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Aleister Crowley & die westliche Esoterik


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Königreich vor der Zweiten Ankunft Christi sah.

      Darby predigte eine prätribulationale Wiederkunft Christi, nach welcher Christus unmittelbar vor der weltweiten Trübsal wiederkehren und die Gläubigen in den Himmel „entrücken“ würde. Der Theologe Jan S. Markham erklärt, dass Darby glaubte, die Bibel habe festgelegt, dass die Zweite Ankunft Christi in zwei unterschiedliche Phasen gegliedert sein wird. Die erste ist die „Entrückung“, wenn die in Christus Wiedergeborenen in den Himmel aufsteigen und ihm dort begegnen, und die zweite ist die „Sichtbare Wiederkunft“, die die Tausendjährige Herrschaft auf Erden einleiten wird. Darby lehrte, dass zwischen diesen beiden Stufen eine siebenjährige Zeit der Trübsal liege, in welcher der Antichrist hervortreten werde.35

      Auch wenn Crowley in seinen Jugendjahren gegen die religiösen Ansichten seiner Eltern rebellierte – und diese Revolte Zeit seines Lebens fortsetzte –, fällt es auf, dass sich zwei charakteristische Merkmale der religiösen Weltanschauung der Plymouth Brethren im Glaubenssystem von Thelema widerspiegeln: die Wichtigkeit des Studiums der Heiligen Schrift und der Dispensationalismus. In Crowleys neuer Religion wurde die Heilige Schrift der Bibel durch The Holy Books of Thelema [Die Heiligen Bücher von Thelema] ersetzt, von denen das wichtigste The Book of the Law war. Die neue Dispensation war nicht die bevorstehende Zeit vor der Wiederkunft Christi, sondern eher der Äon des Horus, der formell zur Frühlingstagundnachtgleiche 1904 eingeleitet wurde.

      Es scheint wahrscheinlich, dass Crowleys Feindseligkeit gegenüber dem Christentum zum Teil eine Reaktion auf die Traumata seiner Erziehung im kultischen Umfeld des Exklusiven Zweiges der Plymouth Brethren war. Seiner Autobiographie nach war Crowley bis zum Alter von elf Jahren, als sein Vater starb und seine Mutter sich in ihrer Trauer der Religion noch stärker zuwandte, relativ glücklich. Zu diesem Schlüsselmoment in seinem Leben schreibt er:

      Ich akzeptierte die Theologie der Plymouth Brethren. In der Tat konnte ich mir kaum vorstellen, dass es Leute gab, die sie bezweifeln könnten. Ich bin einfach zu Satans Seite übergelaufen; und bis zur Stunde kann ich nicht sagen warum.36

      Crowleys Einstellung dem Christentum gegenüber ist in Wirklichkeit viel komplexer, als man von jemandem, der sich selbst mit dem Tier der Offenbarung identifiziert, erwarten mag. Wie auch H. P. Blavatsky und andere Okkultisten jener Zeit scheint er einen grundsätzlichen Respekt für Christus als Individuum, das Erleuchtung erreicht hat, bewahrt zu haben, obwohl er der historischen Beschreibung der Person Christus in den Evangelien gegenüber skeptisch blieb. Er verachtete auch das Christentum und seine Morallehren; insbesondere den protestantischen und reformierten Kirchen stand er feindselig gegenüber. Obwohl Crowley bereits in seiner Autobiographie auf seine Kindheitserfahrungen mit den Plymouth Brethren und den verschiedenen Brüderschulen, auf die er geschickt wurde, einging, bewahrte er sich die radikalste, sein Ich schonungslos enthüllende Darstellung dieses schmerzhaften Abschnittes seines Lebens, den er „eine Kindheit in der Hölle“ nannte, für die Einleitung zu seinem epischen Gedicht The World’s Tragedy (1910) auf:

      Darum halte ich den legendären Jesus in keiner Weise für verantwortlich für die Schwierigkeiten: sie begannen wohl mit Luther und setzten sich mit Wesley fort; doch ganz gleich! – worauf ich hinaus will, ist die Religion, die England heute zur Hölle für jedermann macht, dem überhaupt an Freiheit gelegen ist. Diese Religion nennen sie Christentum; den Teufel, den sie verehren, nennen sie Gott. Ich akzeptiere diese Definitionen, wie ein Dichter es tun muss, wenn er von seinen Zeitgenossen verstanden werden will, und es ist ihr Gott und ihre Religion, die ich hasse und die ich zerstören werde.37

       Abschließende Bemerkungen

      Zeit seines Lebens griff Crowley die gewaltsamen Passagen von The Book of the Law immer wieder neu auf, und zunehmend betrachtete er sie als Prophezeiungen der Weltgeschehnisse, die sich um ihn herum offenbarten. Dies wurde gegen Ende seines Lebens mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges besonders deutlich, der, wie Crowley behauptete, eine direkte Folge der Veröffentlichung von The Book of the Law im Jahre 1937 war. Also revidierte er 1945, nach Entfesselung der Atombombe, seine Meinung über die „Kriegsmaschine“ in The Book of the Law und änderte den „Panzer“ zur „Atombombe“ um.38 Nach Crowleys Tod 1947 interpretierten Thelemiten wie Karl J. Germer (1885 - 1962) und Marcelo R. Motta (1931 - 1987) bestimmte apokalyptische Passagen von The Book of the Law im Angesicht des Kalten Krieges neu und erwarteten einen drohenden Dritten Weltkrieg, in dem ein großer Teil der Menschheit von Nuklearwaffen vernichtet werden würde.39 In den 1950er Jahren arbeitete Germer, der nach Crowley den Ordo Templi Orientis (O.T.O.) übernommen hatte, mit dem ehemaligen Crowley-Schüler Gerald Yorke zusammen, der alle Werke Crowleys gesammelt hatte, um maschinenschriftliche Kopien sämtlicher erhaltenen Briefe, Tagebücher und Manuskripte anzufertigen. Ein Satz von Kopien sollte in London aufbewahrt werden, einer in den Vereinigten Staaten und ein weiterer in Australien, mit dem Ziel, dass im Falle globaler Kriege oder Katastrophen mindestens eine relativ vollständig erhaltene Sammlung der Schriften des Tieres überlebt.40

      Kenneth Grant (1924 - 2011), der für eine kurze Zeit gegen Ende von Crowleys Leben dessen Privatsekretär gewesen war, hatte in den späten 1940ern und Anfang der 1950er Jahre teil an diesem Projekt, indem er Material für Yorke und Germer abschrieb. Ende der 1960er begann Grant, in Zusammenarbeit mit Crowleys Nachlaßverwalter John Symonds, eine Anzahl signifikanter Werke des Tieres zu veröffentlichen. Es sollte danach nicht lange dauern, bis Grant seine eigene Version des O.T.O. gründete (der später als Typhonischer O.T.O. bezeichnet wurde und heute Typhonischer Orden heißt) und die ersten Bände seiner einflussreichen „Typhonischen Trilogien“ veröffentlichte. Grants Werke sind fest in der thelemischen Tradition verwurzelt, auch wenn Traditionalisten innerhalb der Bewegung sie als unorthodox und eigensinnig empfinden. Grant erörtert The Book of the Law in verschiedenen seiner Werke ausführlich, und es ist offensichtlich, dass er Crowleys Glauben, dass der Übergang von Alten zum Neuen Äon von gewaltsamen Umbrüchen markiert sei, teilte. Seine Perspektive war möglicherweise stärker apokalyptisch als Crowleys, denn er sagte eine bevorstehende globale Katastrophe voraus. In seinem Buch Outside the Circles of Time (1980) behauptet Grant:

      Die Bedeutung von Crowleys Werk … tritt nun erst in Erscheinung, da die Werte der alten Welt, des alten Äons, wegbrechen oder einem radikalen Wandel unterzogen werden. Des Weiteren ist die ganze Masse der Menschheit – nicht nur eine Handvoll Nationen, seien sie auch groß und machtvoll – jetzt von Zerstörung bedroht, wie einst zuvor in den Tagen von Atlantis, als sie fast völlig vernichtet wurde. Da sind jene, die glauben, dass es bereits zu spät ist, eine Wiederholung dieser Katastrophe abzuwenden, obwohl erwogen wird, dass es bestimmten Mitgliedern des Menschengeschlechts möglich sei, das Inferno und seine Auswirkungen zu überleben.41

      Auch Grants Auffassung von den Mechanismen der Zeit unterschied sich von der Crowleys, denn wo Crowley die Geschichte relativ linear in Zeitalter unterteilt sah, nahm Grant ein zyklisches Konzept an, das er möglicherweise dem Hinduismus entlehnt hat.42 Indem er die geschichtlichen Ereignisse aus dieser Perspektive betrachtete, ging Grant davon aus, dass die Menschheit den Endphasen des Kali Yuga oder Schwarzen Zeitalters entgegensehe und dass die Gewalt um uns und die drohende Katastrophe die Geburtswehen des Neuen Äons seien, das auch Satya oder Goldenes Zeitalter genannt wird. In einem kurzen Text mit dem Titel „Looking Forward“ [Vorausschau], den er 2004 zum einhundertsten Jubiläum der Rezeption von The Book of the Law verfasste, scheint Grant die zeitgenössischen apokalyptischen Spekulationen über den Maya-Kalender und das „Ende der Zeit“ aufgegriffen zu haben, nach welchen die Zerstörung der Welt gegen Ende 2012 erfolgen sollte.43

      Kenneth Grants Schriften sind ein gutes Beispiel dafür, wie die millenaristischen und dispensationalistischen Themen von The Book of the Law von einigen Thelemiten nach Crowley neu interpretiert wurden. Eine schnelle Suche im Internet belegt eine Vielzahl anderer gegenwärtiger Interpretationen, angefangen von rein symbolischen bis hin zu wörtlichen und historischen Deutungen.

      Zusammenfassend kann man Crowleys Verständnis der Geschichte als Abfolge von Äonen oder Dispensationen als eine Widerspiegelung der Lehren John Nelson Darbys und der Plymouth Brethren betrachten, denen Crowley in seiner Kindheit begegnete. Darbys Beschreibung