Russ Harris

ACT leicht gemacht


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oder destruktiv wirken können.

      Diese »dunkle Seite« des Verstandes ist vollkommen normal und natürlich und eine Quelle von Leiden für einfach jede und jeden. Und wenn wir es wagen, die dunkle Seite zu erforschen (Sie merken, ich bin ein Fan von Krieg der Sterne), begegnen wir bald den heimlichen Geschwistern psychischen Leidens: kognitiver Fusion und Erlebnisvermeidung.

      KOGNITIVE FUSION

      Kognitive Fusion – normalerweise zu Fusion verkürzt – bedeutet im Grunde, dass unsere Kognitionen unser Verhalten (offen oder verborgen) auf eine Weise beherrschen, die selbstschädigend oder problematisch ist. Mit anderen Worten, unsere Kognitionen haben einen negativen Einfluss auf unsere Handlungen und auf unser Gewahrsein.

      Schwierige Terminologie

      In der ACT bezieht sich der Begriff »Kognition« auf alle Kategorien von Denken – einschließlich Überzeugungen und was man glaubt, Vorstellungen, innere Haltungen, Annahmen, Fantasien, Erinnerungen, Bilder und Schemata – sowie auf Aspekte von Gefühlen und Emotionen. Viele Therapiemodelle treffen eine künstliche Unterscheidung von Kognition und Emotion, als wären sie getrennte Entitäten. Aber wenn wir eine Emotion untersuchen – Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle, Angst, Liebe, Freude, was auch immer –, finden wir, dass die Erfahrung in Kognition »gesättigt« ist; da gibt es einen Reichtum an Bildern, Gedanken, Vorstellungen, Bedeutungen, Eindrücken oder Erinnerungen in einer »Mischung« mit allen möglichen physischen Impulsen, dringenden Bedürfnissen und Sinnesempfindungen im Körper. Dies ist der Grund, weshalb Sie mich häufig von Fusion mit »Gedanken und Gefühlen« sprechen hören.

      Gegenüber Klienten verwende ich den Begriff »Fusion« nur, wenn sie ihn vor der Therapie schon gekannt haben. Vor allem spreche ich davon, »in den Griff von etwas zu geraten« – ein nützlicher Ausdruck, der sowohl Fusion als auch Erlebnisvermeidung abdeckt. Wir können darüber sprechen, wie unsere Gedanken und Gefühle uns »in den Griff bekommen«: sie besetzen unsere Aufmerksamkeit, halten uns zum Narren und bringen uns von der Spur ab.

      Zwei Hauptformen, wie sich Fusion zeigt

      Kognitive Fusion zeigt sich auf zweierlei Weise:

      1. Unsere Kognitionen dominieren auf problematische Weise unsere physischen Handlungen. Als Reaktion auf unsere Kognitionen sagen und tun wir Dinge, die für den Aufbau des Lebens, das wir leben möchten, ineffektiv sind. Zum Beispiel sage ich als Reaktion auf den Gedanken Niemand mag mich ein wichtiges Treffen mit Freundinnen ab.

      2. Unsere Kognitionen dominieren auf problematische Weise unser Bewusstsein. Mit anderen Worten, wir werden in unsere Kognitionen »hineingezogen« oder »verlieren« uns in ihnen, sodass unser Bewusstsein reduziert ist, und wir nicht mehr auf eine zweckmäßige Weise aufmerksam sind. Zum Beispiel »verwickle« ich mich so sehr in Sorgen oder Grübeln, dass ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht bei den wichtigen Aufgaben bleiben kann, die ich bei der Arbeit erfüllen muss, und fange an, eine Menge Fehler zu machen.

      Es herrscht in der ACT Einigkeit darüber, dass der Begriff »Fusion« nur verwendet werden sollte, wenn der Prozess zu problematischem, selbstschädigendem Verhalten führt. Mit anderen Worten, wenn unser offenes oder verborgenes Verhalten als Reaktion auf unsere Kognitionen in einem Ausmaß eng, rigide und unflexibel wird, das ineffektiv und selbstschädigend ist (z. B. das Leben auf lange Sicht schlechter macht, Gesundheit und Wohlbefinden schadet und uns von unseren Werten abbringt), würden wir den Begriff »Fusion« verwenden. Wenn das nicht der Fall ist, würden wir das nicht tun.

      Wenn ich zum Beispiel auf eine Weise »in meinen Gedanken verloren« bin, die lebensfördernd ist – wie in Tagträumen, während ich im Urlaub am Strand liege, oder im richtigen Moment in Gedanken eine wichtige Rede probe – würden wir das eher »Versunkenheit« als Fusion nennen.

      Ich werde Ihnen jetzt eine meiner Lieblingsmetaphern vorstellen, um kurz die Konzepte Fusion und Defusion zu vermitteln. Ich werde Sie die Übung Schritt für Schritt machen lassen, sodass Sie sie aus eigener Erfahrung kennenlernen können.

      Metapher von den Händen als Gedanken und Gefühle

      [Anmerkung: Lesen Sie diesen ersten Abschnitt und legen Sie das Buch dann weg, damit Sie beide Hände benutzen können. Machen Sie diese Übung, als wären Sie der Klient, der der Anleitung der Therapeutin folgt.]

      Therapeutin: Stellen Sie sich einen Moment vor, Ihre Hände wären Ihre Gedanken und Gefühle. Schauen Sie sich um und stellen Sie sich vor, dass das, was Sie sehen, alles darstellt, was in Ihrem Leben wichtig ist. Dann halten Sie Ihre Hände zusammen, mit den Handflächen so nach oben, als wären sie die Seiten eines geöffneten Buches. Dann heben Sie die Hände langsam und gleichmäßig – nehmen Sie sich dafür etwa fünf Sekunden – in Richtung Ihres Gesichts. Machen Sie das, bis sie Ihre Augen bedecken. Nehmen Sie sich dann ein paar Sekunden Zeit, um die Welt um Sie herum (durch die Spalten zwischen den Fingern) zu betrachten, und beobachten Sie, wie sich dies auf Ihre Sicht der Welt auswirkt.

      (Bitte machen Sie jetzt diesen Teil, bevor Sie weiterlesen.)

      —

      Therapeutin: Wie wäre es, den ganzen Tag mit den Händen in dieser Weise vor den Augen herumzulaufen? Wie stark würde Sie dies einschränken? Wie viel würde Ihnen entgehen? Wie stark würde es Ihre Fähigkeit einschränken, auf die Welt um Sie herum einzugehen? Das ist es, was ich mit »im Griff von etwas« meine: Wir werden so sehr in unsere Gedanken und Gefühle verstrickt, dass wir das Leben verpassen und nicht wirkungsvoll handeln können.

      (Wenn Sie am Ende dieses Abschnitts angelangt sind, führen Sie diesen nächsten Teil der Übung durch.)

      Therapeutin: Bedecken Sie bitte Ihre Augen mit den Händen, aber dieses Mal nehmen Sie sie sehr, sehr langsam von Ihrem Gesicht. Nehmen Sie wahr, wie viel leichter es ist, mit der Welt um Sie herum in Kontakt zu treten, je größer die Distanz zwischen den Händen und Ihrem Gesicht ist.

      (Machen Sie das bitte, bevor Sie weiterlesen.)

      Therapeutin: Dies ist das, was ich »aus dem Griff lösen« nenne. Wie viel leichter ist es nun, wirkungsvoll zu handeln? Wie viel mehr Informationen können Sie aufnehmen? Wie viel stärker sind Sie mit der Welt um sich herum verbunden?

      —

      Diese Metapher (Harris, 2011) veranschaulicht die zwei Hauptzwecke der Defusion: sich voll und ganz auf die Erfahrung einlassen und wirkungsvolles Handeln ermöglichen. (Eine kurze Bemerkung: Das Ziel der Defusion ist nicht, unerwünschte Gedanken und Gefühle loszuwerden oder zu bewirken, dass wir uns besser fühlen. Dazu kommt es häufig als ein Ergebnis von Defusion, aber wir werden später sehen, dass wir in der ACT das als Bonus oder Nebeneffekt, nicht als eigentlichen Zweck bzw. Ziel sehen.)

      Eine kurze Zusammenfassung von Fusion versus Defusion

      Wenn man mit einer Kognition verschmilzt, kann das so aussehen wie

      • etwas, dem man gehorchen, nachgeben oder auf das hin man handeln muss;

      • eine Gefahr, die man vermeiden oder die man loswerden muss;

      • etwas sehr Wichtiges, das unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht.

      Wenn wir uns aus dem Griff dieser Kognition lösen, können wir sie als das sehen, was sie ist: eine Gruppe von Wörtern oder Bildern »in unserem Kopf«. Wir können erkennen, dass sie

      • nicht etwas ist, dem wir gehorchen, nachgeben oder auf die hin wir handeln müssen;

      • definitiv keine Bedrohung für uns darstellt; und

      • dass sie wichtig ist oder nicht: Wir können entscheiden, wie viel Aufmerksamkeit wir ihr schenken.

      Nützlichkeit

      Das gesamte ACT-Modell basiert auf dem Schlüsselkonzept der Nützlichkeit (workability). Prägen Sie sich diesen Begriff – Nützlichkeit – bitte gut ein. Sie liegt allen unseren Interventionen zugrunde. Um festzustellen, was funktioniert, stellen wir folgende Frage: »Trägt das, was Sie tun, zu einem reichen, erfüllten und sinnvollen Leben bei?« Lautet die Antwort Ja, »taugt«