Группа авторов

Aleister Crowley & die westliche Esoterik


Скачать книгу

zur Magie häufig als Hauptexponenten einer „intellektualistischen Schule“ Bezug genommen – das heißt, sie definieren Magie als eine spezifische Gedankenform, die auf einem irrigen, „pseudowissenschaftlichen“ Glauben an die Wirkmächtigkeit von Ideenassoziationen beruht. Tylor betrachtet Magie lediglich als eine primitive Gedankenform, die auf frühe Stufen der menschlichen Evolution zurückgeht. Moderne Erscheinungsformen magischer Praktiken weist er als übrig gebliebene Relikte dieser archaischen Gedankenform zurück.

      In wenigen Worten gesagt, ist deren Platz in der Geschichte genau dieser: Sie gehören im Prinzip zu den niedrigsten bekannten Stufen der Zivilisation, und die niederen Rassen, die größtenteils an keiner Bildung in der Welt teilhatten, erhalten sie noch immer kraftvoll aufrecht. Von dieser Ebene aufwärts können wir verfolgen, dass viel von dieser wilden Kunst in der Substanz unverändert an seinem Platz geblieben ist und im Laufe der Zeit viele neue Praktiken entwickelt wurden, während sowohl die älteren als auch die neueren Entwicklungen in den modernen Kulturnationen mehr oder weniger überdauert haben. Doch in den Zeitaltern, da fortgeschrittene Rassen gelernt haben, ihr Denken an immer genaueren Versuchen zu schulen, ist die okkulte Wissenschaft in jenen Zustand des Überlebens abgesunken, in dem wir sie meistens unter uns vorfinden.18

      Die Vorstellung von der Magie als Antithese zur modernen westlichen Kultur basierte zu einem großen Teil auf der Prämisse, dass Magie eine Form „primitiven“ Aberglaubens (oder irrationaler Gedanken) sei.19 Diese abergläubische Denkweise wurde oft als assoziatives Denken beschrieben, in welchem auf Ähnlichkeit gründende Vorstellungen ursächlicher Zusammenhänge den Modus Operandi der magischen Praxis konstituieren. Nach diesem Glaubensmuster wird das vom Magier erstrebte Ziel mittels einer Handlung herbeigeführt, die dieses Ziel nachahmt oder ihm ähnlich ist. Das Konzept der geistigen Verursachung – das ist die Überzeugung, dass der Geist die physische Welt beeinflussen kann – ist mit diesem assoziativen Denken untrennbar verwoben. Um ein stereotypisches Beispiel zu nennen: Eine Nadel in eine Puppe zu stechen, wird allein nicht ausreichen, um einem Feind Schmerzen zuzufügen – die Wirksamkeit magischen Denkens ist, so wird geglaubt, von der Absicht des Magiers abhängig. Auch wenn Tyler als erster die Magie als assoziatives Denken identifizierte, war es Frazers weitere Ausarbeitung, die – mit der bekannten Unterteilung der Magie in zwei Kategorien: die Übertragungs- und homöopathische Magie – die tiefsten Spuren in der magischen Forschung hinterlassen hat. Außerdem behauptete Frazer, dass diese Denkweise eine archaische und primitive Gedankenform repräsentiere, die dem religiösen und dem wissenschaftlichen Denken vorausgegangen sei, womit er die Unvereinbarkeit von Magie mit einer modernen rational-positivistischen Weltanschauung betonte. Obwohl Crowley Frazers Kritik, die (alt-äonische) Magie gründe auf primitiven Gedanken, teilte, hielt er nichtsdestotrotz daran fest, dass die altäonische Magie im Zeitalter des Osiris wirksam gewesen sei. Für uns ist im Rahmen dieser Untersuchung wichtig festzustellen, dass Crowley glaubte, dass sich die Voraussetzungen von Magie und Initiation mit jedem neuen Zeitalter ändern und dass er Frazers Auffassung teilte, dass sich die Kultur durch drei verschiedene Stufen entwickelt habe: Magie, Religion und Wissenschaft nach Frazer und die Äonen der Isis, des Osiris und des Horus nach dem Liber AL.

       Eine Zeit des Krieges

      Eine Vorahnung von einem neuen Zeitalter war beileibe keine alleinige Angelegenheit von Thelema und The Book of the Law, sondern sie wurde in den Diskursen der okkulten und religiösen Bewegungen des Fin de Siècle insgesamt vertreten.20 Doch in den allermeisten esoterischen Spekulationen um ein Neues Zeitalter sah man dies als einen graduellen und friedlichen Prozess an. Gelehrte wie Wouter Hanegraaff haben beobachtet, dass der Okkultismus (oder die verweltlichte Esoterik) des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts unter anderem von den Einwirkungen des Positivismus und des Darwinschen Evolutionismus geprägt war, mit welchen oft der Glaube an eine persönliche Veränderung wie auch an einen gesellschaftlichen Wandel einherging.21 Der Fortschritt der Menschheit wurde als Ergebnis spiritueller Evolution betrachtet, als ein natürlicher Prozess, der zu einer sich stetig verbessernden und weiter entwickelnden Gesellschaft führen würde. Dennoch würde die bewusste Übertragung eines breiten Spektrums esoterischer Praktiken diesen Prozess beschleunigen helfen. Dieser Glaube, der vielerlei Gestalt annahm und sich auf verschiedene Weise ausdrückte, prägte einen mit Nachdruck geführten Diskurs im Okkultismus des zwanzigsten Jahrhunderts.

      Das Neue Zeitalter wurde gemeinhin auch astrologisch dahingehend definiert, dass das Zeitalter der Fische vom Zeitalter des Wassermanns abgelöst werde. Der daraus folgende Evolutionssprung in der Entwicklung der Menschheit wurde oft als Verkündung eines fundamentalen Wandels im Verständnis der Beziehung zwischen den Menschen und dem Universum geschildert. Dieser Gedanke gipfelte im Aufblühen der New-Age-Bewegung der 1960er und frühen 1970er Jahre, die im Zeitalter des Wassermanns die Verkörperung holistischer Prinzipien sah, die im Kontrast zum Dualismus standen, der das Zeitalter der Fische bestimmt hatte. Der Dualismus des vorangegangenen Zeitalters wurde für die Zwietracht und Streitigkeiten zwischen patriarchalen Religionssystemen wie dem Christentum und dem Islam verantwortlich gemacht, wohingegen das Neue Zeitalter von Frieden und Harmonie gekennzeichnet sein werde.22

      Während Vertreter des Wassermannzeitalters den Übergang zwischen den Zeitaltern anscheinend als grundsätzlich harmonisch betrachtet haben und den Konflikt der Dualität langsam durch den Frieden der Einheit ersetzt sahen, wurde die Geburt des Neuen Zeitalters des Horus ganz anders beschrieben. The Book of the Law schildert den Übergang vom Alten zum Neuen Äon als von Krieg und Zerstörung gekennzeichnet. Crowley umreißt dieses im folgenden, offenbar prophetischen Abschnitt, von dem es heißt, dass Crowley ihn 1911 verfasst habe – drei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges:

      Es ist eine Magische Handlung von höchster Wichtigkeit: die Einleitung eines Neuen Zeitalters. Wenn es nötig wird, ein Wort auszusprechen, muss der ganze Planet in Blut gebadet sein. Bevor der Mensch bereit ist, das Gesetz von Thelema zu akzeptieren, muss der Große Krieg ausgefochten werden. Dieses Blutopfer ist der entscheidende Punkt der Weltzeremonie der Ankündigung des gekrönten und erobernden Kindes Horus als Herrn des Äons.

      Diese ganze Sache ist im Buch des Gesetzes selbst prophezeit; lass den Schüler es vermerken und tritt ein in die Reihen der Heerschar der Sonne.23

      Nach Crowley lag der Grund für den destruktiven Übergang in der extremen Divergenz zwischen dem Ethos des Äons des Osiris und dem des Horus. Nicht nur, dass sich die zwei Äonen auf grundlegend unterschiedliche magische Formeln stützen – der Äon des Opfers stand im Gegensatz zum Prinzip der Entdeckung des Wahren Willens (Thelema) –, sondern auch, und das ist vielleicht das Wichtigste, dass das Aufblühen des Äons des Horus der Befreiung von den bedrückenden religiösen Systemen des Alten Äons bedarf. Für Crowley bedeutete dies im Besonderen die Freiheit von den Beschränkungen des Christentums. Indem er die Rolle des Verkünders des Neuen Äons mit dem geschmähten Tier 666 aus dem Buch der Offenbarung einnahm, glaubte Crowley, dass er eine kosmische Aufgabe als Befehlshaber jener Kräfte wahrnahm, die das Christentum stürzen würden:

      Es ist richtig, dem Tier zu gehorchen, denn Sein Gesetz ist reine Freiheit, und Er wird keinen Befehl geben, der etwas anderes ist als eine richtige Interpretation dieser Freiheit. Doch für die Entwicklung der Freiheit selbst ist es nötig, eine Organisation zu haben; und jede Organisation muss eine höchste zentrale Kontrolle haben. Dies ist besonders in Zeiten des Krieges notwendig, wie selbst die so genannten „demokratischen“ Nationen durch ihre Erfahrung gelehrt wurden. … Nun ist dieses Zeitalter in erster Linie eine „Zeit des Krieges“, vor allem jetzt, da es unser Werk ist, die Sklavengötter zu stürzen.24

      Es ist nicht nur offensichtlich, dass Crowley den vielen Hinweisen auf Krieg, Gewalt und Zerstörung in The Book of the Law viel Aufmerksamkeit widmete, sondern auch, dass seine Deutungen der gewaltsamen und apokalyptischen Passagen sich über die Zeit verändert haben. Crowley schrieb zwei wichtige Kommentare zu The Book of the Law, die er einfach als den „Alten Kommentar“ und den „Neuen Kommentar“ bezeichnete; außerdem verfasste er einen dritten Kommentar mit dem Titel „Der D genannte Kommentar“ (oft auch als Djeridensis-Werk bezeichnet) und den „Kurzen“ oder „Tunis-Kommentar“. An ihnen läßt sich deutlich verfolgen, wie sich Crowleys