Klaus Kamphausen

Ich bringe mich um!


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Das Leben ist (k)eine Alternative

      Schluss machen

       Anhang 1

       Unterscheidung der verschiedenen Arten der Selbsttötung nach dem Bundesamt für Statistik

       Anhang 2

       Selbsttötungen weltweit pro 100.000 Einwohner nach Staaten unterschieden

       Anhang 3

       Liste der bekannten Personen, die ihr Leben durch Selbsttötung beendet haben

       Anhang 4

       Versuch der Selbsttötung von Kaiser Napoléon Bonaparte nach einem Augenzeugenbericht

       Anhang 5

       Internetadressen, Adressen und Telefonnummern zum Thema Suizidprävention und Krisenintervention, für Beratung und Erste Hilfe

       Quellenangaben

       Literatur

       Danke

      … und doch ist von allen, den Geist eingrenzenden Schranken die unerträglichste die, die uns verhindert, andere zu verstehen.

      Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

      Viele Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, stecken in einer Unverständlichkeit. Was heißt das?

      Sie können oder wollen sich anderen Menschen nicht mitteilen.

      Oder:

      Sie werden von anderen Menschen nicht verstanden.

      Nicht gehört.

      Überhört.

      Oder:

      Sie fühlen sich unverstanden.

      Oder:

      Sie verstehen andere Menschen nicht.

      Oder:

      Sie verstehen die Welt nicht mehr.

      Oder:

      Sie verstehen sich selbst nicht.

      Oder:

      Tiefer Schmerz, Trauer oder Depression blockieren eine Verständlichkeit.

      Manchmal sind es die Inhalte oder Umstände, die unverständlich bleiben. Weil sie zu vielschichtig und kompliziert sind oder so erscheinen. Meist ist es jedoch die Sprache selbst, die eine Verständigung von vornherein unmöglich macht.

      Die Sprache des Philosophen – in seinem Bemühen, sich so genau wie möglich zu artikulieren – ist gespickt mit „Fremd-Worten“ aus dem Lateinischen und Griechischen.

      Das Gleiche gilt für die Formulierungen der Mediziner und Psychologen, der Historiker, Theologen und Literaten.

      Das „Fremd-Wort“, oft auch mit der Alibi-Bezeichnung „Fachbegriff“ tituliert, trägt schon in seinem Namen den Keim der Unverständlichkeit. Jedes Fremdwort, das ich in meiner Sprache benutze, entfremdet meine Sprache mehr. Es macht mich außerhalb einer Elite, die mit der Bedeutung dieser Fremdworte vertraut ist, unverständlich.

      Es ist schon erstaunlich, wie sich eine bestimmte intellektuelle Elite in Deutschland über die gar so grässlichen Anglizismen in der deutschen Sprache empört. Gleichzeitig bedienen sich diese Empörten einer Sprache voller Lehn- und Fremdworte aus dem Griechischen und Lateinischen, gelegentlich auch des Französischen. Damit wiederum bleibt die Elite auch in ihrer Empörung bei vielen unverstanden und ungehört.

      Eliten haben ohnehin einen Hang sich abzugrenzen und damit andere automatisch auszugrenzen. Egal ob Macht- oder Bildungselite.

      Das Wort „Elite“ stammt übrigens vom Lateinischen „electus“ und bedeutet so viel wie „auserlesen“.

      Dieses Buch will nicht elitär sein, es will weder aus- noch abgrenzen.

      Es will durch eine verständliche Sprache und eine breite, tabulose, wertfreie Behandlung des Themas der Unverständlichkeit entgegentreten.

      Trotz aller Versuche und Vorsätze verständlich zu sein, dieses Buch ist keine leichte Lektüre, weil es ein Buch über das Leben ist.

      Selbstmord.

      Freitod.

      Suizid.

      Selbsttötung.

      Das in der Umgangssprache immer noch geläufigste und meistgebrauchte Wort ist „Selbstmord“. Während im Mittelalter noch von „Selbst-Entleibung“ gesprochen wurde, taucht der Begriff „Selbstmord“ das erste Mal zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf. Die erste schriftliche Aufzeichnung des Wortes „Selbstmord“ ist 1643 bei dem Theologen Johann Conrad Dannhauer belegt. Vermutlich geht das Wort auf Martin Luthers Formulierung aus dem Jahr 1527 zurück: „sein selbs mörder“ (seiner selbst Mörder).

      Aber schon der Kirchenvater Aurelius Augustinus nennt in seinem Werk „De civitate Dei“, „Vom Gottesstaat“, im 4. Jahrhundert den Selbstmord („morte voluntaria“) einen Mord.

      Ein Mord ist ein Kapitalverbrechen. Meist eine Tat aus Heimtücke oder niedriger Gesinnung. Der Gebrauch des Wortes „Selbstmord“ rückt den Menschen, der sich das Leben genommen hat, automatisch in die Nähe des Verbrechers. Er hat etwas Verbotenes getan. Er hat ein Verbrechen begangen. An sich. An anderen. Er hat sich selbst und andere mit dieser Tat bestraft. Das Wort „Selbstmord“ bringt so eine extrem negative Bewertung und Verurteilung mit sich, selbst wenn diese von dem Menschen, der das Wort benutzt, nicht beabsichtigt ist.

      Der zweite Grund, den Begriff „Selbstmord“ abzulehnen, ist einfach vom Verständnis der Sprache zu erklären. Zu einem Mord gehören immer mindestens zwei Personen: der Mörder, also der Täter, und sein Opfer. Wenn sich aber ein Mensch umbringt, ist nur eine Person beteiligt. Diese ist zugleich Täter und Opfer. Diese eine Person fasst den Entschluss, sie führt den Tod durch eigene Hand oder Handlung herbei und erleidet ihn.

      Das Wort „Freitod“ geht auf Friedrich Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“ (1884) zurück. In der „Rede vom freien Tode“ heißt es:

      „Viele sterben zu spät, und einige sterben zu früh. Noch klingt fremd die Lehre: ,stirb zur rechten Zeit!‘ (…)

      Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht.

      Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein Gelöbnis wird.

      Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden.

      Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! (…)

      Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will.

      Und wann werde ich wollen? – Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will den Tod zur rechten Zeit für Ziel und Erben.“1

      Der Gebrauch des Wortes „Freitod“ beinhaltet eine freie Entscheidung des Handelnden. Ob diese Freiheit bei verzweifelten, depressiven, schwer kranken Menschen wirklich gegeben ist, bleibt bis heute Streitpunkt. Durch die Vermeidung des Wortes „Freitod“ soll dieser Diskussion nicht vorweggegriffen werden.

      Das Wort „Suizid“ vom Lateinischen „sui caedere“, „sich töten“, ist ein neutraler, meist von der Wissenschaft und der Medizin genutzter Begriff. Er ist klinisch, kühl, ohne Anklang an Leben oder Tod, ohne Ahnung für diese einmalige und gewaltige Tat.

      „Selbsttötung“ ist die mehr oder weniger eingedeutschte Version des Begriffs „Suizid“. Mit dem Wort „Selbsttötung“ lässt sich (nach Meinung