Jeff war sich sicher, dass er seine Frau Arlene nicht mehr liebte und seine Ehe nach sechsundzwanzig Jahren nicht mehr zu retten sei. Er wollte sich von dem Druck befreien, sich ständig beurteilt und als mangelhaft bewertet zu fühlen. Arlene hingegen fühlte sich verletzt und war wütend, weil Jeff ihrer Ansicht nach jeglicher echter Kommunikation oder emotionaler Nähe aus dem Weg ging. Als allerletzten Versuch überredete sie ihn, zu einem von ihrer Kirche organisierten Wochenend-Workshop für Paare zu gehen. Zu ihrer beider Überraschung entstand dabei in ihnen wieder ein Hoffnungsschimmer für eine gemeinsame Zukunft. Sie nahmen die Botschaft mit: »Liebe ist eine Entscheidung.« Die Workshopleiter hatten erklärt, Liebe sei zwar nicht immer spürbar, aber immer verfügbar, wenn wir uns entscheiden, sie zu erwecken.
Doch zurück in ihrem Alltag der alten Angriffs- und Verteidigungsmuster, schien die »Entscheidung für die Liebe« nur noch als unwirksamer intellektueller Schachzug. Entmutigt kam Jess zu einer Beratungssitzung zu mir. »Ich weiß nicht, wie ich von A nach B kommen kann«, erklärte er mir. »Gestern zum Beispiel waren wir zusammen. Mein Verstand riet mir, mich für die Liebe zu entscheiden, aber es bewirkte nichts – mein Herz war verschlossen. Arlene beschuldigte mich für irgendetwas, und ich wollte nur noch weg von ihr!«
»Betrachten wir noch mal, was da gestern passierte«, schlug ich vor. Ich lud ihn ein, seine Augen zu schließen, sich die Situation wieder zu vergegenwärtigen und dann seine Ansichten über Richtig und Falsch loszulassen. »Erlauben Sie sich, einfach zu erfahren, wie es sich in Ihrem Körper anfühlt, wenn Sie sich beschuldigt fühlen und wegwollen.« Jeff saß still, doch sein Gesicht zog sich zu einer Grimasse zusammen. »Bleiben Sie dabei, die Gefühle zuzulassen«, ermutigte ich ihn, »und finden Sie heraus, was sich daraus entfaltet.«
Allmählich entspannte sich sein Gesicht. »Jetzt fühle ich mich festgefahren und traurig«, meinte er. »Wir verbringen so viel Zeit damit, uns so zu verstricken. Ich ziehe mich zurück, oft ohne dass ich es bemerke, und das verletzt sie. Dann regt sie sich auf … und dann ist mir sehr bewusst, dass ich wegwill. Es ist traurig, sich so festgefahren zu haben.«
Er schaute zu mir auf, und ich nickte verständnisvoll. »Wie wäre es, Jeff, wenn Sie, statt sich diesen Begegnungen zu entziehen, ihr genau sagen könnten, was Sie innerlich erleben?« Und ich fügte hinzu: »Und wenn auch sie Ihnen, ohne Sie anzuschuldigen, von ihren Gefühlen erzählen könnte?«
»Dazu müssten wir wissen, was wir fühlen!«, erwiderte er mit einem schwachen Lachen. »Meistens sind wir zu sehr damit beschäftigt, zu reagieren.«
»Genau«, bestätigte ich. »Sie müssten beide darauf achten, was in Ihnen vor sich geht. Und das widerspricht unserer Konditionierung. Wenn wir emotional erregt sind, verlieren wir uns in unseren Geschichten darüber, was gerade passiert, und verfangen uns in reflexartigem Verhalten – wie Anschuldigungen oder Flucht. Um unseren Konditionierungen nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein, müssen wir üben, aufmerksam zu sein.«
Ich erklärte ihm, wie die Praxis der Meditation unsere Fähigkeit zur Präsenz, zum direkten Kontakt mit unserer gegenwärtigen Erfahrung stärkt. Das schenkt uns mehr Spielraum und Kreativität, auf die gegebenen Umstände einzugehen, statt einfach nur zu reagieren. Ich lud ihn und Arlene zu meinem wöchentlichen Meditationskurs ein, und er sagte gleich zu. Am nächsten Mittwochabend waren beide da, und einen Monat später kamen sie zu einem Meditations-Wochenende, welches ich leitete.
Einige Wochen nach dem Retreat unterhielten wir drei uns kurz nach dem Kurs. Arlene erzählte, dank ihrer Meditationspraxis seien sie dabei, zu lernen, sich für die Liebe zu entscheiden. »Wir müssen uns immer und immer wieder für die Präsenz entscheiden«, berichtete sie. »Wir müssen uns für Präsenz entscheiden, wenn wir wütend sind; Präsenz, wenn wir keine Lust haben, zuzuhören; Präsenz, wenn wir alleine sind und uns immer wieder dieselben alten Geschichten erzählen, wie verkehrt der andere sei. Diese Entscheidung für Präsenz ist unser Weg, unsere Herzen zu öffnen.« Jeff nickte zustimmend. »Ich habe erkannt, dass es nicht darum geht, von A nach B zu kommen«, fügte er lächelnd hinzu. »Es geht darum, ganz gegenwärtig bei Punkt A zu sein, bei dem Leben in diesem Moment, egal, was passiert. Der Rest ergibt sich dann.«
Die Zuflucht zur Präsenz – die Entscheidung für Präsenz – braucht Übung. Wenn sich »Punkt A« unangenehm anfühlt, ist Dableiben und Spüren das Letzte, wozu wir Lust haben. Statt uns »den Wellen anzuvertrauen«, wollen wir weg, zurückschlagen, uns betäuben, alles andere, nur nicht spüren, was wirklich ist. Doch wie Jeff und Arlene merkten, bleiben wir in falschen Zufluchten klein und abwehrbereit. Nur indem wir unsere Aufmerksamkeit vertiefen und das Leben einfach so sein lassen, wie es ist, können wir wahre Nähe zu uns selbst und anderen erfahren. In den über fünfunddreißig Jahren, die ich Meditation lehre, habe ich erlebt, wie sie unzähligen Menschen geholfen hat, zur Liebe zurückzufinden, emotionales Leiden loszulassen und sich aus Süchten zu befreien. In jedem einzelnen Fall bildete die innere Verpflichtung zur regelmäßigen Meditation die Grundlage zu einer tiefen, wundervollen Transformation von Herz und Geist.
Den Geist trainieren
Wenn wir uns mitten im Dickicht lebenslanger Muster der Unsicherheit oder Anschuldigung befinden, ist es schwer zu glauben, dass Änderung möglich ist. Bis vor Kurzem schien die Wissenschaft diese Skepsis zu bestätigen. Neurologen glaubten, dass unsere grundlegenden Verschaltungen im Gehirn mit dem Erreichen des Erwachsenenalters festgelegt seien und wir unseren zentralen emotionalen Prägungen dann nicht mehr entkommen könnten. Wenn wir die ersten zwei Jahrzehnte unseres Lebens passiv, ängstlich und verwirrt waren, sei es uns bestimmt, so den Rest unseres Lebens zu verbringen. Doch mit Hilfe von Gehirntomografie und anderen Techniken haben die Forscher die dem Gehirn innewohnende Neuroplastizität entdeckt: Während des ganzen Lebens kann sich das Gehirn weiterentwickeln und verändern, und es können neue neuronale Verbindungen entstehen und gestärkt werden. Das heißt, auch wenn wir uns emotional tief verstrickt haben, verfügen wir über die Kapazität, neue Wege zu entwickeln, auf das Leben zu reagieren.
Was immer Sie regelmäßig denken oder tun, wird zur Gewohnheit, zu einer stark konditionierten neuronalen Bahnung im Gehirn. Je mehr Sie darüber nachdenken, was schiefgehen kann, desto mehr ist Ihr Verstand darauf angelegt, Schwierigkeiten zu erwarten. Je öfter Sie verärgert ausfällig werden, desto mehr sind Ihr Körper und Ihr Verstand auf Aggression programmiert. Je mehr Sie darüber nachdenken, wie Sie anderen helfen können, desto mehr werden Ihr Verstand und Ihr Herz zur Großzügigkeit neigen. So wie Gewichtheben Muskeln aufbaut, kann die Ausrichtung Ihrer Aufmerksamkeit Ängste, Feindseligkeit und Abhängigkeit fördern oder Sie zu Heilung und Erwachen führen.
Sie können sich Präsenz wie einen von einer Quelle gespeisten Waldteich vorstellen – klar, still und rein. Weil wir so viel Zeit damit verbracht haben, uns in den Wäldern unserer Gedanken und Emotionen zu verirren, fällt es uns oft schwer, diesen Teich zu finden. Doch wenn wir uns immer und immer wieder hinsetzen und meditieren, wird uns der Weg durch den Wald allmählich vertrauter. Wir erkennen diese Lücke zwischen den Bäumen wieder, wir erinnern uns an diese Wurzel, über die wir schon so oft gestolpert sind, und selbst wenn wir uns im Dickicht verfangen haben, vertrauen wir darauf, dass wir unseren Weg finden werden.
Die regelmäßige Meditationspraxis erzeugt in unserem Geist neue Pfade, die uns heim zu der Klarheit, Offenheit und Leichtigkeit der Präsenz führen. Der Buddha hat viele Strategien gelehrt, diese Pfade zu kultivieren, unter denen die Praxis der Achtsamkeit jedoch eine zentrale Stellung einnimmt. Achtsamkeit ist der bewusste Prozess urteilsfreier Aufmerksamkeit für die sich von Augenblick zu Augenblick entfaltende Erfahrung. Wenn Sie sich in Sorgen um Ihren Kontostand verlieren, bemerkt die Achtsamkeit diese sorgenvollen Gedanken und das damit einhergehende Gefühl der Ängstlichkeit. Wenn Sie sich darin verlieren, auszuprobieren, was Sie einer anderen Person sagen könnten, bemerkt die Achtsamkeit diesen inneren Dialog und – je nachdem – Gefühle der Aufgeregtheit oder Angst. Ohne jeglichen Widerstand erkennt die Achtsamkeit das Kommen und Gehen aller Empfindungen und Gefühle und lässt sie zu. Die meisten tief eingeprägten Gedankenpfade unseres Geistes führen uns vom gegenwärtigen Moment weg. Indem wir unseren Geist bewusst auf das richten, was jetzt gerade passiert, löst die Achtsamkeit diese Konditionierungen auf und lässt uns zu einem frischen, unmittelbaren Empfinden von