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Aleister Crowley & die westliche Esoterik


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       Marco Pasi

      Es ist unstrittig, dass Aleister Crowley einen besonderen Platz in der Geschichte des Okkultismus innehat.2 Dies liegt nicht allein am enormen Einfluss, den er und seine Werke auf die Entwicklung esoterischer und religiöser Bewegungen im zwanzigsten Jahrhundert gehabt haben;3 auch wegen der Originalität und Kreativität seiner Gedanken, mit welchen er versuchte, die Bedeutung okkulter Praktiken forma zu erneuern und sie in einem modernen Rahmen neu zu interpretieren, ist Crowley bedeutend. Er verkörpert nahezu beispielhaft die gesamten Bestrebungen der Esoterik, sich mit traditionellen esoterischen Konzepten in einer Welt zu arrangieren, die durch die Auswirkungen von Säkularisierung und Moderne einem tief greifenden kulturellen und gesellschaftlichen Wandel unterzogen wurde.4

      Dieses historische Phänomen hat unterschiedliche Formen angenommen. Eine der signifikantesten kann als Psychologisierung und Naturalisierung der Esoterik bezeichnet werden, die besonders von der zweiten Hälfte des neunzehnten bis in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein zu beobachten ist. Dieses Phänomen hat in den vergangenen Jahren zunehmend das Interesse Gelehrter geweckt, und einige von ihnen, wie beispielsweise Alex Owen, Wouter Hanegraaff und Egil Asprem, haben sich auf die Erforschung der Rolle konzentriert, die es für die okkultistische Magie im Allgemeinen oder für Aleister Crowley im Besonderen gespielt hat.5

      In diesem Kapitel werde ich zuerst Crowleys Haltung paranormalen Phänomenen gegenüber im Allgemeinen behandeln, besonders in Verbindung mit der parapsychologischen Forschung und dem Spiritualismus. Dann werde ich zwei besondere Aspekte von Crowleys Bestrebungen beleuchten, neue Interpretationen für okkulte Praktiken auszuarbeiten, namentlich seine Einstellung zu Yoga und zur Magie. Beide Themen mit all ihren Feinheiten und Verwicklungen zu untersuchen, würde ausgedehnte Diskussionen erfordern, die den Rahmen dieses Kapitels bei weitem übersteigen würden. Mein Ziel ist es hier, das Augenmerk speziell darauf zu richten, auf welche Weise Crowley versuchte, traditionelle Interpretationen spiritueller Praktiken zu naturalisieren und zu psychologisieren, und damit zu zeigen, in welchem Ausmaß sein Gedankengut als signifikantes Moment im allgemeinen Wandel der Esoterik betrachtet werden kann, den ich oben angesprochen habe. Dann erlaube ich mir, in diesem Zusammenhang einige Fragen zu stellen, die besonders interessant sein könnten. Zum Beispiel: Wie radikal war Crowley in seinen psychologischen und naturalistischen Interpretationen okkulter Erlebnisse? Ging er ausnahmslos davon aus, dass solche Erlebnisse das Ergebnis eines Bewusstseinswandels sind, wie er an manchen Stellen anzudeuten scheint, oder gab es da einen geschützten Kern, in dem eine „entzauberte“ Vorstellung von okkultem Erleben nicht zugelassen war? Wir werden sehen, dass Crowleys Ruf als Prophet einer neuen Religion vermutlich eine geistige Schranke produziert hat, die ihn davor bewahrte, die Psychologisierung bis zu ihrem logischen Extrem zu betreiben.

       Crowleys Einstellung zu übersinnlichen Phänomenen und zum Spiritualismus

      Wenn okkulte Praktiken von Okkultisten neu interpretiert wurden, ging es meist darum, diese Praktiken einem modernen Publikum verständlicher und zugänglicher zu machen.6 Der Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft wurde in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts als für die menschliche Kultur schicksalsentscheidend aufgefasst. Für diejenigen, die den aus der Aufklärung herrührenden Idealen des Positivismus und des wissenschaftlichen Naturalismus anhingen, rührte der Einfluss, den eine dogmatische Religion auf die Gesellschaft hatte, von einer Verquickung aus Aberglauben und Missverständnissen her, die durch den wissenschaftlichen Fortschritt zerstreut werden sollten. Dies setzte eine Ideologie der Emanzipation von der Naivität der Vergangenheit voraus, die Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche, kulturelle und sogar politische Ebenen hatte (beispielsweise auf den Kolonialismus in Europa, der zur selben Zeit seinen Höhepunkt erreichte). Den Okkultisten war der Einfluss dieser alles durchdringenden Ideologien natürlich nicht unbekannt, und es überrascht nicht, dass letztere besonders von Personen aufgenommen und zum Ausdruck gebracht werden, die auf die eine oder andere Weise Angehörige des Establishments waren, das diese Ideologien produziert hat. Das trifft auch auf Aleister Crowley zu, der in seinen Entwicklungsjahren die Bildung der Universität von Cambridge genossen hatte, die ihn entscheidend prägte.7 Die Richtung, die Crowley und andere Okkultisten einschlugen, um den Sinn ihrer okkulten Unternehmungen zu verstehen, lag vorhersehbarerweise auf einer Linie mit den Entwicklungen in der Wissenschaft des späten neunzehnten Jahrhunderts, soweit es die Interpretationen religiöser und paranormaler Phänomene betrifft. In der Tat kann man beobachten, dass Okkultisten – wie Crowley – Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von den neuen Diskursen, die auf dem Gebiet der Psychologie, vor allem im Zusammenhang mit der parapsychologischen Forschung und der Psychoanalyse aufkamen, beeinflusst wurden oder sie gar vorausgeahnt haben.

      In Crowleys Fall war dieses Interesse an neuen psychologischen Theorien sicherlich auch mit seinem starken Gebrauch psychoaktiver Substanzen verbunden, die er zeitlebens in oft rituellem, magischem Zusammenhang konsumierte.8 Auf diesem Feld war er recht experimentierfreudig, und man kann sagen, dass einige seiner Experimente von gewissem historischem Wert sind. Beispielsweise war er einer der ersten Europäer, der im Rahmen spiritueller Praktiken systematisch mit Peyote (das damals als Anhalonium lewinii bekannt war) experimentierte.9 Es gibt auch Gründe anzunehmen, dass er es war, der Aldous Huxley in Berlin Anfang der 1930er Jahre in den Gebrauch von Meskalin eingeführt hat.10 Dieser Vorfall erklärt – wie auch Crowleys Annäherung an den Drogengebrauch im Allgemeinen – zum Teil, warum er in der psychedelischen Ära der 1960er zu einer Art Ikone der Gegenkultur geworden ist, wichtige Figuren wie Timothy Leary beeinflusst hat, und wie sein Gesicht (in Gesellschaft von Aldous Huxley höchstselbst) auf den Umschlag des Beatles-Albums Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band geraten konnte.

      Es ist bekannt, dass Crowley diese Substanzen regelmäßig mit dem Ziel anwendete, sein Bewusstsein zu verändern, und dass er diese Veränderung an bedeutsamen spirituellen Schauungen bemerkte. Der Zusammenhang zwischen dieser Art der Veränderung und jener, die durch gewisse „okkulte“ Praktiken zustande kam, war ihm besonders wichtig und war das Ergebnis nahezu lebenslangen persönlichen Reflektierens und Experimentierens.11 Natürlich benötigte Crowley mancherlei passende Theorien über den menschlichen Geist und das menschliche Gehirn, um all diese Formen der Bewusstseinsveränderung miteinander zu verknüpfen und ihnen eine spirituelle/​magische Bedeutung beizumessen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden wir uns diese Theorien genauer ansehen.

      Wie Wouter Hanegraaff angemerkt hat, beginnt die Psychologisierung der Esoterik mit F. A. Mesmers Entdeckung des animalischen Magnetismus und zieht sich dann durch das gesamte neunzehnte Jahrhundert.12 Auf der anderen Seite hat Ann Taves gezeigt, wie zur selben Zeit diejenigen, die „naturalistische oder säkularisierte Erklärungen“ für religiöse Erfahrungen geboten haben, nicht zwangsläufig auch „Kritiker“ oder Abtrünnige der Religion gewesen sein müssen.13 In einigen Fällen, wie etwa im Spiritualismus, wurde die „vorherrschende Tendenz, religiöse Erfahrung von naturalistischer Erklärung zu trennen“, wirklich herausgefordert.14 Darum wurden naturalistische Erklärungen für religiöse Erfahrungen nicht notwendigerweise als einander widersprechend angesehen. Die okkulte Bewegung des späten neunzehnten Jahrhunderts hatte eine ähnliche Herangehensweise. In diesem Fall, wie auch im Spiritualismus, war die zugrunde liegende Erkenntnis die Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen Wissenschaft und Religion. Der Versuch einer Versöhnung zwischen diesen beiden Gebieten, die immer weiter auseinander zu driften schienen, wenn nicht sogar sich diametral gegenüber standen, wurde in der Tat schon als eines der Grundmerkmale des Okkultismus bezeichnet.15 Doch es war noch mehr und Spezielleres, an dem, was Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passierte, als neue psychologische Theorien entstanden und sich verbreiteten. Das Interessante bei Crowleys Annäherung liegt darin, dass er, der mit diesen Entwicklungen vertraut war, versuchte, diese auf sein eigenes Verständnis magischer und spiritueller Praktiken zu übertragen. Mit ihm schlug die Psychologisierung der Esoterik, und ganz besonders der Magie und anderer verwandter Praktiken, neue Richtungen ein.16

      Ein interessanter Aspekt von Crowleys psychologischen Interpretationen ist der mutmaßliche Einfluss von William James’ erstmals 1902 erschienenem Klassiker The Varieties of Religious Experience [Die Vielfalt religiöser Erfahrung]. Dieses Buch scheint eine entscheidende Rolle