Группа авторов

Aleister Crowley & die westliche Esoterik


Скачать книгу

Beziehung war für Crowley mit der mystischen Erfahrung verwandt, die für ihn eines der essentiellen – wenn nicht gar das essentielle – Ziel der Magie war. Doch bevor wir uns Crowleys diesbezügliche Vorstellungen näher ansehen, ist es vielleicht noch interessant, einen Blick auf seine grundsätzliche Einstellung gegenüber den Wesenheiten zu werfen, mit denen der Magier während seiner magischen Handlungen in Kontakt treten soll. Dies ist vor allem in Bezug auf Crowleys rationalisierende Annäherung an spirituelle Angelegenheiten relevant, die ich bereits angesprochen hatte.

      1904 veröffentlichte Crowley eine Version der Goetia, eines Teils aus einem berühmten Grimoire, The Lesser Key of King Solomon [Der kleinere Schlüssel König Salomons] (oder Lemegeton).69 Mathers, mit dem Crowley inzwischen zerstritten war, hatte eine Überarbeitung (die nicht wirklich als Übersetzung bezeichnet werden kann) in modernem Englisch vorgelegt. Mathers’ Bearbeitung und Veröffentlichung dieser alten magischen Texte kann als Teil jener magischen Synthese verstanden werden, die seit der Gründung des Golden Dawn zu dessen Hauptanliegen gehörte.70 Das zuvor bereits erwähnte Buch Abramelin war ebenfalls ein Ausdruck dieses Versuchs einer Synthese. Das erklärt, warum verschiedene Ideen, die aus diesen Texten abgeleitet sind, zu einem schlüssigen theoretischen Rahmenkonzept für die magischen Aktivitäten der Mitglieder des Golden Dawn zusammengefügt werden konnten. Als ein Beispiel dieses magischen Synkretismus kann man die Anwendung eines Rituals anführen, das aus einem griechisch-ägyptischen Papyrus aus der hellenistischen Epoche stammt und üblicherweise als das „Bornless Ritual“ bezeichnet wird.71 Nach Crowleys Interpretation sollte das in diesem Text enthaltene Ritual Zugang zum „Höheren Genius“ oder „Höheren Selbst“ gewähren – ein Begriff, der in den Lehren des Golden Dawn von großer Bedeutung ist und auf den ich noch zurückkommen werde.

      Als Crowley Mathers’ Bearbeitung der Goetia veröffentlichte, fügte er einen kurzen einführenden Aufsatz mit dem Titel „The Initiated Interpretation of Ceremonial Magic“ hinzu, in welchem er die Beschaffenheit der Wesenheiten, die in dem Grimoire beschrieben werden, und die Wirkmacht der Magie ansprach.72 Er brachte in diesem Text die Ansicht zum Ausdruck, dass es nicht nötig sei, diese Geister und Dämonen als „real existent“ – damit ist gemeint, vom Selbst des Magiers unabhängig existierend – anzunehmen. Im Gegenteil, sie können auch als „Teile des menschlichen Gehirns“ angesehen werden.73 Durch die Anrufung eines dieser Geister werde ein bestimmter Teil des Gehirns des Magiers stimuliert, der mit diesem besonderen Geist korrespondiert. Bei Crowley wird diese Vorstellung so beschrieben:

      Wenn ich mit Salomon sage: „Der Geist Cimeries lehrt Logik“, meine ich damit: „Diese Teile meines Gehirns, die den logischen Fähigkeiten dienen, werden angeregt und entfalten sich durch den Prozess, der als ‚Anrufung von Cimeries’ bezeichnet wird.“ Und dieses ist eine rein materialistische, rationale Aussage.74

      Aus diesem Zitat scheint deutlich zu werden, dass Crowley, zumindest in bestimmten Zusammenhängen, beabsichtigte, die Wirkungen der Zeremonialmagie und die Wesenheiten, die traditionell damit verbunden sind, in rein physiologischen (nicht einmal psychologischen) Begriffen zu interpretieren. Magische Phänomene werden aus einer streng materialistischen Perspektive heraus erklärt: sie finden einfach im Gehirn statt, und dadurch entsteht als Nebeneffekt die illusionäre Wahrnehmung geistiger Wesenheiten. Natürlich ist dies eine Art reduktionistische Erklärung für die Magie, die sicherlich selbst jemand wie Maudsley im Zusammenhang mit Crowleys Ausführungen über Yoga bemerkenswert gefunden hätte. Und wieder scheint es – wie auch bezüglich Yoga – offensichtlich, dass diese Annäherung von dem Wunsch genährt wird, traditionelle spirituelle Praktiken in einem modernen, weltlichen Zusammenhang zu verstehen, um sie so mit einer positivistischen und naturalistischen Denkweise in Einklang zu bringen.

      Diese naturalistische Interpretation von Magie verfasste Crowley in den frühen Jahren seines spirituellen Werdeganges (interessanterweise wurde sie 1904 veröffentlicht, im selben Jahr, in dem Crowley von Aiwass den Text von The Book of the Law empfing). Dennoch scheint es, dass er diese Sichtweise – obwohl sie von einer intellektuellen Warte aus gesehen sicher wichtig für ihn gewesen ist – nicht durchgängig angenommen hat oder ihr in den folgenden Jahren nicht ganz treu geblieben wäre. Tatsächlich haben wir eine Fülle von Beispielen in Crowleys magischem Studienplan, in welchen er mit Wesenheiten Kontakt aufnimmt, die er keineswegs nur als „Teile seines Gehirns“ oder als Aspekte seines Unbewussten (an das er durch seine Entdeckung der Psychoanalyse geglaubt haben mag) wahrnimmt. Interessant daran ist auch, dass Crowley die ersten Kontakte zu diesen Wesenheiten meistens mithilfe eines hellsichtigen Partners, sehr oft einer Frau, herstellte. So verhielt es sich im wohl spektakulärsten Fall, nämlich der Evokation von Aiwass durch seine Ehefrau Rose und der daraus folgenden Offenbarung des Book of the Law. Doch auch bei den Kontakten zu „niederen“ Wesenheiten wie Amalantrah und Ab-ul-Diz war es nicht anders.75 Anscheinend hat Crowley diese Wesenheiten generell nicht als Produkte seines Unbewussten oder seines Gehirns (bzw. dessen seiner Partnerin) betrachtet. Sie waren keine – wenngleich auch spirituell bedeutenden – Erfindungen; sie waren unabhängige, übermenschliche Wesen mit eigenständigen Persönlichkeiten und Existenzen. Der Umstand, dass all diese Wesenheiten einer sorgfältigen Prüfung unterzogen wurden, ist ein deutliches Indiz dafür.76 Bei den Prüfungen ging es nicht allein darum, die Identität der Wesen festzustellen (um damit die Möglichkeit auszuschließen, dass es sich um ein getarntes bösartiges Wesen handelt), sondern auch ihre Unabhängigkeit von der Persönlichkeit des Magiers und/​oder Sehers. In diesem Sinne ähneln Aiwass und seine Verwandten den mysteriösen „Geheimen Oberen“ des Golden Dawn oder den schwer fassbaren „Mahatmas“ der Theosophischen Gesellschaft, die als erleuchtete Meister verstanden werden, die eine sehr hohe Stufe der Einweihung erreicht haben, aber dennoch auf diesem Planeten leben.77

      Andererseits war die Idee vom „Heiligen Schutzengel“ in Crowleys Interpretationen dieselbe wie die vom „Höheren Selbst“ (oder dem „Höheren Genius“).78 Im Golden Dawn stellte Crowley sich vor, dass die Magie dem Magier eine Methode bietet, sein (oder ihr) „Höheres Selbst“ zu entdecken, und diese Vorstellung prägte ihn merklich. Der unmittelbare Ursprung dieser Idee ist in den Schriften von Madame Blavatsky und der Theosophischen Gesellschaft zu finden.79 Unter spiritueller Verwirklichung wurde die Reintegration eines göttlichen oder erhabenen Anteils des Selbst verstanden, der unter normalen Bedingungen unbekannt und unzugänglich bleibt.

      Dem Vorkommen des Schutzengels in der esoterischen, speziell der magischen Literatur des Westens gebührt gewiss eine nähere Aufmerksamkeit, zumal diese Thematik kaum wissenschaftlich erforscht ist. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass die traditionelle Vorstellung von einem Schutzengel im Kontext der westlichen Esoterik, selbst in ihren mehr magisch orientierten Strömungen, weniger hervortritt, als die anderer Wesen. Sicher kann man in der Neuzeit viele Beispiele für magische oder theurgische Praktiken finden, in denen Engel, bisweilen gar Hunderte von ihnen, sehr präsent sind. Man denke dabei nur an die henochischen Anrufungen von John Dee, die theurgischen Handlungen von Martinez de Pasquallys Elus Coëns, oder an Cagliostros Ägyptischen Ritus.80 Doch in keinem dieser Beispiele scheint der Schutzengel als besondere Wesenheit gegenwärtig zu sein.

      Eine Ausnahme könnte die Gruppe der Illuminés d’Avignon sein, die während der 1780er Jahre von Dom Antoine-Joseph Pernety geführt wurde.81 In den Lehren dieser Gruppe finden wir eine Reihe spiritueller Praktiken (welche interessanterweise nicht als „magisch“ bezeichnet werden), die zum Ziel haben, den Schutzengel einer Person erscheinen zu lassen.82 Die nötigen Anweisungen dazu werden offenbar von der „Sainte Parole“ übermittelt, einem mysteriösen Orakel, dessen Antworten die Aktivitäten und Taktiken der Gruppe bestimmten.83 Es hat den Anschein, dass die Botschaften der Sainte Parole in Wirklichkeit von Johann Daniel Müller (1716 bis nach 1785) stammten, einem Esoteriker, der im Umfeld des deutschen Illuminatentums unter dem Pseudonym „Elias Artiste“ bekannt war. Man mag sich fragen, aus welchen Quellen Müller seine Lehren bezüglich des Schutzengels speiste, und ob er den Text des Buches Abramelin gekannt hat, dessen mutmaßliche Ursprünge – wie weiter oben erwähnt – in Deutschland liegen und das dort gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts erstmals veröffentlicht wurde. Um diesen Punkt zu erhellen, wird weitere Forschung vonnöten sein.

      Wie dem auch sein mag: wichtig ist zu bedenken, dass es – schon lange vor der