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Aleister Crowley & die westliche Esoterik


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wirkten. Das „Mannweib“ und der augenscheinlich verweiblichte Mann standen für Kritiker anscheinend stellvertretend für eine moderne sexuelle Ökonomie, die vom Abstieg in die Anarchie gekennzeichnet ist; androgyne Kreaturen als Symptome einer schönen neuen Welt der Perversion und des Verfalls.66 Diese Ängste wurden durch die aufkommende Literatur, die Diskussionen über sexuelle Typologien entfachte, alles andere als beseitigt. Für Crowley jedoch waren die dekadenten „gelben Neunziger“, die Beardsley und Wilde verkörperten, die befreienden Jahre seiner Jugend. Mit dreiundzwanzig Jahren verliebte er sich in Cambridge in Jerome Pollitt, einen Mitstudenten, der mit Aubrey Beardsley eng befreundet und ein talentierter Frauenimitator war, und im Wesentlichen blieb Crowley zeit seines Lebens den Ansichten und dem Lebensstil der Décadence-Bewegung treu.67 Als poseur extraordinaire im Stil von Wilde, und als ein Mann, der sich vorgenommen hatte, die dunkle, verderbte, luxuriöse Welt des fiktionalen Dorian Gray im realen Leben nachzuahmen, experimentierte Crowley immer wieder mit der Umkehrung vorherrschender Verhaltenskategorien. Dieses betrifft sowohl seine Magie wie auch seine eigene Sexualität und geschlechtliche Identität; in allen Fällen, und in unterschiedlicher, aber jeweils verwandter Weise, spielte er mit der „gelben“ Thematik perverser Delinquenz. Als 1904 der Neue Äon des Horus aufdämmerte, konnte Crowley nicht gänzlich unempfänglich gewesen sein, denn The Book of the Law liest sich wie eine Hymne an die Dekadenz, während die Zweigeschlechtigkeit – die womöglich ultimative heterodoxe Maskulinität – eine Eigenschaft war, die Crowley für sich selbst als erstrebenswert erachtete.

      In den 1920er Jahren hielt Crowley an der langgehegten Überzeugung fest, dass er in gewisser Hinsicht sowohl männlich als auch weiblich sei. Während er von sich selbst in der dritten Person spricht – eine Distanzierungsmethode, die an den Disclaimer von Dr. Jekyll erinnert68 –, bemerkt Crowley, dass er, während „seine Männlichkeit über der Norm liegt“, auch weibliche Merkmale besitzt, wie schlanke, zierliche Gliedmaßen und gut entwickelte Brüste:

      Demnach liegt eine Art Hermaphroditismus in seiner körperlichen Struktur, was sich natürlich auch in seinem Geist ausdrückt. Doch während in ähnlichen Fällen die femininen Qualitäten auf Kosten der Männlichkeit zu gehen scheinen, sind sie bei ihm mit einem perfekt-normalen maskulinen Typus verbunden. Prinzipiell wird er dadurch in die Lage versetzt, die Psychologie der Frauen zu verstehen und auf alle Theorien einen umfassenden und objektiven Blick zu werfen, auch auf spirituellen Ebenen ist er mit mütterlichen Instinkten ausgestattet … Er war imstande, von der Warte eines vollendeten menschlichen Wesens aus über die Natur zu philosophieren; bestimmte Phänomene werden immer für Männer an sich unverständlich bleiben, andere für Frauen an sich. Indem er beides zugleich verkörperte, war er fähig, eine Sichtweise der Existenz auszubilden, die Positives und Negatives, Aktives und Passives, zu einem einzigen identischen Gleichgewicht zusammenfügt … Wieder und wieder … werden wir finden, dass sein Handeln von dieser dualen Struktur bestimmt ist.69

      Während Crowley hier im essentialistischen Sinne die Geschlechtskategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit artikuliert – auch ein Aspekt der traditionellen okkulten Philosophie –, versteht er sich selbst als Verkörperung einer nutzbringenden „dualen Struktur“: er ist „beides zugleich“. Der physische „Hermaphroditismus“ wird daher bezüglich der Geschlechter nachgeahmt und als das dargestellt, was ihm die privilegierte Erkenntnis „eines vollendeten menschlichen Wesens“ verleiht. Crowley hielt daran fest, dass seine „duale Struktur“ ihn in die Lage versetzte, in der Welt zu handeln und mit ungewöhnlicher Schärfe und außerordentlichem Erfolg darüber zu „philosophieren“. Außerdem dehnte sich diese „duale Struktur“ auf seine Sexualität aus. Crowley war offenkundig bisexuell. Es gab keinen Mangel an Frauen in seinem Leben, und die Mythen, die sich um ihn ranken, zeichnen ihn als einen zärtlichen und phantasievollen Liebhaber. In der Tat trieben ihn mächtige und widersprüchliche Verhaltensweisen gegenüber Frauen an, die größtenteils jedoch uneingestanden blieben. Crowley glaubte, dass er unwiderstehlich sei und dass sein Erfolg als heterosexueller Liebhaber seiner einzigartigen Fähigkeit geschuldet sei, eine „wilde, männliche schöpferische Leidenschaft“ zum Ausdruck zu bringen, die durch eine „weibliche“ Liebenswürdigkeit veredelt ist.70 Bisexualität ist nicht dasselbe wie „Hermaphroditismus“ oder Zweigeschlechtigkeit, doch in Crowleys Vorstellungen war seine Sexualität ein weiterer Ausdruck jener Ganzheit, die in seinem „Beides-zugleich-Sein“ enthalten war.

      Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Victor Neuburg diese Sichtweise teilte und auf sich selbst übertrug. In einem langen Gedicht in The Triumph of Pan, einer 1910 veröffentlichten Sammlung, in die eine komplexe Mischung persönlicher und magischer Bezüge eingearbeitet ist, schreibt Neuburg: „O thou hast sucked my soul, lord of my nights and days,/​My body, pure and whole, is merged within the ways/​That lead to thee, my queen, who gav’st life to me/​when all my heart was green.”. [„O, du hast meine Seele ausgesaugt, Herr meiner Nächte und Tage,/​Mein Körper, rein und ganz, ist mit den Wegen verflochten,/​die zu dir führen, meine Königin, die du mir das Leben gabst,/​als mein ganzes Herz noch grün war“].71 Diese Zeilen, die an Pan gerichtet sind, beinhalten ein Element von Crowleys Verbindung zu Neuburg – er ist sowohl „Herr“ als auch „Königin“ –, das zumindest eine unterschwellige Botschaft für dieses Gedicht, wenn nicht gar für die ganze Sammlung darstellt. Gleichermaßen lässt Neuburg in seinem Titelgedicht wenig Raum für Zweifel hinsichtlich des Gemeinten: „there is a Great One, cold and burning/​Crafty, and hot in lust,/​Who would make me a Sapphist and an Urning,/​A Lesbian of the dust“. [Es gibt einen Großen, kalt und feurig/​Ausgefuchst und heiß vor Lust,/​Der mich zur Lesbe macht, zum Urning/​einer Lesbierin aus dem Staub].72 Ob mit diesem „Großen“ Crowley gemeint war oder nicht – deutlich wird, dass Neuburg seine Spiritualität als sexualisierte (oder bisexualisierte) „Lesbe“ und als „Urning“ erlebt hatte. Der Gebrauch des Wortes „Urning“ liefert einen besonderen Hinweis über Neuburgs Gedankenwelt. Der Begriff, der aus Platons Symposion bekannt ist, wurde ein halbes Jahrhundert zuvor von Karl Heinrich Ulrichs in dessen Ausführungen zur Homosexualität übernommen und taucht in Edward Carpenters Buch The Intermediate Sex (London 1908), das großen Einfluss auf Neuburg hatte, erneut auf. Als großer Bewunderer Carpenters, welcher selbst von östlicher Religion und Philosophie beeinflusst war, und besonders angetan von der Idee, dass Homosexualität möglicherweise eine neue Evolutionsform sei, sog Neuburg augenscheinlich die Diskussionen über das, was Carpenter als „Doppelzüngigkeit der Natur“ bezeichnete – die weibliche, in einem männlichen Körper gefangene Seele und umgekehrt – begierig in sich auf. In The Triumph of Pan verarbeitet Neuburg dieses Thema, indem er zeitgenössische Ausführungen über Homosexualität mit dem beständigen Motiv des Hermaphroditen verquickt. Indem er sich in seinem Gedicht sowohl als Frauen begehrende Frau, als auch als Männer begehrender Mann positioniert, zeichnet Neuburg das Bild eines radikal andersgearteten „Hermaphroditismus“: zwei „Umkehrungen“ „in einem“.

      Crowley hingegen erlebte seine Bisexualität, in der klassischen Sprache der Psychoanalyse formuliert, als „das Zusammentreffen zweier heterosexueller Begierden innerhalb einer einzelnen Seele“.73 Dies bedeutete, dass Crowley sich – als begehrender Mann – Luft über das machte, was er für den ultimativen Ausdruck von Männlichkeit hielt: die (wenn auch abgewandelte) „wilde männliche Leidenschaft, zu erschaffen“; als begehrende Frau trachtete er danach, zum schönen Objekt dieser „wilden männlichen Leidenschaft“ zu werden. Oft verwendete er den Namen „Alys“ (eine verweiblichte Form von Aleister), um seine Weiblichkeit zu markieren, und als Alys nahm er an, was er für die weibliche sexuelle Rolle hielt. In seiner Beziehung zu Victor Neuburg nahm Crowley die dienende Position einer begehrenden Frau ein. Indem er dies tat, verfing er sich jedoch in Phantasien, die weit über das rezeptiv „Weibliche“ hinausgingen. Als Objekt männlicher Begierde war Crowley einem Szenario hörig, das von orgiastischer Gewalt gekennzeichnet war. Dies zeigte sich zum Beispiel in seiner Beziehung zu Neuburg in der zentralen Bedeutung, die der Gott Pan innehatte – „’All-Verzehrer, All-Erzeuger’“; „Panik“ zu erleben, bedeutet, sowohl Ekstase als auch Schrecken als Aspekte des Gottes zu erfahren.74 Pan, jener Vertreter des heidnischen Griechenlands, der für homosexuelle Männer in der viktorianischen Zeit von besonderer Bedeutung war, und der in der christlichen Vorstellung lange mit dem Teufel assoziiert wurde, war ein