Группа авторов

Aleister Crowley & die westliche Esoterik


Скачать книгу

wurde, kommt Crowley zu einem Schluss, der bereits der Gleichsetzung von Aiwass mit dem Schutzengel innewohnte und meine Annahme bestätigt:

      Wir werden bereitwillig zustimmen, dass der Augoeides, der sokratische „Genius“ und der „Heilige Schutzengel“ Abramelins des Magiers identisch sind. Doch können wir das „Höhere Selbst“ nicht darin einschließen; denn der Engel ist ein tatsächliches Wesen mit seinem eigenen Universum, genauso, wie es auch ein Mensch ist oder meinetwegen auch eine Schmeißfliege. Er ist keine bloße Abstraktion, keine Auswahl und keine Erhöhung der eigenen Lieblingseigenschaften, so wie es das „Höhere Selbst“ zu sein scheint.95

      Im selben Kontext weist Crowley schließlich jede psychologische Erklärung für die Existenz übermenschlicher Wesen zurück: „Sie sind objektiv, nicht subjektiv.“96 Offensichtlich bemerkte er, dass dieser Gedanke mit dem, was er im Vorwort zum Lemegeton oder im ersten Teil seines Book Four geschrieben hatte, nicht übereinstimmte. In beiden Fällen hatte Crowley eine rationalisierende, psychologische Erklärung für Wesen gegeben, die in magische Praktiken involviert sind. Doch sobald der „Schutzengel“ oder der „Höhere Genius“ zu einer eigenständigen Wesenheit wird, sind die Dinge nicht mehr dieselben. Der Kontakt, den ein Magier möglicherweise zu seinem Schutzengel hat, ist nicht länger zwangsläufig mit spiritueller Selbstverwirklichung verbunden. Jetzt ist diese Verbindung eher eine „der Freundschaft, der Gemeinschaft, der Bruderschaft oder Vaterschaft [sic].“97 Dann finden wir, von der psychologischen Interpretation, die Crowley angenommen zu haben schien, zurück zu einer traditionelleren: der Magier ruft die Geister um ihre Hilfe an, wie jemand bei Bedarf nach einem Arzt oder einem Klempner ruft. Diesbezüglich ist es auch interessant, dass Crowley in Magick without Tears eine explizite, scharfe Trennung zwischen Magie auf der einen Seite und Mystik und Yoga auf der anderen zieht, und dabei seine Präferenz für erstere zum Ausdruck bringt.98 Diese Trennung hätte in seinen früheren Jahren, als er Book Four und Magick in Theory and Practice schrieb, keinen Sinn ergeben.

       Schlussbemerkungen

      Der Einfluss, den Autoren wie James und Maudsley auf einen Okkultisten wie Crowley hatten, kann nur im Zusammenhang mit den allgemein unter Okkultisten des neunzehnten Jahrhunderts verbreiteten Bestrebungen verstanden werden, sich mit der Moderne zu arrangieren. Dieser Einfluss formte nicht nur Crowleys Auffassung von Magie, sondern auch sein Verständnis von Yoga, und ermöglichte ihm eine vergleichende Perspektive auf spirituelle Praktiken, die ihm eine Gleichstellung westlicher Ritualmagie mit östlichem Yoga erlaubte. Der Wunsch, Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen spirituellen Traditionen zu finden, war in der Esoterik sicherlich nicht neu. Was wohl neu war, war die Idee, dazu eher neue psychologische und wissenschaftliche Theorien heranzuziehen als mystische Erkenntnisse oder überliefertes Weistum.

      Crowley war von dem naturalistischen, wissenschaftlichen Gedankengut, das im England des neunzehnten Jahrhunderts weite Verbreitung fand und sich auch in neuen psychologischen Theorien artikulierte, die auf die Religion übertragen wurden, spürbar beeinflusst. Dieses Bestreben, die Magie durch ihre Psychologisierung und Naturalisierung zu modernisieren, stieß jedoch mit der religiösen Offenbarung von Thelema auf ein unerwartetes und unausweichliches Hindernis. Von dem Moment an, da Crowley überzeugt war, dass seine persönliche Mission auf diesem Planeten die Verbreitung der neuen Glaubenswahrheit war, die er gefunden hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Widerspruch zu seinen früheren, naturalisierenden Interpretationen zum Vorschein kam. Genau diese Spannung war es, die Crowley zunehmend dazu brachte, seinen eigenen Schutzengel mit Aiwass zu identifizieren, und damit implizit den rein mystischen Wert des Erlebnisses von sich zu weisen, das im Buch Abramelin beschrieben wird. Aiwass hatte nicht in seinem Geiste zu existieren, sondern in den Reichen einer spirituellen Realität, die mindestens ebenso objektiv war wie die materielle. Darum war die Psychologisierung der Magie und verwandter spiritueller Praktiken, obwohl sie eine in der Esoterik noch nie dagewesene Kühnheit erreichte, nicht vollkommen – und konnte es gar nicht sein.

      Ein Vergleich von Crowleys Ideen mit denen eines seiner interessantesten Schüler, Israel Regardie, ist hier sinnvoll.99 Es ist unmöglich, hier ins Detail zu gehen, doch ein Zitat von Regardie kann uns eine Vorstellung davon geben, wie er die Magie – besonders in Verbindung mit der (analytischen) Psychologie – verstand:

      Analytische Psychologie und Magie umfassen meiner Einschätzung nach zwei Hälften oder Aspekte eines einzigen technischen Systems. Wie auch Körper und Geist keine voneinander getrennten Einheiten sind, sondern einfach die duale Manifestation eines dynamischen inneren „Etwas“, so umfassen Psychologie und Magie gleichermaßen ein einziges System, dessen Ziel die Integration der menschlichen Persönlichkeit ist.100

      Für Regardie scheinen Psychologie und Magie nahezu vollends gleichgestellt zu sein, soweit, dass sie sogar dasselbe Ziel verfolgen („die Integration der menschlichen Persönlichkeit“). Metaphysische Aspekte bezüglich der magischen Praxis scheinen noch weiter aus seinem Blickfeld zu verschwinden als bei Crowley. Während Crowley den Weg der Naturalisierung und Psychologisierung nicht bis zum Ende gehen konnte, weil er den Universalanspruch seiner Religion bewahren musste, gab es diese Begrenzung für Regardie nicht. Weil er kein Interesse daran hatte, eine neue Religion zu erschaffen oder die Crowleys anzunehmen, war er imstande, den Prozess der Psychologisierung der Magie bis zur letzten Konsequenz fortzuführen, indem er insbesondere psychoanalytische Theorien anwandte. Für Regardie nutzten Magie und Psychoanalyse ähnliche Mittel, um gleiche Ziele zu erreichen, und es bestand für ihn keine Notwendigkeit, einen Glauben an übernatürliche Wesenheiten aufrechtzuerhalten, wie Crowley es tat.

       Die Geburt eines neuen Äons

      DISPENSATIONALISMUS UND MILLENARISMUS IN DER THELEMISCHEN TRADITION1

       Henrik Bogdan

      Nach dem britischen Okkultisten Aleister Crowley markierten die Frühlingstagundnachtgleiche von 1904 und der „Empfang“ des Liber AL vel Legis (The Book of the Law [dt.: Das Buch des Gesetzes]) zwei Wochen später eine fundamentale Wende in der Menschheitsgeschichte.2 The Book of the Law, ein gechannelter Text, der aus 220 Versen besteht, die in drei Kapitel unterteilt sind, identifiziert Crowley als „das Tier 666“, den Propheten einer neuen Religion „Thelema“. Das damals gegenwärtige Zeitalter bzw. der Äon des Osiris war gekennzeichnet von der Gestalt eines leidenden und sterbenden Gottes, der, wie das Buch verkündete, von einem kraftvollen neuen Zeitalter, dem Äon des Horus, abgelöst würde, „des gekrönten und erobernden Kindes“.3

      Die Kernlehre dieses neuen Bekenntnisses von Thelema wurde in drei kurzen Sätzen ausgedrückt: „Tu was du willst, sei das ganze Gesetz“,4 „Liebe ist das Gesetz, Liebe aus eigenem Willen“,5 und „jeder Mann und jede Frau ist ein Stern“.6 Ferner warnte The Book of the Law, dass der Wechsel vom Äon des Osiris zum Äon des Horus kein friedlicher sein werde; vielmehr wurde er nahezu biblisch als eine Zeit der Katastrophen und des Zusammenbruchs vergegenwärtigt, begleitet von Krieg, Zerstörung und Chaos.

      In diesem Kapitel geht es um das apokalyptische und millenaristische Geschichtsverständnis in der thelemischen Tradition, wie es Aleister Crowley in seinen Schriften, vornehmlich in seinen eigenen Kommentaren zu The Book of the Law, beschreibt. Ich werde ausführen, dass die millenaristische Geschichtsbetrachtung der Thelemiten, trotz der erbitterten antichristlichen Beschaffenheit Thelemas, eigentlich tief in einem westlich-esoterischen Verständnis von der biblischen Apokalypse, sowie auch im Dispensationalismus John Nelson Darbys, verwurzelt ist. Auch werde ich kurz einige nach Crowley entstandene Neuinterpretationen des thelemischen Dispensationalismus ansprechen.

       Die Geburt eines neuen Äons

      Auf der Grundlage der Offenbarungen von The Book of the Law sah Crowley die Geschichte der Menschheit