dass der Sterbende schwer loslassen kann. Meine fehlende Angst vor dem Tod konnte sich dann auf den Sterbenden übertragen.

      Helene rief mich in meiner Praxis an und bat mich darum, ihr ein homöopathisches Akutmittel zu verordnen. Sie war an einer fulminant verlaufenden Form der Multiplen Sklerose erkrankt und konnte ihr Bett nicht mehr verlassen. Sie wurde von Ärzten und einer Psychologin betreut, bat mich aber um ein Mittel, das ihre starken und schmerzhaften Krämpfe lindern könnte. Ich besuchte sie in ihrer Wohnung und empfahl ihr das Mittel Magnesium phosphoricum, das tatsächlich eine gute Wirkung zeigte. Als ich an ihrem Bett saß, merkte ich aber, dass es eigentlich um etwas ganz anderes ging. Sie sagte mir, dass sie sich sicher sei, dass sie bald sterben werde. Auch in diesem Fall konnte ich einfach dadurch helfen, dass ich ihre Wahrheit akzeptierte und Furchtlosigkeit vor dem Tod ausstrahlte. Im Gespräch zeigte sich, dass es in ihrem Umfeld keine andere Person gab, mit der sie darüber sprechen konnte. Alle anderen Menschen, die sie behandelten, pflegten und liebten, versuchten es ihr sofort auszureden, wenn sie von ihrem nahenden Ende sprach.

      Sie konnten es nicht akzeptieren, dass diese junge, kluge Frau so plötzlich sterben sollte, während sie gerade dabei war, zu einer herausragenden akademischen Karriere durchzustarten. Mich hat ihr Schicksal sehr berührt und ich spürte, dass ich ihr am besten helfen konnte, indem ich ihr Raum gab, über ihre Angst und Trauer im Angesicht des Todes zu sprechen. Als ich wenige Tage später anrief, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, erfuhr ich, dass sie gestorben war.

       ~Frühere Leben

      Ich hatte nicht das Glück, einem lebenden erleuchteten Meister zu begegnen. In Saint Germain habe ich aber einen engagierten und mitfühlenden geistigen Lehrer gefunden, der mich und einige sporadisch oder regelmäßig anwesende Teilnehmer in der »Diamantschule«, wie er es genannt hat, unterrichtete. Die uns in der Diamantschule vermittelten Inhalte haben wir mit der Zeit so verinnerlicht, dass sie uns in Fleisch und Blut übergegangen sind. Wir haben sie verkörpert.

      Ein Thema, das immer wieder aufgetaucht ist, war die Begegnung mit dem Tod. Saint Germain präsentierte uns regelmäßig tiefgreifende Informationen über Leben und Tod und Inkarnation und Exkarnation der Seelen auf der Erde.44

      Ich weiß seitdem mit absoluter Gewissheit, dass der Blick hinter den Horizont des irdischen Lebens für jeden erwachten Menschen im Aufstiegsprozess von großer Bedeutung ist.

      In der Diamantschule wurde von Saint Germain in aller Klarheit davon gesprochen, dass wir nicht nur in einem, sondern in mehreren Leben inkarnieren. Dieselbe