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Aleister Crowley & die westliche Esoterik


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einer neuen Gesellschaft, die auf Magie und auf Thelema gründet, Leben einhauchen zu können.60 Hier verband er die Vorstellung von einer magischen Selbstverwirklichung mit einer Art Rückzug von der Welt – etwas, das im Zusammenhang mit Okkultismus ein ziemliches Novum war.

      Anderseits ist Crowley unter den englischen Okkultisten derjenige Autor, der am stärksten bestrebt ist, eine vollständige „Philosophie“ der Magie auszuarbeiten, bei der das Augenmerk vor allem auf deren erkenntnistheoretischen und psychologischen Aspekten liegt. Wie wichtig die Jahre, die Crowley in Cambridge verbrachte, für seine intellektuelle Entwicklung waren, habe ich bereits angesprochen. Damit ist er, auch wenn es ihm letztlich nicht darauf ankam, einen akademischen Grad zu erlangen, einer der wenigen Okkultisten, die eine höhere Ausbildung im offiziellen Sinne erhalten hatten. Viele Autoren haben die Ungenauigkeiten und die Oberflächlichkeit hervorgehoben, die Okkultisten – zum Beispiel in geschichtlicher oder sprachwissenschaftlicher Hinsicht – in ihren Werken oft zeigen, während sie seltsamerweise behaupten, in allen Bereichen menschlichen Lernens im Besitz des höchsten Wissens zu sein.61 Zweifellos gibt es gesellschaftliche Gründe, warum das so war, einschließlich der Tatsache, dass die meisten unter ihnen – anders als Autoren der Renaissance, wie etwa Marsilio Ficino und Pico della Mirandola – nur ihre Freizeit mit Magie und Okkultismus verbringen konnten und weder die Muße noch die Mittel für vielseitige Ausbildungen in Human- oder Naturwissenschaften hatten. Auch aus diesem Grunde markiert Crowley, sowohl wegen seiner intellektuellen Begabung als auch wegen seiner zahlreichen Werke, die ausdrücklich der Magie gewidmet sind, einen besonders bedeutenden Moment in der Geschichte des Okkultismus. Zeit seines Lebens blieben seine kulturellen Interessen außerordentlich breit gefächert und vielschichtig. Er zog Inspirationen und Ideen aus vielen unterschiedlichen Quellen, westlichen wie östlichen, und schmolz sie zu seinem ureigenen, eigentümlichen System zusammen.

      Im Allgemeinen war Magie für Crowley ein passender Begriff, seine Lehre als ganze – einschließlich Thelemas, der Religion, die er gegründet hatte – zu definieren. Im engeren Sinne verstand Crowley unter Magie vor allem zwei Wege, die beide in der okkultistischen Literatur nicht ungewöhnlich sind. Der erste ist im Wesentlichen ein pragmatischer und begreift die Magie als eine Methode, bestimmte Ziele zu erreichen mit Mitteln, die zwar nicht wissenschaftlich erklärbar sind, deren Ergebnisse sich jedoch (zumindest theoretisch) empirisch nachprüfen lassen. Eine beachtliche Menge Geld zu erhalten oder die mühelose Aneignung umfangreicher Kenntnisse auf einem bestimmten Gebiet sind klassische Beispiele dafür. In Magick in Theory and Practice, wo seine ausgereiften Gedanken über Magie zusammenfassend dargestellt werden, präsentiert Crowley seine berühmteste Definition von Magie, die später von einer Vielzahl von Autoren übernommen wurde: „Magick ist die Wissenschaft und Kunst der Verursachung von Veränderung, um in Übereinstimmung mit dem Willen vorzukommen.“62 Nach dieser Definition könnte jede absichtliche Handlung als magisch definiert werden, und dies würde natürlich die Spezifität der Magie als ein besonderes Aktionsfeld reduzieren. In Wirklichkeit hatte Crowley, wenn er sich in diesem Kontext auf Magie bezog, eine ziemlich genaue Reihe von Praktiken und Vorstellungen im Sinn, die größtenteils auf der traditionellen zeremoniellen Magie basieren. Die Grundlagen dazu hatte er während seiner Mitgliedschaft im Golden Dawn erlernt, und durch seine anschließenden Erlebnisse konnte er sie beachtlich weiterentwickeln.

      In späteren Jahren führte seine Entdeckung der Sexualmagie dazu, dass Crowley sein magisches Verständnis und seine Praktiken erheblich veränderte; in der Tat wurde durch die Sexualmagie ein Großteil des Instrumentariums der zeremoniellen Magie überflüssig. Bei sexualmagischen Übungen, die auf der Vorstellung einer feinen Physiologie gründen und zum großen Teil östlichen Lehren (besonders dem Hatha Yoga) entlehnt sind, ist der Körper des Magiers das einzige magische Werkzeug; die Notwendigkeit äußerer Hilfsmittel wie eines „Tempels“ (eines heiligen Raumes, in dem der Magier arbeitet) oder der traditionellen „Waffen“ der zeremoniellen Magie entfällt. Das Ziel der Magie in diesem Sinne ist nicht zwangsläufig materieller Natur: Magie kann ebenso eingesetzt werden, um mit geistigen Wesenheiten zu kommunizieren oder um mittels Astralreisen die „astrale Ebene“ zu erkunden, wie es Crowley beim Golden Dawn gelernt hatte. Die Botschaften, die er durch diese magischen Praktiken empfing, waren oft von besonderer Bedeutung für seine eigene spirituelle Entwicklung (doch konnten sie oft auch die Entwicklung der gesamten Menschheit betreffen, wie im Fall von The Book of the Law). Andererseits dachte Crowley daran, durch diese Praktiken seine Kenntnisse des Netzwerks der symbolischen Korrespondenzen zu verbessern, mit welchen sich eine vereinigende Verbindung zwischen allen Teilen des Universums herstellen lässt. Es ist erwähnenswert, dass Crowley, insbesondere im Zusammenhang mit dieser ersten, pragmatischen Vorstellung von Magie, für sich eine wissenschaftliche, rationale Annäherungsweise reklamierte – wiederum etwas, das in der Okkultliteratur nichts Außergewöhnliches ist.

      Die andere Weise, in der Crowley Magie verstand, wurde von ihm selbst sicherlich als die wichtigste angesehen, wobei sie auch als eine Ergänzung zur ersten betrachtet werden kann. Nach dieser zweiten Auffassung ist die Magie nicht so sehr an direkten Ergebnissen orientiert, sondern eher an der Erlangung dessen, was für Crowley das übergeordnete Lebensziel war: der spirituellen Verwirklichung. Die Magie verliert dabei ihren instrumentellen Charakter und wird stattdessen zu einer weltanschaulichen Praxis, die alle Lebensbereiche einer Person umfasst. Alles in allem liegt der Unterschied weniger in der Art der angewandten Techniken als in deren Interpretation. Traditionelle Zeremonialmagie und Sexualmagie können aus Crowleys Sicht beide sowohl für unmittelbare Zwecke als auch als Mittel zur Erreichung ultimativer spiritueller Verwirklichung eingesetzt werden. Im letztgenannten Fall sollte sich das Individuum, wie oben angesprochen, vollkommen diesem Ziel hingeben und bereit sein, dafür alle irdischen Besitztümer und Neigungen zu opfern. Crowley verwendet verschiedene Formulierungen, um das Ziel der Magie in diesem spirituellen Sinne zu definieren. In manchen Passagen vergleicht er es mit der mystischen „Vereinigung mit Gott.“ In Magick in Theory and Practice beschreibt er, was er für das ultimative Ziel magischer Praxis hält:

      Es gibt eine einzige Hauptdefinition für das Ziel aller magischen Rituale. Es ist die Vereinigung des Mikrokosmos mit dem Makrokosmos. Deshalb ist das höchste aller Rituale die Anrufung des Heiligen Schutzengels, oder – in der Sprache der Mystiker – die Vereinigung mit Gott.63

      Wir haben gesehen, dass Crowley diese Auffassung auch mit Samâdhi gleichsetzt. Im Zusammenhang mit dem Golden Dawn wurde dieselbe Vorstellung als „Vereinigung mit dem Höheren Selbst“ bezeichnet.64 Doch in seiner wahrscheinlich bekanntesten Definition spricht er vom „Wissen um und der Konversation mit dem Heiligen Schutzengel“, einem Begriff aus dem berühmten Book of the Sacred Magic of Abra-Melin, einem magischen Text, den S. L. MacGregor Mathers in der Bibliothèque de l’Arsenal in Paris entdeckt und 1898 editiert hatte, im selben Jahr, als Crowley dem Golden Dawn beitrat.65 In diesem Buch, dessen Ursprünge bis in das sechzehnte oder siebzehnte Jahrhundert zurückreichen, wird ein System ritueller Praktiken beschrieben, die darauf abzielen, den Kontakt zum individuellen Schutzengel herzustellen – damit ist das Engelwesen gemeint, das sich bei einer Person aufhält, um diese zu beraten und zu beschützen, wenn sie in Schwierigkeiten steckt. Daher ist das Ziel dieses magischen Systems das „Wissen um und die Konversation mit dem Heiligen Schutzengel.“66 Unter den Mitgliedern des ursprünglichen Golden Dawn (vor 1900) war Crowley sicherlich derjenige, der von diesem Buch (welches, wie wir uns erinnern, nie zu den offiziellen Lehrbüchern des Ordens gehört hatte) am stärksten beeinflusst wurde. Vermutlich ist er auch der Einzige unter den Mitgliedern des ursprünglichen Ordens, der wirklich versucht hatte, die Instruktionen darin in die Praxis umzusetzen.67 1906 behauptete Crowley, das in dem Buch beschriebene Ziel erreicht zu haben – was bestimmt ein sehr wichtiger Schritt in seiner spirituellen Laufbahn war.

      Doch wer war dieser Schutzengel? Die Bedeutung, die dieser Wesenheit im Zusammenhang mit magischen Praktiken zugemessen wird, dürfte nicht überraschen. Am Ende insistiert die traditionelle Zeremonialmagie, wie sie in einer Vielzahl von Grimoires gelehrt wird, ausnahmslos darauf, dass es für den praktizierenden Magier notwendig sei, mit nichtmenschlichen oder übermenschlichen Wesen zu kommunizieren, deren Aufgabe es ist, dem Magier zu helfen oder ihm zu Diensten zu sein. Damit sind natürlich hauptsächlich Engel oder Dämonen gemeint, doch manchmal auch andere Wesenheiten, wie (zum Beispiel in der Nekromantie) die Geister der Toten oder