Russ Harris

ACT leicht gemacht


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und Sinnesempfindungen.

      Alle Menschen vermeiden Erfahrung in gewissem Maß. Warum ist das so? Hier eine klassische ACT-Metapher, die man verwenden kann, um es Klienten zu erklären.

      Die Problemlösemaschine

      Therapeutin: Müssten wir eine Fähigkeit des menschlichen Verstandes nennen, die uns in die Lage versetzt hat, so erfinderisch zu sein, dass wir nicht nur das Erscheinungsbild unseres Planeten verändert haben, sondern ihn auch verlassen können, wäre es die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Problemlösung ist im Wesentlichen Folgendes: Ein Problem bedeutet etwas Unerwünschtes. Und eine Lösung bedeutet, das Problem zu vermeiden oder loszuwerden. In der physischen Welt funktioniert Problemlösung oft sehr gut. Ein Wolf vor der Tür? Werfen Sie Steine oder Speere nach ihm oder erschießen Sie ihn und Sie sind ihn los. Schnee, Regen, Hagel? Das Wetter können Sie zwar nicht loswerden, aber Sie können sich in einer Höhle, einem Haus oder einem Unterschlupf verkriechen bzw. geeignete Kleidung tragen. Trockener, ausgedörrter Boden? Sie können ihn bewässern und düngen und das Problem auf diese Weise loswerden. Sie können aber auch zu einem besser geeigneten Ort weiterziehen und somit das Problem umgehen.

      Unser Verstand arbeitet wie eine Problemlösemaschine und er macht seine Aufgabe sehr gut. Da das Lösen von Problemen in der materiellen Welt so gut funktioniert, ist es nur natürlich, dass der Verstand mit unserer inneren Welt, der Welt der Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Empfindungen und Neigungen, genauso verfahren möchte. Aber leider funktioniert es oft nicht, wenn wir unerwünschte Gedanken oder Gefühle vermeiden oder loswerden möchten. Und wenn es funktioniert, ist es mit viel zusätzlichem Leid verbunden.

      Wie Erlebnisvermeidung das Leiden vergrößert

      Wir werden an späterer Stelle noch einmal auf die Metapher der Problemlösemaschine zurückkommen. Jetzt wollen wir uns zunächst der Frage widmen, wie Erlebnisvermeidung das Leid vergrößert. Suchtverhalten liefert dazu ein gutes Beispiel: Viele Süchte beginnen als ein Versuch, unerwünschte Gedanken und Gefühle wie Langeweile, Einsamkeit, Angst, Schuldgefühle, Wut oder Traurigkeit zu vermeiden oder loszuwerden. Glücksspiele, Drogen, Alkohol oder Zigaretten helfen zwar oft, sich vorübergehend von solchen Gefühlen zu befreien. Mit der Zeit bringen sie jedoch jede Menge Schmerz und Leid mit sich.

      Je mehr Zeit und Energie wir aufwenden, um unerwünschte innere Erlebnisse zu vermeiden oder loszuwerden, desto mehr werden wir auf lange Sicht seelisch leiden. Angststörungen liefern hier ein gutes Beispiel. Das Erleben von Angst ist nicht das, was zu einer Angststörung führt. Immerhin ist Angst ein ganz normales Gefühl, das wir alle kennen. Angststörungen sind vor allem durch übermäßige Erlebnisvermeidung gekennzeichnet. Das Leben der Betroffenen wird von dem Versuch dominiert, Angst zu vermeiden oder loszuwerden. Angenommen, ich würde in sozialen Situationen Angst empfinden und daher soziale Kontakte meiden, um diesen Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Jetzt habe ich eine »soziale Phobie«. Kurzfristig liegt der Nutzen auf der Hand – ich vermeide die angstvollen Gedanken und Gefühle – langfristig ist der Preis jedoch sehr hoch: Ich fühle mich isoliert und eingeschränkt und gerate in einen Teufelskreis.

      Eine andere Lösung wäre, meine Ängste dadurch zu verringern, dass ich in die Rolle der »guten Zuhörerin« schlüpfe. Ich werde sehr empathisch und fürsorglich. Ich erfahre viel über die Gedanken, Gefühle und Wünsche der anderen, mit denen ich spreche, gebe aber wenig oder nichts über mich preis. Kurzfristig lässt sich damit meine Angst vor Verurteilung oder Ablehnung verringern, auf lange Sicht mangelt es meinen Beziehungen jedoch an Nähe, Offenheit und Authentizität.

      Nehmen wir einmal an, ich würde Valium oder ein anderes Mittel, das meine Stimmung verändert, gegen meine Angst nehmen. Auch hier liegt der kurzfristige Nutzen wieder auf der Hand: weniger Angst. Langfristig bedeutet der Gebrauch von Benzodiazepinen, Antidepressiva, Marihuana oder Alkohol gegen meine Angst unter Umständen (a) psychische Abhängigkeit von der Substanz, (b) möglicherweise eine körperliche Abhängigkeit, (c) sonstige körperliche und emotionale Nebenwirkungen, (d) eine finanzielle Belastung und (e) keine Chance, zu lernen, effektiver mit der Angst umzugehen, wodurch sie entweder bestehen bleibt oder sich sogar noch verschlimmert.

      Noch eine Möglichkeit, auf soziale Phobie zu reagieren, wäre, die Zähne zusammenzubeißen und trotz meiner Angst soziale Kontakte aufzunehmen, die Gefühle also auszuhalten, obwohl sie mich belasten. Aus der ACT-Perspektive wäre auch Letzteres Erlebnisvermeidung. Warum? Weil ich die Situation zwar nicht vermeide, aber dennoch gegen meine Gefühle ankämpfe und verzweifelt hoffe, dass sie weggehen. Damit halte ich sie aus, akzeptiere sie aber nicht.

      Es gibt einen großen Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz. Möchten Sie, dass die von Ihnen geliebten Menschen Ihre Gegenwart aushalten, hoffen, dass Sie bald wieder gehen, und immer wieder schauen, ob Sie schon weg sind? Oder ist es Ihnen lieber, wenn sie Sie voll und ganz so akzeptieren, wie Sie sind – mit Ihren Macken und Schwächen –, und bereit sind, Sie so lange um sich zu haben, wie Sie anwesend sein möchten?

      Meine Angst aushalten, also die Zähne zusammenzubeißen und sie durchzustehen, erfordert große Anstrengung und viel Energie – und es macht es schwer, sich voll und ganz auf soziale Interaktionen einzulassen. Mir entgeht dadurch viel von der Freude und Erfüllung, die normalerweise mit sozialen Kontakten verbunden sind. Dies wiederum steigert meine Angst vor künftigen sozialen Ereignissen, da ich sie nicht genießen kann, ich mich fürchterlich fühle oder es so anstrengend ist.

      Je mehr Bedeutung wir der Angstvermeidung zumessen, desto mehr Angst vor der Angst entwickeln wir leider auch. Ein solcher Teufelskreis steht im Zentrum sämtlicher Angststörungen. (Angst vor der Angst ist im Grunde das, was eine Panikattacke ausmacht.) Versuche, unerwünschte Gedanken und Gefühle zu vermeiden, können sie paradoxerweise häufig verstärken. Forschungen haben beispielsweise ergeben, dass die Unterdrückung unerwünschter Gedanken zu einem sogenannten Rückpralleffekt führen kann, durch den sich Intensität und Häufigkeit der unerwünschten Gedanken sogar noch erhöhen (Wenzlaff & Wegner, 2000). Anderen Studien ist zu entnehmen, dass der Versuch, eine Stimmung zu unterdrücken, diese durch eine Selbstverstärkungsschleife sogar noch intensivieren kann (Feldner, Zvolensky, Eifert & Spira, 2003; Wegner, Erber & Zanakos, 1993).

      In zahlreichen Studien zeigte sich, dass eine stärkere Erlebnisvermeidung mit Angststörungen, übermäßig sorgenvollen Gedanken, Depressivität, verminderter Leistungsfähigkeit, stärkerem Substanzmissbrauch, geringerer Lebensqualität, hochriskantem Sexualverhalten, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, schwereren Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), Berufsunfähigkeit und insgesamt stärkeren psychopathologischen Symptomen in Verbindung gebracht werden. (Hayes et al., 2004).

      Es ist daher kaum überraschend, dass eine wesentliche Komponente der meisten ACT-Protokolle darin besteht, den Klienten mit dem Preis und der Sinnlosigkeit von Erlebnisvermeidung in Kontakt zu bringen. Dies ist häufig ein wesentlicher erster Schritt, um den Weg für ein radikal anderes Vorgehen zu ebnen: Akzeptanz von Erfahrung. Wir wollen ein achtsames, werteorientiertes Leben ermöglichen, aber natürlich ohne zu Achtsamkeitsfaschisten zu werden.

      Achtsamkeitsfaschisten

      ACT-Therapeutinnen und -Berater sind keine »Achtsamkeitsfaschisten«. Wir bestehen nicht darauf, dass alle immer im Hier und Jetzt sein, Abstand zu ihren Gedanken halten und ihre Zustände immer akzeptieren müssen. Das wäre lächerlich. Erlebnisvermeidung ist nicht grundsätzlich »schlecht« oder »pathologisch«: Sie ist normal. Wir befassen uns lediglich dann mit ihr, wenn sie exzessiv, rigide oder unangemessen ist, – in einem Maß, das einem reichen, sinnvollen und erfüllten Leben im Weg steht.

      Wenn wir in ACT-Lehrbüchern von Erlebnisvermeidung als problematisch oder pathologisch sprechen, meinen wir nicht jede Erlebnisvermeidung. Wir meinen exzessive, rigide, unangemessene Erlebnisvermeidung. Wenn wir von Zeit zu Zeit eine Aspirintablette gegen Kopfschmerzen nehmen, ist das Erlebnisvermeidung – aber es ist sinnvoll, da es langfristig zur Verbesserung unserer Lebensqualität beiträgt.

      Wenn wir jeden Abend hauptsächlich deshalb ein Glas Rotwein trinken, weil wir angespannt und gestresst sind, ist auch dies Erfahrungsvermeidung; solange diese Angewohnheit jedoch keine Beschwerden verursacht, wird sie wahrscheinlich weder schädlich noch gefährlich sein und auch unser