Menschen vergleichen, das besser zu sein scheint, und sofort leiden wir.
Daher sind dank der Verfeinerung des menschlichen Verstandes selbst die privilegiertesten Leben voller Leiden. Und unglücklicherweise gehen die meisten von uns nicht sehr geschickt mit Leiden um. Allzu häufig reagieren wir auf schmerzhafte Gedanken, Gefühle und Sinnesempfindungen auf eine Weise, die auf lange Sicht selbstschädigend oder selbstzerstörerisch ist.
Zusammenfassend gesagt, die großen Herausforderungen, denen wir uns im Leben alle stellen müssen, sind:
A. Das Leben ist schwierig.
B. Ein volles menschliches Leben ist ein Leben mit der ganzen Bandbreite von Emotionen, sowohl angenehmen als auch unangenehmen.
C. Ein normaler menschlicher Verstand vergrößert auf natürliche Weise psychisches Leiden.
WIE KANN ACT NUN HELFEN?
ACT hat zum Ziel, das menschliche Potenzial für ein reiches und sinnvolles Leben dadurch zu maximieren, dass sie
• uns klären hilft, was uns wirklich wichtig ist und sinnvoll erscheint, das heißt, unsere Werte zu klären, und dieses Wissen zu nutzen, um uns bei der Festlegung von Zielen und bei unseren Handlungen zu leiten, zu inspirieren und zu motivieren, damit wir die Dinge tun können, die unser Leben bereichern und verbessern, und
• uns lehrt, psychische Fähigkeiten (»achtsame« Kompetenzen) zu trainieren, um mit schmerzlichen Gedanken und Gefühlen zweckmäßig umzugehen, und uns ganz auf alles einzulassen, was wir tun, und die erfüllenden Aspekte des Lebens wertschätzen und genießen zu können.
WARUM HAT ACT EINE SCHLECHTE PRESSE?
Hat man Ihnen schon einmal etwas zu Unrecht vorgeworfen? Das passiert ACT andauernd. Ich habe viele sagen hören, ACT sei kompliziert und verwirrend – und sogar, dass man einen hohen IQ bräuchte, um ACT zu verstehen. Also, wenn ich als Anwalt die Verteidigung des ACT-Modells zu übernehmen hätte, würde ich sagen: »Nicht schuldig, Euer Ehren!« Ich glaube, es gibt zwei Hauptgründe, warum ACT diesen unglücklichen Ruf bekommen hat. Ein Grund geht auf die Theorie zurück, die ACT zugrunde liegt: die Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory, RFT). In diesem Buch werden wir diese Theorie nicht behandeln, weil sie ziemlich technisch ist, und es viel Arbeit braucht, sie zu verstehen, während das Ziel dieses Buches ist, Sie in ACT einzuführen, die Hauptkonzepte zu vereinfachen und Ihnen zu helfen, sie schnell anzuwenden.
Das Gute an der Sache ist, dass Sie ein(-e) erfolgreiche(-r) ACT-The-rapeut(-in) sein können, ohne etwas von RFT zu wissen. Wenn ACT wie Autofahren ist, dann ist RFT wie das Wissen, wie der Motor funktioniert: Sie können ein sehr guter Autofahrer sein, ohne das Geringste von der Mechanik zu verstehen. (Andererseits sagen viele ACT-TherapeutInnen, dass es ihre therapeutische Wirksamkeit verbessert, wenn sie RFT verstehen. Daher erfahren Sie in Anhang C, falls Sie daran interessiert sind, wo Sie mehr Informationen bekommen können.)
Der andere wichtige Grund, warum Leute ACT kompliziert finden, ist der Umstand, dass ACT ein nichtlineares Therapiemodell ist. Es beruht auf sechs Kernprozessen, und Sie können mit jeder Klientin in jeder Sitzung zu jedem Zeitpunkt mit jedem von ihnen arbeiten. Und wenn Sie einmal in einem Prozess auf eine Blockade stoßen, können Sie einfach zu einem anderen wechseln. Dies unterscheidet ACT sehr von linearen Therapiemodellen, bei denen Sie einer festen Reihenfolge von Schritten folgen: Erst machen Sie Schritt A, dann Schritt B, dann Schritt C und so weiter.
Die Nichtlinearität von ACT hat einen großen Vorteil: Sie ermöglicht Ihnen als Therapeut eine unglaubliche Flexibilität. Wenn Sie an einem Punkt nicht mehr weiterkommen, können Sie zu einem anderen Prozess übergehen. Wenn Sie dann den Moment für richtig halten, können Sie dahin zurückkommen, wo Sie den Prozess unterbrochen haben. Der Nachteil der Nichtlinearität ist, dass ACT anfangs schwerer zu lernen ist als Modelle, bei denen eine bestimmte Schrittfolge vorgegeben ist.
Aber Sie müssen nicht verzweifeln. Seit einiger Zeit ist diese Aufgabe viel leichter geworden, und zwar dank eines sehr wirksamen Hilfsmittels, des Punktes der Entscheidung, den ich gleich vorstellen werde. Als Erstes aber wollen wir kurz diese sechs Kernprozesse behandeln.
DIE SECHS THERAPEUTISCHEN KERNPROZESSE VON ACT
Die sechs therapeutischen Kernprozesse von ACT sind Kontakt mit dem jetzigen Moment, Defusion, Akzeptanz, Selbst als Kontext, Werte und engagiertes Handeln. Bevor ich näher auf die einzelnen Prozesse eingehe, sehen Sie sich bitte die Darstellung unten an, die salopp als »Hexaflex« bezeichnet wird.
Betrachten wir nun die sechs Kernprozesse von ACT im Einzelnen:
Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment (im Hier und Jetzt sein). In Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment zu sein bedeutet flexibel auf die eigene Erfahrung zu achten: den Fokus verengen, erweitern, verschieben oder aufrechterhalten, je nachdem, was am nützlichsten ist. Dazu kann gehören, dass wir bewusst auf die physische Welt um uns herum oder die psychische Welt in uns achten, oder auf beide zugleich, und uns ganz mit unserer Erfahrung verbinden und uns auf sie einlassen.
Defusion (Gedanken beobachten). Defusion bedeutet zu lernen, »einen Schritt zurückzutreten« und sich von Gedanken, Bildern und Erinnerungen zu distanzieren bzw. zu lösen. Der vollständige Begriff lautet kognitive Defusion, wir sprechen jedoch normalerweise kurz von »Defusion«. Wir treten zurück und beobachten unser Denken, statt uns darin zu verstricken. Wir betrachten unsere Gedanken als das, was sie sind: nicht mehr und nicht weniger als Worte oder Bilder. Wir nehmen sie leicht, statt sie festzuhalten. Wir lassen uns von ihnen führen, aber nicht beherrschen.
Akzeptanz (sich öffnen). Akzeptanz bedeutet, sich für unerwünschte private Gefühle zu öffnen und ihnen Raum zu geben: Gedanken, Gefühle, Emotionen, Erinnerungen, Neigungen, Bilder, Impulse und Sinnesempfindungen. Statt gegen sie anzukämpfen, ihnen Widerstand entgegenzusetzen oder vor ihnen wegzulaufen, öffnen wir uns und geben ihnen Raum. Wir lassen sie frei durch uns hindurchfließen – und kommen und bleiben und wieder gehen, wie sie wollen (wenn uns dies hilft, effektiv zu handeln und unser Leben zu verbessern).
Selbst als Kontext (das wahrnehmende Selbst). In der Alltagssprache werden dem Verstand zwei unterschiedliche Elemente zugeschrieben: ein Teil, der denkt, und ein Teil, der beobachtet. Wenn wir von »Verstand« sprechen, meinen wir gewöhnlich diesen Teil von uns, der denkt und Gedanken, Überzeugungen, Erinnerungen, Urteile, Fantasien, Pläne und vieles mehr liefert. Normalerweise meinen wir nicht »den Teil, der beobachtet«: diesen Aspekt von uns, der sich dessen bewusst ist, was wir in jedem Moment denken, fühlen, sinnlich wahrnehmen. In der ACT lautet der entsprechende Fachbegriff dafür Selbst als Kontext. Gegenüber unseren Klientinnen sprechen wir im Allgemeinen nicht von Selbst als Kontext – aber wenn wir es tun, sprechen wir vom »wahrnehmenden Selbst« oder dem »beobachtenden Selbst« oder einfach von dem »Teil von uns, der wahrnimmt«. (Anmerkung: Weniger üblich kann sich »Selbst als Kontext« auf einen Prozess beziehen, der »flexibler Perspektivenwechsel« genannt wird. Belasten Sie sich jetzt aber nicht damit; wir schauen es später an.)
Schwierige Terminologie
Defusion, Akzeptanz, Selbst als Kontext und Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment – Gegenwärtigkeit (auch »flexible Aufmerksamkeit« genannt) sind die vier Kernprozesse der Achtsamkeit der ACT. Wann immer Sie also bei der ACT dem Begriff »Achtsamkeit« begegnen, kann er sich auf einen dieser Prozesse oder auf alle und in jeder Kombination beziehen.
Werte (wissen, worauf es ankommt). Wofür wollen Sie im Leben eintreten? Wie wollen Sie die kurze Zeitspanne nutzen, die Ihnen auf diesem Planeten geschenkt ist? Wie möchten Sie sich selbst, andere und die Welt um sich herum behandeln? Werte sind erwünschte Qualitäten von offenem, also physischen oder psychischen Handeln. Mit anderen Worten: Sie beschreiben, wie wir uns grundsätzlich verhalten wollen. Wir vergleichen Werte gemeinhin mit einem Kompass, da sie uns die Richtung weisen und uns auf unserer Reise leiten.
Verantwortliches Handeln (tun, was nötig ist). Engagiertes Handeln (Commitment) bedeutet